Politik

Gut für Europa: Italien sagt Nein zu Korruption und Nepotismus

Lesezeit: 3 min
05.12.2016 01:24
Die Ablehnung des Referendums durch die italienischen Wähler ist ein Zeichen demokratischer Reife. Sie haben dem Plan, in Italien im Handstreich ein Mehrheitswahlrecht ohne wirksame Kontrolle einzuführen, eine klare Absage erteilt. Die Finanzmärkte, die ein solches System gerne gesehen hätten, dürfte die Italiener nun abstrafen - mit weitreichenden Folgen für die ganze EU.
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Das Referendum über die von Ministerpräsident Renzi vorgeschlagene Verfassungsreform ist gescheitert, und zwar überaus deutlich. Renzi hat um Mitternacht die Konsequenzen gezogen und seine Demission für heute Montag angekündigt. Der Ausgang der Abstimmung und der Rücktritt Renzis werfen Italien in eine politische Krise im Moment einer schweren Bankenkrise.

Las man die Presse im Vorfeld, hätte man meinen können, dass diese Abstimmung über die Zukunft Italiens entscheiden wird. Das Argument, von Renzi selber vorgebracht, lautet, dass nur mit dieser Parlamentsreform die Möglichkeit rascher weiterer Reformen gegeben ist. Nur so könne Italien kompetitiv bleiben, seine strukturellen Defizite beheben und erfolgreich in der Eurozone und in Europa verbleiben. Deshalb hat Renzi wiederholt angedroht, als Ministerpräsident zurückzutreten, falls die Parlamentsreform an der Urne mit einem No zurückgewiesen würde.

Hier wird das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt. Italien, selber Gründungsmitglied der Montanunion, war immer äußerst europafreundlich, geradezu europabegeistert. Das Land hat seit 25 Jahren eine hektische Serie von Reformen oder Reformschüben unter dem Druck Europas gemacht, die das Land dorthin gebracht haben, wo es heute steckt: Am Abgrund einer tiefen Bankenkrise und einer potentiellen Staatsschuldenkrise, die in einen zerstörerischen Prozess der Schuldendeflation wie in Griechenland münden können.

Das Problem ist nicht allein, dass zu wenig oder zu wenig rasch Reformen gemacht werden konnten oder können, sondern dass zentrale Reformschritte systematisch, über mehr als 20 Jahre hinweg, im Grundsatz falsch waren und sind. Hierzu hat sowohl die inkompetente und teilweise korrupte Führungsschicht Italiens beigetragen. Wichtig aber war, dass zentrale Reformen in Notstandssituationen eingeführt wurden, und dass sie nicht gut vorbereitet, balanciert und durchdacht waren. Die Maßnahmen der Jahre 1992/93 nach dem Austritt Italiens aus dem Wechselkursmechanismus des ERM oder 2011/12 unter der Regierung Monti sind dafür Beispiele. Eine Bankenkrise hat immer auch wichtige geld- und kreditpolitische Ursachen und Aspekte. Deshalb haben auch die Europäische Zentralbank und die Banca d’Italia ihr gerüttelt Maß an Anteil an der italienischen Situation, und zwar nicht erst seit kurzem. Schließlich haben auch die ahnungslosen und mit reichlich ideologischen Vorurteilen und Scheuklappen versehenen Euroretter seit 2011 nach Kräften beigetragen. An diese Art von ‚Reformen’, die im Kern Stagnation, Abbau, Verarmung, Ausgrenzung, Entwürdigung und Hoffnungslosigkeit implizieren, ist der Glaube in Italien breit basiert verloren gegangen.

Die Verfassungsreform war von Renzi primär als technokratisches Projekt präsentiert worden, um Abläufe zu beschleunigen, Doppelspurigkeiten auszumerzen, um die Effizienz des Politibetriebs zu erhöhen und um Bremser und Spezialinteressen zu entmachten. Gegen solche Fortschritte wären wohl die Widerstände nicht derart überwältigend gewesen. Doch die Autoren des Entwurfs, maßgeblich aus dem Bereich des Investmentbankings, hatten anderes im Sinn.

