Politik

Seehofer und Merkel steuern auf neue Konfrontation zu

Der Konflikt in der Union eskaliert: Bundesinnenminister Seehofer hält die Ergebnisse, die Bundeskanzlerin Merkel aus Brüssel mitgebracht hat, für nicht ausreichend.
01.07.2018 20:58
Lesezeit: 2 min

Bundesinnenminister Horst Seehofer betrachtet die angeblichen EU-Vereinbarungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Asylpolitik CSU-Kreisen zufolge als nicht wirkungsgleich zu nationalen Maßnahmen. Die EU-Beschlüsse seien nach Ansicht des CSU-Chefs kein Ersatz für Zurückweisungen an der Grenze, hieß es am Sonntag in Teilnehmerkreisen der gemeinsamen Sitzung von Parteivorstand und Landesgruppe in München. Ein Gespräch mit Merkel sei laut Seehofer "wirkungslos" gewesen. Seehofer habe seinen "Masterplan Migration" in der CSU-Spitze verteilt, hieß es weiter. Dieser sehe Zurückweisungen vor. Merkel hatte Seehofer indirekt mit Entlassung gedroht, falls dieser im nationalen Alleingang Zurückweisungen an der Grenze anordnet.

Horst Seehofer stößt in der gemeinsamen Sitzung von CSU-Vorstand und Landesgruppe mehreren Teilnehmern zufolge auf große Zustimmung. In der Diskussion hätten allerdings auch mehrere Redner die EU-Beschlüsse als Erfolg bezeichnet. Die Rednerliste sei noch nicht geschlossen. Es werde erwartet, dass Seehofer am Ende der Sitzung ein Fazit ziehe, bevor er möglicherweise erst gegen 23.00 Uhr vor die Presse trete.

Der "Masterplan" zur Migration von Bundesinnenminister Horst Seehofer umfasst CSU-Kreisen zufolge auch Zurückweisungen. "Künftig ist auch die Zurückweisung von Schutzsuchenden beabsichtigt, wenn diese in einem anderen EU-Mitgliedstaat bereits einen Asylantrag gestellt haben oder dort als Asylsuchende registriert sind", heißt es in dem Papier vom 22. Juni den Angaben zufolge unter dem Punkt "Binnengrenzkontrollen". Anderen Teilnehmern zufolge hat sich Seehofer in der CSU-Sitzung nicht dazu geäußert, ab wann er diesen Punkt umsetzen will.

Kanzlerin Angela Merkel hat im CDU-Bundesvorstand vor einer Belastung ihrer EU-Verhandlungsposition durch einseitige nationale Maßnahmen gewarnt. Sie stehe in aussichtsreichen Gesprächen, sagte Merkel am Sonntagabend nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Berlin aus Teilnehmerkreisen. Diese könne sie schwer fortsetzen, wenn Deutschland nun einseitig nationale Maßnahmen verhängen würde. Merkel brachte demnach zum Ausdruck, dass ihre Verhandlungsposition dann entscheidend geschwächt wäre.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder beklagte nach Teilnehmerangaben in der CSU-Sitzung, dass es noch nie so wenig Unterstützung der CDU vor einer bayerischen Landtagswahl gegeben habe.

Unmittelbar vor der CSU-Sitzung versuchte Merkel noch zu deeskalieren. "Ich möchte gern, dass CDU und CSU gemeinsam weiterarbeiten", sagte sie vor den getrennten Sitzungen der Spitzengremien beider Unionsparteien bei der Aufzeichnung der ZDF-Sendung "Berlin direkt". "Denn wir sind eine Erfolgsgeschichte für Deutschland."

Merkel betonte: "Ich werde alles daran setzen, dass wir sowohl bei CDU als auch CSU Ergebnisse haben, bei denen wir dann auch die Verantwortung für unser Land wahrnehmen können." Nach der Aufzeichnung und wenige Stunden nach Beginn der CSU-Sitzung in München kam am Sonntag auch die CDU-Spitze in Berlin zusammen. Merkel sprach im ZDF von "wichtigen, ernsten Beratungen".

Mit den EU-Ergebnissen sei sie "einigermaßen zufrieden, wenngleich wir noch längst nicht am Ende unserer Arbeit sind", sagte Merkel. "In der Summe all dessen, was wir insgesamt beschlossen haben, ist das wirkungsgleich" mit der Forderung der CSU nach Zurückweisungen an der Grenze. "Das ist meine persönliche Auffassung."

Sie teile das Anliegen Seehofers, die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge zu verringern, hob Merkel hervor, auch habe sie der Druck der CSU "ein Stück angespornt". Ebenso wie Seehofer wolle sie nicht, dass Asylbewerber sich in der EU selbst das Land für ihr Verfahren aussuchten.

Merkel und Seehofer hatten sich bereits am Samstagabend getroffen, um eine Einigung auszuloten. Merkel wollte keine Angabe dazu machen, ob sie dies für möglich hält. "Aus solchen Gesprächen berichte ich selbstverständlich nicht", sagte sie. Seehofer äußerte sich in München hingegen enttäuscht - das Gespräch sei wirkungslos geblieben.

Seehofer legte den Teilnehmern der CSU-Sitzung erstmals schriftlich seinen sogenannten Masterplan zur Flüchtlingspolitik vor. Dieser umfasst nach den bisher öffentlich bekannten Details 63 Punkte, Merkel soll den Plan bis auf den Punkt zur Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze akzeptieren.

Merkel hatte nach eigenen Angaben beim EU-Gipfel mit einer Reihe von Staaten vereinfachte Rücküberstellungen von Flüchtlingen vereinbart. Ungarn, Tschechien und Polen dementierten jedoch am Wochenende solche Absprachen. "Wenn es jetzt zu Missverständnissen gekommen ist, bedaure ich das", sagte Merkel dazu. Ein Abkommen mit Italien sei "derzeit nicht möglich gewesen".

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