Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat das Preisgefüge im deutschen Medikamentenmarkt aufgebrochen: Die Luxemburger Richter kassierten am Mittwoch die Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente in Deutschland für Versandapotheken mit Sitz im EU-Ausland ein. Die Regelung stelle eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs dar, begründeten sie ihre Entscheidung. Während der deutsche Apotheken-Verband ABDA mit Entsetzen auf das Urteil reagierte, sprach die niederländische Versandapotheke DocMorris von einem „guten Tag für Patienten“ und kündigte einen verschärften Preiswettbewerb an. Das Bundesgesundheitsministerium teilte mit, das Urteil und dessen Konsequenzen würden geprüft.
Gegen die Preisbindung geklagt hatten die Deutsche Parkinson Vereinigung und die deutsche Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Selbsthilfeorganisation warb bei ihren Mitgliedern für eine Kooperation mit DocMorris, die für Mitglieder beim Bezug von Medikamenten verschiedene Boni vorsah. Nach Ansicht der deutschen Wettbewerbshüter verstößt das Bonussystem gegen die Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente.
Die Luxemburger Richter sehen in der Preisbindung unter anderem eine Behinderung ausländischer Apotheken beim Zugang zum deutschen Markt. Denn gerade für Versandapotheken sei die Preisgestaltung ein wichtiger Wettbewerbsfaktor im Vergleich zu ortsansässigen Apotheken, die ihren Kunden eine individuelle Beratung anböten und wo Arzneien sofort zu erhalten seien. Das Argument der Beklagten, die Preisbindung stelle eine flächendeckende Versorgung mit Apotheken und damit medizinischer Versorgung sicher, wurde vom EuGH nicht nachvollzogen: Es sei im Gegenteil zu erwarten, dass bei einem höheren Preiswettbewerb sich Apotheker auch in Gegenden niederließen, in denen wegen der geringeren Anzahl an Apotheken höhere Preise verlangt werden könnten.
„Europas höchste Richter haben den eindeutigen Willen des deutschen Gesetzgebers ausgehebelt und die Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte negiert“, sagte der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Friedemann Schmidt. Er forderte, die Bundesregierung müsse aktiv werden: „Eine Lösung wäre ein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln in Deutschland.“ Handlungsbedarf sieht auch Reiner Münker von der Wettbewerbszentrale, denn durch das Urteil seien deutsche Medikamentenverkäufer benachteiligt: „Die Apotheken in Deutschland müssen sich an die Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel halten, während ausländische Apotheken Kunden in Deutschland Rabatte gewähren dürfen.“ Der Gesetzgeber müsse nun gleiche Wettbewerbsbedingungen für Apotheken im In- und Ausland herstellen.
Erste Überlegungen zu Konsequenzen aus dem Urteil äußerte die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Maria Michalk: Inhabergeführten Apotheken dürften keine Wettbewerbsnachteile entstehen. „Vor diesem Hintergrund erscheint ein Versandhandelsverbot für deutsche Arzneimittel überlegenswert.“
DocMorris-Chef Olaf Heinrich sagte indes: „Wir freuen uns sehr über die Rechtsprechung des EuGH.“ Sein Unternehmen habe den Kunden Boni auf Rezept stets „zulasten der eigenen Marge“ gewährt. Chronisch kranke Menschen mit einem hohen und regelmäßigen Medikamentenbedarf würden so jährlich um mehrere Hundert Euro entlastet: „Der Patient spart, das Gesundheitssystem wird nicht belastet.“ Das Urteil wird nach seinen Angaben das Wachstum von DocMorris beflügeln. Im Versandhandel seien zweistellige Wachstumsraten möglich.
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) reagierte zunächst gelassen auf das Urteil: Betroffen seien nicht die Hersteller von Arzneimittel, sondern die inländischen Apotheken, denen die Abgabe eines Bonus untersagt sei. Es werde aber damit gerechnet, dass jetzt der Druck auf die Arzneimittelpreise zunehmen werde.