Politik

Russland will US-Außenminister Informationen über Giftgas-Vorfall vorlegen

Lesezeit: 3 min
09.04.2017 02:24
Dieser Artikel ist nur für DWN-Abonnenten zugänglich. Bitte loggen Sie sich ein oder registrieren Sie sich unter „Gratismonat beginnen“.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

[vzaar id="9824211" width="600" height="338"]

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat mit seinem US-Kollegen Rex Tillerson telefoniert. Thema sei die Lage in Syrien nach dem US-Luftangriff gewesen, teilte das russische Außenministerium am Samstag mit. Der Minister habe Tillerson gesagt, dass Behauptungen, das syrische Militär habe Chemiewaffen im sogenannten Giftgas-Vorfall eingesetzt, nicht der Realität entsprächen. Lawrow und Tillerson hätten sich darauf verständigt, das Gespräch über Syrien persönlich fortzusetzen.

Tillerson sagte im US-Fernsehsender CBS, die Priorität der USA in Syrien bestehe darin, die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) zu besiegen. Erst dann rücke die Frage nach einer Stabilisierung des Landes in den Fokus (Video am Anfang des Artikels).

Er hoffe, dass Russland eine „konstruktive Rolle“ dabei spiele, Feuerpausen in Syrien zu unterstützen. Dann wären die Bedingungen gegeben, in einen politischen Prozess einzutreten.

Der US-Außenminister wird kommende Woche zu seinem Antrittsbesuch in Moskau erwartet.

Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums hatte bereits am Mittwoch eine eigene Version vorgelegt: Demnach habe ein Angriff auf ein Rebellen-Depot Giftgas freigesetzt. Der Westen hat dieses Argument als absurd zurückgewiesen. Reuters berichtet, dass die Russen den Amerikanern ihre Sicht der Dinge bereits am Mittwoch vorgelegt hätten – allerdings offenbar ohne Erfolg, den der Luftschlag wurde trotzdem ausgeführt.

US-Präsident Trump hatte ungewöhnlich schnell auf Vorwürfe von drei, vom Westen finanzierten Organisationen reagiert, die behauptet hatten, die syrische Regierung sei einen Giftgasangriff gegen Zivilisten geflogen. Was tatsächlich bei dem Vorfall geschehen ist, kann objektiv nicht gesagt werden.

Trump hat unterdessen einen Brief an den Kongress geschrieben, in dem er die Gründe für den Luftschlag darlegt. Der Brief enthält ein interessantes Detail: Trump schreibt, er habe den Luftschlag befohlen, nachdem er „von den US-Geheimdiensten Hinweise bekommen habe, dass syrische Militär-Einheiten für den Einsatz mit Chemiewaffen verantwortlich“ seien. Mit diesem Brief sichert sich Trump gegenüber den Geheimdiensten ab: Sollte er falsch informiert worden sein, hätte dies weitreichende Konsequenzen für die US-Geheimdienste. Es wird sich zeigen, ob die Russen eine andere, schlüssige Dokumentation der Fakten vorlegen können. Geheimdienst-Kreise in den USA halten die russische Darstellung für schlüssig, wie der kenntnisreiche Investigativ-Reporter Robert Parry auf Consortiumnews schreibt. Zwischen den Geheimdiensten und Trump tobt ein erbitterter Machtkampf. 

Lawrow habe in dem Telefonat deutlich gemacht, dass ein Angriff auf ein Land, dessen Regierung gegen den Terrorismus ankämpfe, nur den Extremisten in die Hände spiele. Das bedeute zusätzliche Gefahr für die Sicherheit sowohl in der Region als auch weltweit.

Die US-Regierung hat nach dem Giftgas-Vorfall einen begrenzen Luftschlag gegen einen vergleichsweise unbedeutenden Flughafen in Syrien durchgeführt. Die Russen waren zuvor informiert worden.

Ein anderer Player hat sich in der Angelegenheit etwas zurückgenommen: Der britische Außenminister Boris Johnson hat am Samstag seinen geplanten Moskau-Besuch nach dem Giftgas-Einsatz in Syrien abgesagt. „Die Entwicklung in Syrien hat die Lage fundamental verändert“, teilte Johnson in einer Erklärung mit. „Meine Priorität sind nun die Kontakte mit den USA und mit anderen vor dem G7-Treffen am 10. und 11. April.“

Diese Begründung könnte allerdings vorgeschoben sein: Johnson ist auch Chef der britischen Auslandsgeheimdienste MI6 und GCHQ. Beide Geheimdienste sind federführend in Syrien tätig. Sie klären auf, kontrollieren Söldner und führen verdeckte Operationen durch. Der GCHQ war erst vor wenigen Tagen in die Schlagzeilen geraten, weil ein Fox-Kommentator behauptet hatte, er verfüge über Informationen, dass es die genau dieser Dienst gewesen sein soll, der US-Präsident Trump ausspioniert habe. Der Kommentator war nach der Behauptung kurzzeitig vom Bildschirm verschwunden – kehrte jedoch umgehend wieder zurück und erneuerte seine Anschuldigungen gegen den GCHG on air. Der Chef des Geheimdienstes war im Januar überraschend zurückgetreten, aus privaten Gründen, wie es offiziell hieß.

