Politik

Flüchtlinge: Deutschland verhindert Öffnung der EU-Grenzen

Lesezeit: 3 min
21.10.2016 01:54
Ungarn und Slowenien dürfen ihre Grenzen zu Österreich nicht öffnen. Die beiden Länder halten für Deutschland die in die EU reisenden Flüchtlinge ab.
Flüchtlinge: Deutschland verhindert Öffnung der EU-Grenzen

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Deutschland und weitere Länder mit Grenzkontrollen wegen der Flüchtlingskrise haben beim EU-Gipfel Forderungen nach einer Aufhebung abgewehrt. In den am Donnerstagabend veröffentlichten Schlussfolgerungen des Treffens zu Migrationsfragen wurde nur noch eine "Anpassung der zeitlich begrenzten internen Grenzkontrollen an die aktuellen Notwendigkeiten" gefordert. In einem Entwurf war noch eine "schrittweise Aufhebung" verlangt worden. Diplomaten zufolge drängten insbesondere zwei Länder auf eine schnelle Aufhebung der Grenzkontrollen: Ungarn und Slowenien. Sie halten die Fortführung der Kontrollen wegen der Beruhigung der Lage in der Flüchtlingskrise für unnötig. Kontrollen gelten wegen der Flüchtlingskrise derzeit an den Grenzen von Deutschland, Österreich, Dänemark, Schweden und Norwegen.

Diplomaten zufolge hatten Ungarn und Slowenien auf die Formulierung für eine Aufhebung gedrängt. Sie halten die Fortführung der Kontrollen wegen der Beruhigung der Lage in der Flüchtlingskrise für unnötig. Österreich hatte wegen des Zustroms über die Balkanroute im September 2015 an den Grenzen zu beiden Ländern Kontrollen eingeführt.

Die EU-Kommission hat die Kontrollen bisher bis zum 11. beziehungsweise 12. November erlaubt. Ihr ursprünglicher Plan war es, bis zum Jahresende wieder ein normales Funktionieren des Schengen-Raums ohne innere Grenzkontrollen zu erreichen.

In einem Schreiben an die EU-Kommission beantragte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bereits am Donnerstag gemeinsam mit anderen EU-Staaten, die Grenzkontrollen über Mitte November hinaus zu verlängern. Auch wenn sich die Lage an den Binnengrenzen entspannt habe, sei sie noch immer "äußerst fragil", erklärte der Minister. Die Lage an den EU-Außengrenzen werde zudem weiter "mit Sorge" betrachtet. Auch wenn sich die Lage an den Binnengrenzen entspannt habe, sei sie noch immer "äußerst fragil". "Daher muss es uns als Mitgliedstaaten weiterhin möglich sein, individuell, lageabhängig und flexibel Grenzkontrollen an den Binnengrenzen anzuwenden und durchzuführen, wo sie erforderlich sind", fügte der CDU-Politiker hinzu

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) forderte in Brüssel eine weitere Verlängerung um zunächst ein halbes Jahr ab November. Zwar unterstütze auch Wien das Vorhaben, die Grenzkontrollen wieder aufzuheben, sagte Kern. "Aber wir sehen, dass wir hier noch viele Schritte brauchen."

Die ungarische Regierung hat laut Diplomaten darauf gedrängt, dass die Visegrad-Gruppe aus Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei zum EU-Gipfel eine eigene Erklärung mit der Forderung nach einer Aufhebung der Grenzkontrollen veröffentlicht. Tschechien und die Slowakei seien aber dagegen, sagte ein Diplomat. Ungarn befürchtet demnach nochmals verschärfte Grenzkontrollen Österreichs. Wien hat auch zu Slowenien Kontrollen wegen der Flüchtlingskrise eingeführt.

Das Vorgehen in der Frage der Grenzkontrollen scheint den Zusammenhalt der Visegrad-Gruppe - kurz V4 genannt - erstmals ernsthaft auf die Probe zu stellen. "Es gibt in der Frage einen wachsenden Streit in der V4", sagte ein Diplomat eines Mitgliedstaates. "Sie wird schnell eine V2+2." Auf der einen Seite stünden dabei Ungarn und Polen und auf der anderen Tschechien und die Slowakei.