Die Parlamentsreform war höchst problematisch. Sie hätte alle ‚checks and balances’ für eine begrenzte Periode von 5 Jahren ausgeschlossen, wie der britische ‚Economist’ völlig korrekt beschrieben hat. Das bisherige System mit zwei gleich berechtigten Kammern, Abgeordnetenhaus und Senat, wäre ersetzt worden durch ein Abgeordnetenhaus mit Mehrheitswahlrecht. Anders als im Vereinigten Königreich hätte die stärkste Partei, auch nur mit 20 Prozent der Stimmen, automatisch mindestens 54 Prozent der Abgeordneten erhalten. Ein solches System benötigt überhaupt keine Koalitionen mehr, sondern bringt der größten Partei fast uneingeschränkte Macht. Misstrauen gegen die Macht ist in Italien weit verbreitet, weil der Schritt zum Machtmissbrauch erfahrungsgemäß nicht weit ist. Koalitionsregierungen sind geradezu das Wesensmerkmal des italienischen Parlamentarismus seit 1948. Eine zweite Schwäche des Vorschlags war, dass der Senat als zweite Kammer mit reduzierter Macht aus Ernannten und nicht aus Gewählten bestanden hätte. In Italien ist dies ein Rezept für Nepotismus und Korruption. Die dritte Schwäche bestand darin, dass die Regionen gegenüber der Zentralregierung stark an Einfluss eingebüßt hätten. Der Zentralstaat wird in Italien sehr kritisch gesehen. Dieser Punkt war wohl entscheidend, dass die Abstimmung in den allermeisten Regionen verloren ging.

Es gab also gute innenpolitische Gründe, die Verfassungsänderung zu verwerfen. Diese Gründe haben nichts mit Stagnation, Reformmüdigkeit, der mangelnden Bereitschaft, liebgewonnene Gewohnheiten zu verändern, zu tun. Sie wurzeln in traumatischen Erfahrungen. Eine Regierung Berlusconi oder des Movimento 5 Stelle (M5S) mit Allmacht wäre für viele Italiener unvorstellbar.

An den Märkten wird diese Differenzierung wohl nicht so vorgenommen werden. An den Märkten wird das Resultat des Referendums wie von Renzi präsentiert als Absage an die Möglichkeit grundlegender Reformen interpretiert werden. Zudem ist Italien wieder einmal in einer schweren politischen Krise, mit einer entsprechend gelähmten Regierung. Dies vor dem Hintergrund einer schweren Bankenkrise, welche blitzartiges Handeln von Entscheidungsträgern verlangt. Nach diesem Entscheid dürften die Geldgeber aus Katar wenig Lust haben, heute Montag bei der Monte Paschi di Siena einzusteigen und sich an einer neuerlichen Rekapitalisierung zu beteiligen. Sie hatten ihre Beteiligung für heute, dem letzten Termin, vom Ausgang der Abstimmung abhängig gemacht.

Doch die Monte Paschi ist nur die Spitze des Eisberges. Das italienische Bankensystem als Ganzes ist in einer schweren Krise. Mit einer handlungsunfähigen Regierung, potentiellen Neuwahlen in 2017 und einem möglichen Wahlsieg des M5S bei diesen Neuwahlen wird die Risikoaversion der Anleger gewaltig ansteigen. Das wird nicht nur italienische Bankentitel betreffen. Schwache Börsen, eine Flucht aus dem Euro sowie in sichere Häfen ist jetzt angesagt. Jetzt rächt sich, dass die Entscheidungsträger in der Eurozone während Monaten, Quartalen und Jahren die Bankensanierung verschleppt haben. Natürlich wird kurzfristig die EZB mit Käufen von Staatsanleihen die Explosion der Spreads zwischen italienischen und deutschen Staatspapieren vermeiden können. Aber ob bei Bankenzusammenbrüchen und Bail-Ins ein Bank-Run zu vermeiden sein wird, ist eine offene Frage.


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