Finanzen

Niedrige Zinsen treffen Deutschland härter als die anderen EU-Staaten

Deutsche Lebensversicherungen leiden besonders unter der Niedrigzins-Politik der EZB. Neue EU-Regeln erschweren die Situation zusätzlich.
19.12.2016 01:38
Lesezeit: 2 min

Deutsche und österreichische Lebensversicherer würde eine lange Niedrigzinsphase deutlich härter treffen als die meisten ihrer europäischen Wettbewerber. Das ist ein Ergebnis des Stresstests der EU-Versicherungsaufsicht EIOPA, der am Donnerstagabend in Frankfurt vorgestellt wurde, berichtet Reuters. Sie leiden unter den langfristigen Garantien, die sie ihren Kunden vor Jahren oder Jahrzehnten gegeben haben und die in anderen Ländern unüblich sind. Daher sei das Ergebnis keine Überraschung, sagte der Exekutivdirektor der deutschen Finanzaufsicht BaFin, Frank Grund. „Darauf sind wir gut eingestellt.“ EIOPA-Chef Gabriel Bernardino rät den nationalen Aufsichtsbehörden, die Lebensversicherer zu zwingen, ihre Dividenden zu kürzen oder zu streichen und im Neugeschäft weniger Garantien zu geben. Die BaFin macht das schon länger.

„Der Stresstest hat bestätigt, dass der Sektor - vor allem die Lebensversicherer mit ihrem langfristigen Geschäft - mit signifikanten Herausforderungen zu kämpfen hat“, sagte Bernardino. Die EIOPA hatte seit dem Frühsommer 236 Lebens- und Komposit-Versicherer aus 30 Ländern unter die Lupe genommen, die zusammen gut drei Viertel des europäischen Marktes abdecken. Aus Deutschland waren 20 der knapp 90 Lebensversicherer dabei: große wie Marktführer Allianz Leben, aber auch mittlere und kleinere wie die Volkswohl Bund Leben. Aus Österreich waren es neun, die zumeist Lebens- und Sachversicherungen verkaufen. Die nationalen Aufseher hätten bewusst die ganze Breite des Marktes abgedeckt und auch Firmen einbezogen, die schon als Problemfälle bekannt seien, sagte Bernardino.

Wenn die Zinsen auf viele Jahre hinaus nicht wieder steigen, drohen die Stresstest-Teilnehmer im europäischen Durchschnitt 18 Prozent ihrer Finanzpuffer zu verlieren, insgesamt wären das 100 Milliarden Euro. Im zweiten Extremszenario, bei dem niedrige Renditen von Staatsanleihen mit einem Verfall von Aktienkursen, Währungen und anderen Kapitalanlagen einhergingen und es keinen „sicheren Hafen“ gibt, wären es 29 Prozent oder 160 Milliarden.

Die deutschen Lebensversicherer kommen ohne eine Krise mit 272 Prozent sogar auf eine höhere Deckungsquote (Solvabilität) ihrer Verpflichtungen als der EU-Durchschnitt (196 Prozent). Doch verlören sie in dem Dauer-Niedrigzinsszenario wie ihre Rivalen in den Niederlanden und in Österreich rund 40 Prozent ihrer Puffer. Die BaFin verlangt bereits seit 2011 zusätzliche Rückstellungen zur langfristigen Sicherung der Garantien von ihnen und hat den maximalen Garantiezins drastisch gesenkt.

„Wir gehen nicht davon aus, dass es viele Fälle geben wird, in denen Kapitalerhöhungen fällig sind“, sagte Bernardino. Die meisten getesteten Versicherer seien Teil eines Konzerns, der ihnen im Notfall finanziell unter die Arme greifen könnte. Der deutsche Versichererverband warnte vor Panikmache: „Die Aussagekraft der Tests ist gering, da die Szenarien auf sehr unwahrscheinlichen Annahmen beruhen“, sagte Geschäftsführer Axel Wehling.

Nach den neuen Kapitalregeln „Solvency II“, die seit Anfang des Jahres gelten, seien die Quoten der Versicherer aus Deutschland „erfreulich stabil“. Das Solvency-Regelwerk steht jedoch in der Kritik, weil vermutet wird, dass Versicherer aufgrund der verschärften Kapitalbestimmungen weniger Risiken versichern werden und es für Versicherungen schwerer wird, Renditen zu erzielen.

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