Politik

Neuer Konflikt: Polen will weniger EU und mehr USA

In Polen wird Bundeskanzlerin Merkel auf eine selbstbewusste Regierung treffen: Die Polen wollen nicht am Status Quo der EU festhalten sondern die Dynamik des Austritts Großbritanniens für ihre Zwecke nutzen.
07.02.2017 00:46
Lesezeit: 3 min

Andreas Rinke von Reuters liefert eine sehr interessante Analyse über die Bestrebungen Polens, die Kompetenzen der EU zu beschneiden und dabei den Brexit und die Trump-Regierung für seine Zwecke zu nutzen:

Bei ihren Gesprächen am Dienstag in Warschau kann Kanzlerin Angela Merkel nahtlos an die Debatten über die Zukunft der EU auf dem informellen Treffen auf Malta anknüpfen: Denn von der nationalkonservativen PiS-Regierung in Warschau wird nach Ansicht von Diplomaten maßgeblich abhängen, wie ambitioniert die Erklärung zum 60. Jahrestag der Union Ende März in Rom ausfallen wird. Gibt die EU angesichts der Brexit-Entscheidung und der EU-kritischen Äußerungen des neuen US-Präsidenten Donald Trump ein Signal für eine engere Zusammenarbeit oder eines der Desintegration?

Merkel sprach auf Malta davon, dass es "eine EU mit verschiedenen Geschwindigkeiten" bei der Integration geben werde. Das kommt den Polen entgehen. Vor allem der Nationalist Jaroslaw Kaczynski, die graue Eminenz der polnischen Politik, misstraut Deutschland fast so wie Russland. In einer Autobiografie hatte er Merkel vorgeworfen, sie wolle Deutschlands "imperiale Macht" wieder aufbauen und Polen unterordnen. Und Ministerpräsidentin Beata Szydlo machte in Malta keinen Hehl daraus, dass ihre Partei den Brexit als Signal sehe, die Zuständigkeiten der EU zu verringern.

"Merkel will die Einheit der EU bewahren, und dafür braucht sie Polens Unterstützung für die Reformen", mahnt Slawomir Debski, Chef des polnischen Instituts für internationale Angelegenheiten. Ein EU-Diplomat gibt zu bedenken: "Allerdings wollen die Polen gleichzeitig eine viel engere Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich, weil das Vertrauen in die USA durch die Wahl Donald Trumps schon erschüttert ist." Ohnehin registriert man in Berlin, dass die Regierung in Warschau zwar ihren innenpolitischen Kurs mit der versuchten stärkeren Kontrolle über Medien und Gerichte fortsetze, sich aber seit dem Brexit-Referendum weniger EU-feindlich aufstelle. Kaczynski selbst sagte dem konservativen Wochenmagazin "Do Rzeczy", er habe bereits im Sommer 2016 mit Merkel darüber gesprochen, die EU-Verträge zu ändern, was diese abgelehnt habe. Die Bundesregierung will sich über den Bericht nicht äußern.

Dementsprechend hoch sind die Erwartungen an die Gespräche, die Merkel nicht nur mit Regierungschefin Szydlo, sondern auch mit Kaczynski und Vertretern der Oppositionsparteien führen wird. "Merkels Hauptbotschaft muss sein, dass eine enge Zusammenarbeit mit der EU, vor allem aber mit Deutschland und Frankreich, zentrales strategisches Interesse Polens ist", sagt Thomas Nord von der Linkspartei, der die deutsch-polnische Parlamentariergruppe im Bundestag leitet. Und der stellvertretende SPD-Fraktionschef Axel Schäfer sagt in Anspielung auf den traditionell versuchten Schulterschluss der Polen mit den USA: "Die Kanzlerin sollte darauf verweisen, dass die Oder an einigen Stellen 100 Meter breit ist, der Atlantik dagegen 6000 Kilometer."

Nach Ansicht des Grünen-Politikers Manuel Sarrazin wissen die Polen, dass Amerikaner und auch Briten viel weniger anbieten können als die EU. "Ich bin der festen Überzeugung, dass Trump und Brexit Polen und Deutschland enger zusammenrücken lassen." Voraussetzung sei aber, dass Deutschland in den Brexit-Verhandlungen auch die Interessen von Hunderttausenden Polen hart vertrete, die in Großbritannien lebten. Hintergrund ist die Personenfreizügigkeit, die mit dem Austritt aus der EU infragesteht.

Finanziell rechnet sich die EU-Mitgliedschaft für Polen: Das Land ist der größte Nettoempfänger in der Gemeinschaft und erwartet bis 2020 Zahlungen von Dutzenden Milliarden Euro aus EU-Kassen. In Umfragen geben regelmäßig mehr als zwei Drittel der Polen an, dass sie die EU positiv sähen.

Merkel stellt sich auf eine Wunschliste ein, die lautet: mehr Verteidigungskooperation, dafür weniger Brüsseler Einmischung in die Innenpolitik. Allerdings bleiben genügend Streitthemen. Denn auch wenn die Kanzlerin mit Blick auf die deutsch-polnische Vergangenheit direkte Kritik an den umstrittenen Reformen des Verfassungsgerichts und Gesetzen für Medien und Nichtregierungsorganisationen der EU-Kommission überlassen hat: Auf gemeinsame Werte als Grundlage der EU-Kooperation wird sie noch stärker pochen als früher. Sie wolle zudem wie andere "alte" EU-Staaten auf mehr Solidarität in der Flüchtlingskrise pochen, heißt es in Regierungskreisen - zumal derzeit auffallend viele Tschetschenen über die angeblich so gesicherte polnische Schengen-Außengrenze in die EU kämen.

Ein Streitfall könnte auch die Personalie Donald Tusk werden, da bald über eine weitere Amtszeit des EU-Ratspräsidenten entschieden werden muss. Der frühere polnische Ministerpräsident wurde auf Malta zwar von den meisten EU-Regierungschefs gerade wegen seiner harten Worte zu Trump als "unser Donald" gefeiert. Aber für die konservative PiS ist der Liberale ein rotes Tuch. "Nur muss sich die polnische Regierung überlegen, wie sie dasteht, wenn sie einen Landsmann gegen den Willen der EU-Partner ablehnt", sagt ein EU-Diplomat. Ein der PiS genehmer "Ersatz-Pole" werde den Posten jedenfalls nicht bekommen.

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