Es ist nicht bekannt, welche Rolle die britischen Dienste bei der aktuellen Entwicklung in Syrien und den USA spielen.

Die Russen verfügen jedenfalls vermutlich über lückenlose Dokumentationen, weil sie in Syrien am Boden und in der Luft anwesend sind.

Die Briten unterstützen Trump zwar verbal, haben jedoch die Entsendung von Truppen ausgeschlossen. Premierministerin May forderte trotz des Luftschlags von Trump eine unabhängige Untersuchung des Giftgas-Vorfalls, berichtet der Guardian. May verlangt, dass die OPCW die Untersuchung durchführt. Diese Organisation hatte bereits die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen überwacht und genießt auch bei den Russen Anerkennung. Die OPCW hat sich bisher nicht zu dem Vorfall geäußert.

In Moskau wurde die Absage Johnsons mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat eine umgehende Untersuchung des Vorfalls durch UN-Waffeninspekteure gefordert. „Wichtig ist, dass die Vereinten Nationen und die Experten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) jetzt umgehend Zugang erhalten und ihre Untersuchungen ohne Behinderungen durchführen können“, sagte Gabriel der Bild-Zeitung.

Gabriel zeigte sich zugleich überzeugt, dass Syriens Präsident Baschar al-Assad die Verantwortung für den mutmaßlichen Giftgas-Vorfall trägt. „Wir verfügen über Informationen unserer Partner und von Kontakten vor Ort, die es sehr plausibel erscheinen lassen, dass das Assad-Regime hinter diesem furchtbaren Giftgas-Angriff steckt“, sagte der Minister. Den US-Raketenangriff auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt als Reaktion auf den Angriff in Chan Scheichun nannte Gabriel „nachvollziehbar“.

Das Problem Gabriels: Er dürfte nur über die Informationen verfügen, die ihm von den USA und den Briten, gegebenenfalls noch von den Israelis zur Verfügung gestellt werden. Keines dieser Länder hat eine umfassende Untersuchung vorgenommen.

Gabriel schließt eine deutsche Beteiligung an möglichen weiteren US-Einsätzen gegen die syrischen Regierungstruppen aus.


Mehr zum Thema:  

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Fast 75 Millionen Euro aus Erbe von Fiat-Chef Agnelli-beschlagnahmt
20.09.2024

Die Agnellis gehören seit Jahrzehnten zu den reichsten Familien Italiens. Nach dem Tod des Patriarchen gibt es einen erbitterten...

DWN
Politik
Politik Bund will keine weiteren Commerzbank-Aktien verkaufen - Verdi-Protest war erfolgreich
20.09.2024

Die italienische Unicredit hat sich an der Commerzbank beteiligt und möchte das deutsche Bankhaus sogar in Gänze übernehmen. Die...

DWN
Panorama
Panorama Studie: Sars-CoV-2 stammt vermutlich von Wildtieren
20.09.2024

Der Ursprung der Corona-Pandemie ist rätselhaft. Einer weiteren Studie zufolge stammt das Virus wohl von Wildtieren und nicht aus einem...

DWN
Politik
Politik Laut Studie des Instuts der Wirtschaft sind im Handwerk 113.000 Stellen derzeit unbesetzt
20.09.2024

Das Handwerk stirbt aus. Laut einer neuen Studie bleiben derzeit tausende Stellen in deutschen Handwerksbetrieben unbesetzt – mit...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenz: Südwestdeutscher Autozulieferer entlässt alle Mitarbeiter
20.09.2024

In der deutschen Autobranche kriselt es gewaltig: Immer mehr Zulieferer gehen mit unter. Aktueller Fall ist die Insolvenz der Federnfabrik...

DWN
Politik
Politik Wer die Strippen zieht? Führen aus der zweiten Reihe hat bei der AfD Tradition
20.09.2024

Wer gibt in der AfD den Ton an? Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Denn anders als bei der CDU oder den Grünen ist in der AfD...

DWN
Politik
Politik Verband fordert vor Autogipfel günstigeren Ladestrompreis
20.09.2024

Es kriselt in der deutschen Autobranche. Vor einem Spitzentreffen bei Minister Robert Habeck (Grüne) macht der Branchenverband deutlich,...

DWN
Politik
Politik Sorge vor umfassendem Krieg zwischen Israel und Hisbollah
20.09.2024

Alle Appelle verpuffen. Israel und die proiranische Hisbollah-Miliz im Libanon kündigen weitere Kämpfe an. Die Sorge vor einer möglichen...