Politik

Syrien: Erdogan erkennt territoriale Ansprüche von Assad an

Lesezeit: 6 min
03.04.2019 17:27
Der türkische Präsident Erdoğan akzeptiert die Ansprüche von Damaskus auf den Norden Syriens. Ob es wirklich zur Aussöhnung kommt, ist ungewiss - auch nach den jüngsten Kommunalwahlen.
Syrien: Erdogan erkennt territoriale Ansprüche von Assad an
Die militärische Lage in Syrien im März 2019. (Grafik: Stratfor)

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte wenige Wochen vor der Kommunalwahl im Gespräch mit Journalisten des türkischen Fernsehsender NTV die Ansprüche der Regierung in Damaskus auf den Norden Syriens anerkannt. Damit ging Erdoğan auf Distanz zur Errichtung einer Sicherheitszone im Nordosten Syriens. Dabei nahm er Bezug auf das Adana-Abkommen zwischen Syrien und der Türkei aus dem Jahr 1998: "Beide Seiten haben alle drei Jahre das Recht, Einspruch gegen das Abkommen einzureichen. Doch das ist bisher nicht geschehen. Deshalb ist das Adana-Abkommen nach wie vor gültig. Das hat uns Putin mitgeteilt. Wenn von unserem Territorium Terroristen nach Syrien, oder aber aus Syrien Terroristen in die Türkei einsickern sollten, haben wir das Recht, den Terroristen nachzustellen.”

Erdoğan betonte, dass die Türkei im Nordosten Syriens Terrorgruppen, die die territoriale Integrität der Türkei in Frage stellen und attackieren, bekämpfen werde. Darüber hinaus respektiere Ankara die territoriale Integrität Syriens ohne Einschränkungen.

Syrien wird auf der Grundlage des Grundsatzes der Gegenseitigkeit keine Aktivitäten zulassen, die von seinem Hoheitsgebiet ausgehen und die Sicherheit und Stabilität der Türkei gefährden. Syrien wird die Lieferung von Waffen und Logistikmaterial sowie die finanzielle Unterstützung und Propaganda-Aktivitäten der PKK in ihrem Hoheitsgebiet nicht zulassen “, heißt es in dem ersten Grundsatz des Abkommens von Adana. Das Abkommen sieht auch eine enge Sicherheitskoordination zwischen Damaskus und Ankara in dieser Frage vor, darunter „eine direkte Telefonverbindung zwischen den hochrangigen Sicherheitsbehörden der beiden Länder“.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hatte am 16. Dezember 2018 auf dem Doha Forum in Katar gesagt, dass die Türkei bereit sei, mit dem syrischen Präsidenten Baschar al Assad zusammenzuarbeiten, wenn "demokratische und glaubwürdige" Wahlen stattfinden.

"Wenn es demokratisch und glaubwürdig ist, sollte jeder die [Arbeit mit Assad] in Betracht ziehen. Es müssen sehr glaubwürdige, transparente, demokratische und faire Wahlen sein. Am Ende sollten die Syrer entscheiden, wer das Land nach den Wahlen regieren wird", zitiert der englischsprachige Dienst der Hürriyet den Außenminister.

Es sei eine neue Verfassung für Syrien. "Der Entwurf sollte unter dem Dach der Vereinten Nationen durchgeführt werden. Er muss inklusiv sein", so Çavuşoğlu.

Der Vorsitzende der türkischen Heimatpartei (VT), Doğu Perinçek, hatte Mitte November 2018 bekannt gegeben, dass es in jüngster Zeit mehrere Treffen zwischen Regierungsmitgliedern Syriens und der Türkei in Teheran gegeben hat. "Zwischen der Türkei und Syrien hat es sechs Treffen in Teheran gegeben. Diese Treffen fanden in jüngster Zeit statt. Sie erfolgten unter der Teilnahme von Regierungsmitgliedern aus der Türkei und Syrien", zitiert Demokrat Haber den VP-Chef.

Zuvor hatte Russlands Präsident Wladimir Putin das Adana-Abkommen in die Verhandlungen zwischen Damaskus und Ankara eingebracht, um eine Eskalation zwischen beiden Staaten zu verhindern. Moskau ist in der Region auf die Kooperation beider Staaten angewiesen.