Die Visegrad-Gruppe arbeitete in der Flüchtlingspolitik bisher eng zusammen, weil die Osteuropäer die Umverteilung von Migranten innerhalb der EU ablehnen. Vor Gipfeln stimmen sie bei Treffen regelmäßig ihre Position ab und veröffentlichen meist auch eigene Erklärungen zu den EU-Spitzentreffen.

Die Hilfsorganisation Pro Asyl hat vor dem EU-Gipfel in Brüssel die europäische Flüchtlingspolitik scharf kritisiert. Der Gipfel drohe ein "Abschottungsgipfel" zu werden, erklärte Pro Asyl am Donnerstag. Die EU fädele "einen Flüchtlingsbekämpfungsdeal nach dem anderen ein".

Die Organisation kritisierte eine Reihe von Punkten in dem Entwurf für den Gipfelbeschluss. Dort werden unter anderem "mehr Anstrengungen" gefordert, um die Zahl der Flüchtlinge zu senken, die von Nordafrika aus über das Mittelmeer nach Europa gelangen. Gefordert wird auch eine schnellere Rückführung von Flüchtlingen von Griechenland in die Türkei.

Pro Asyl kritisierte insbesondere die Haltung der Bundesregierung in der Flüchtlingskrise: "Deutschland ist wieder ein zentraler Motor dieser Flüchtlingsbekämpfungspolitik".

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef rief die EU-Staats- und Regierungschef derweil auf, sich mehr um das Schicksal von Flüchtlingskindern zu kümmern. Nötig seien "konkrete und messbare Taten".

Die EU-Staats- und Regierungschefs fordern ein stärkeres Engagement gegen die wieder steigende Zahl von Flüchtlingen auf der Route von Afrika nach Italien. "Mehr Anstrengungen sind nötig, um den Zustrom irregulärer Migranten einzudämmen, besonders aus Afrika", erklärte der EU-Gipfel am Donnerstagabend in Brüssel. Er verlangte dabei auch verstärkte Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern aus Europa.

Die Staats- und Regierungschefs forderten die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini auf, beim nächsten Gipfel im Dezember über die Fortschritte der Zusammenarbeit mit fünf ausgewählten afrikanischen Ländern zu berichten. Dabei geht es um Äthiopien, Mali, Niger, Nigeria und Senegal. Der Gipfel werde dann "Orientierungen" für die weitere Kooperation geben und "die Ausweitung auf andere Länder in Betracht ziehen".


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Konfliktlösung ohne Gericht: Verbraucherschlichtung als Chance für Ihr Business
27.04.2024

Verabschieden Sie sich von langwierigen Gerichtsverfahren! Mit dem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) senken Sie Ihre Kosten,...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Krieg in der Ukraine: So ist die Lage
27.04.2024

Wegen Waffenknappheit setzt der ukrainische Präsident, Wolodymyr Selenskyj, auf Ausbau der heimischen Rüstungsindustrie, um sein Land...

DWN
Finanzen
Finanzen Hohes Shiller-KGV: Sind die Aktienmärkte überbewertet?
27.04.2024

Bestimmte Welt-Aktienmärkte sind derzeit sehr teuer. Diese sind auch in Indizes wie dem MSCI World hoch gewichtet. Manche Experten sehen...

DWN
Finanzen
Finanzen EM 2024 Ticketpreise explodieren: Die Hintergründe
27.04.2024

Fußball-Enthusiasten haben Grund zur Freude: Es besteht immer noch die Chance, Tickets für die EM 2024 zu erwerben. Allerdings handelt es...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschland als Unternehmensstandort: Zwischen Herausforderungen und Chancen
27.04.2024

Trotz seines Rufes als europäischer Wirtschaftsmotor kämpft Deutschland mit einer Vielzahl von Standortnachteilen. Der Staat muss...

DWN
Immobilien
Immobilien Deutschlands herrenlose Häuser: Eine Chance für den Markt?
27.04.2024

Herrenlose Immobilien - ein kurioses Phänomen in Deutschland. Es handelt sich hier um Gebäude oder Grundstücke, die keinen...

DWN
Finanzen
Finanzen Reich werden an der Börse: Ist das realistisch?
27.04.2024

Viele Anleger wollen an der Börse vermögend werden. Doch ist das wahrscheinlich - oder wie wird man tatsächlich reich?

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...