Sicherheitszone als Falle gegen Türkei und Syrien

Der türkische General a.D. Dr. Naim Babüroğlu sagt in einem aktuellen Interview mit der Tageszeitung Milliyet, dass das Adana-Abkommen zwar auf dem Papier stehe, doch nicht umgesetzt werde, weil das nicht möglich sei. Faktisch gesehen lasse sich das Abkommen ausschließlich auf den Nordwesten Syriens anwenden. Denn im Nordosten Syrien befinden sich US-Truppen, Kurden-Milizen der PKK/PYD, internationale Koalitionstruppen und mittlerweile auch Verbände aus den Golf-Staaten. “Wie sollen wir unter diesen Umständen eine Operation im Osten Syriens durchführen, um die PKK/PYD auszuschalten?”, fragt Babüroğlu.

Der ehemalige General führt aus, dass die Türkei dem Vorschlag der US-Regierung, wonach eine Sicherheitszone im Nordosten Syriens errichtet werden soll, nicht zustimmen würde. Eine Sicherheitszone würde lediglich dazu führen, dass türkische Operationen aus dem Norden und syrische Operationen aus dem Süden unmöglich gemacht werden. Die US-Regierung wolle eine Neuauflage der "Operation Provide Comfort" im Nordirak, die zwischen den Jahren 1991 und 1996 durchgeführt wurde.

Damals wurde von den USA, Frankreich und Großbritannien nördlich des 36. Breitengrades im Irak eine Flugverbotszone eingerichtet. Dies führte dazu, dass die nordirakischen Kurden Schritt für Schritt ihre Autonomie im Nordirak umsetzen konnten. Die irakische Zentralregierung hatte keinen Zugriff mehr auf den Nordirak.

Die USA hatten sich als Schutzmacht der Kurden im Nordirak eingesetzt, um dort einen de facto Kurdenstaat zu ermöglichen.

“Nach 27 Jahren wird versucht, im Norden Syriens dieselbe Strategie umzusetzen”, hatte Babüroğlu zuvor der Zeitung Aydınlık gesagt.

Einmarsch könnte Konflikt mit dem Iran auslösen

Es kommt eine weitere Problematik hinzu. Sollte die Türkei tatsächlich in dieses Gebiet einmarschieren, würde sie sich als US-Verbündeter und gleichzeitiges Mitglied der Astana-Gruppe (Russland, Iran, Türkei) im Gebiet festsetzen, wo der Iran eine Landbrücke zum Mittelmeer plant. Russland und die Türkei haben kein Interesse daran, dass der Iran seine Präsenz in Syrien ausbaut. Am 17. Mai 2018 hatte Putin gesagt, dass sich die ausländischen Truppen nach den jüngsten Siegen der syrischen Armee aus Syrien zurückziehen sollten. Als Putins Syrien-Gesandter Alexander Lawrentjew um eine Klarstellung gebeten wurde, sagte er, der Präsident habe sich auf "türkische, amerikanische, iranische und Hisbollah-Soldaten" bezogen.

Als Antwort darauf erklärte das iranische Außenministerium, dass niemand die iranischen Streitkräfte aus Syrien herausdrängen könne und dass sie bleiben würden, bis Assad sie förmlich auffordert, zu gehen, berichtet Tasnim. Die Nachrichtenagentur Xinhua berichtete auch über eine Entscheidung der syrischen Regierung, wonach ein Rückzug iranischer Streitkräfte und alliierter schiitischer Milizen aus der Deeskalationszone nahe der israelischen und jordanischen Grenze geduldet werde. Für Teheran ist Russlands Kehrtwende eine Überraschung gewesen, die heftige Reaktionen und eine Debatte darüber ausgelöst hat, ob man Moskau noch trauen kann, berichtet The Middle East Eye (MEE).

Eshagh Dschahangiri, Erster Vizepräsident des Iran, sagt in einem aktuellen Interview mit "euronews" zur Frage, ob Russland und die Türkei versuchen würden, die Rolle der Iraner in Syrien zu schwächen: "Nein. Ich denke nicht, dass andere Staaten die Präsenz des Iran in Syrien einschränken können. Der Iran wird seine Präsenz in Syrien fortführen, solange die syrische Regierung dies benötigt".

Iranische Landbrücke über Nordsyrien

Ankara und Moskau kooperieren mit Teheran im Rahmen des Friedensgespräche von Astana. Allerdings bleibt unklar, ob der Iran seine Präsenz in Syrien noch finanzieren kann. Die Errichtung einer Landbrücke über Nordsyrien ans Mittelmeer kann nur mit einer langfristigen militärischen Präsenz durchgeführt werden, die finanzielle Lasten nach sich zieht. Aufgrund der US-Sanktionen gegen den Iran und dem Wertverfall des Iranischen Rial kann eine militärische Präsenz nicht langfristig finanziert werden.

Die zweite Alternative zur Errichtung einer iranischen Landbrücke wurde von den USA an der irakisch-syrischen Grenze bei Al-Qaim und Abu Kamal gekappt. BasNews berichtet, dass die USA in der Nähe der irakischen Stadt Al-Qaim in der westlichen Provinz Anbar einen neuen Stützpunkt eröffnen wollen. Durch Al-Qaim nach Abu Kamal verläuft die Autobahn M4, die als Route für die iranische Landbrücke hätte dienen können.

Die dritte Alternative zur Errichtung einer iranischen Landbrücke wurde von den USA an der jordanisch-syrischen Grenze gekappt. Diese sollte über den Al Waleed-Grenzübergang in die syrische Stadt Al Tanf und dann ans Mittelmeer führen. Doch in Al Tanf befindet sich ebenfalls ein US-Stützpunkt, der die Route auf der Autobahn M2 kontrolliert.

Die vierte und schwächste Alternative zur Errichtung einer irakisch-syrischen Landbrücke wurde ebenfalls gekappt. Diese sollte durch die Provinz Anbar und über Ost-Syrien bis ans Mittelmeer führen. Doch auf der Route befinden sich zwei US-Stützpunkte (Ain al Assad und Habbaniya). Diese Alternative sollte auf irakischem Boden durch Bagdad führen. Am Internationalen Flughafen Bagdad befinden sich die US-Stützpunkte Camp Victory und Camp Taji.

In Salahaddin befindet sich der Stützpunkt Balad, der zuvor Camp Anaconda genannt wurde. In Kirkuk befindet sich der Stützpunkt K1 und in Mossul der Stützpunkt Kajara. Die letzten beiden Stützpunkte der USA befinden sich auf dem Flughafen von Erbil und Harir im Norden des Irak.

Stützpunkte der Iraner in Syrien

israelischen nachrichtendienstlichen Portal DEBKAfile zufolge soll der Iran in Syrien 13 Militärstützpunkte unterhalten:

  • Die iranische Präsenz ist in fünf regionale militärischen Sektoren organisiert - jeder mit seiner eigenen autonomen Regionalkommission, die mit dem iranischen Kommandozentrum in Damaskus verbunden ist.
  • Das nördliche Kommando hat seinen Sitz in Aleppo; das Südkommando befindet sich in Izra nördlich von Daraa; das östliche Kommando ist auf dem Flugfeld Al-Dumayr östlich von Damaskus; und das Küstenkommando in Camp Talae ist “an der Mittelmeerküste zwischen den Häfen Latakia und Tartus.
  • Der Stützpunkt Mayer befindet sich außerhalb der kleinen nordsyrischen Stadt Nubi, nordwestlich von Aleppo an der türkischen Grenze. Er ist ausschließlich dem Personal der Revolutionsgarden vorbehalten.
  • In Aleppo befindet sich ein operatives Zentrum.
  • Die 47. Brigade liegt östlich von Hama.
  • Der syrische Schariat-Luftwaffenstützpunkt befindet sich südlich von Homs, durch den der Iran Luftverbindungen zu seinen Truppen in Syrien unterhält. Es wird von drei Bataillonen der iranischen Revolutionsgarden verteidigt. (Dieser Stützpunkt wurde zuvor von US-Tomahawk-Marschflugkörpern angegriffen.)
  • Camp Talae befindet sich “zwischen Latakia und Tartus an der Mittelmeerküste.
  • Ein zweiter vom Iran kontrollierter syrischer Luftwaffenstützpunkt ist T4 Tiyas. Er liegt zwischen Homs und Palmyra und wird mit syrischen und russischen Luftwaffeneinheiten gemeinsam genutzt.
  • Die Shibani-Imam-Hossein-Garnison befindet sich westlich von Damaskus.
  • Der Luftwaffenstützpunkt Al-Dumayr liegt östlich von Damaskus.
  • In einem vierstöckigen Gebäude am Flughafen Damaskus, das als “Glashaus” bekannt ist, ist der iranische Generalstab in Syrien untergebracht.
  • Der Yarmouk-Stützpunkt befindet sich südwestlich von Damaskus.
  • Die Zenab-Garnison befindet sich südlich von Damaskus
  • Der Izra-Stützpunkt befindet sich in der südlichen Provinz Daraa.

DEBKAfile zufolge befinden sich in Syrien insgesamt 75.000 iranische und pro-iranische Truppen und Milizionäre. Davon sind 10.000 iranische Revolutionsgardisten und Truppen, 7.500 reguläre iranische Offiziere und Truppen, 20.000 Mitglieder der vom Iran unterstützten irakischen schiitischen Milizen, 15.000 afghanische schiitische Milizionäre, 11.500 pakistanische schiitische Milizionäre und 11.000 libanesische Hisbollah-Kämpfer.


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