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Ukraine: Chefin der Zentralbank tritt überraschend zurück

Lesezeit: 4 min
10.04.2017 12:28
Die Chefin der ukrainischen Zentralbank ist überraschend zurückgetreten.

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Die Chefin der ukrainischen Zentralbank, Walerija Gontarewa, hat überraschend ihren Rücktritt erklärt. Sie habe Präsident Petro Poroschenko mitgeteilt, dass sie ihren Posten zum 10. Mai niederlege, sagte die 52-Jährige am Montag vor Journalisten. "Meine Mission ist erfüllt, die Reformen sind erledigt." Zum ersten Mal in der Geschichte der Ukraine sei der Wechsel an der Spitze der Zentralbank "keine politische Entscheidung".

Allerdings kommt der Schritt überraschend, weil in den vergangenen Wochen die Kritik an der Korruption in der Ukraine immer lauter wurde. Zuletzt hatten die USA gefordert, dass Kiew gegen die Korruption vorgehen müsse. Ein einflussreicher Think Tank der EU hatte der Ukraine eine vernichtendes Zeugnis ausgestellt.

Poroschenko hatte Gontarewa im Juni 2014 an die Spitze der ukrainischen Zentralbank berufen. Ihr Reformkurs für die von Korruption geplagte Wirtschaft des Landes kam zwar im Westen gut an, war allerdings im Inland umstritten.

Gontarewa ging unter anderem gegen zahlreiche Banken vor, die im Verdacht standen, den Privatinteressen von Milliardären zu dienen. Sie stand deshalb von Seiten der Oligarchen unter Druck.

An ihren nun zu suchenden Nachfolger gerichtet, sagte sie: "Egal, wer sich auf diesem Posten befindet, wird politischem Druck ausgesetzt sein." Es sei wichtig, standhaft zu bleiben.

Umstritten war auch Gontarewas Entscheidung, wie vom Internationalen Währungsfonds (IWF) empfohlen die staatliche Unterstützung für die Währung Hrywnja zu lockern. Die Währung verlor seither massiv an Wert. Das ließ die Ersparnisse der Bevölkerung zusammenschmelzen und die Inflation steigen.

Goterewa in ihrer Stellungnahme:  "Es gibt auch keine Änderungen an der Zentralbankpolitik. Die konsequente Fortsetzung auf dem ausgewählten Weg ist der Schlüssel zum Erfolg unseres Landes und die Unterstützung unserer internationalen Partner. Die Nationalbank wird mit der konsequenten Verwirklichung der Politik fortfahren, die Sie während meiner Amtszeit als Gouverneur von NBU gesehen haben... Meine Mission ist erfüllt. Erstens hat sich das Land zu einem flexiblen Wechselkurs bewegt und die neue Geldpolitik im Kampf gegen die Inflation umgesetzt. Zweitens wurde das Bankensystem von insolventen Banken befreit und seine künftige Widerstandsfähigkeit gestärkt. Drittens wurde die Nationalbank komplett umgebaut, alle Prozesse wurden erneuert. Unsere Zentralbank ist heute eine starke moderne Organisation... Ich bin mir sicher, dass für das gesamte Finanzsystem für sein künftiges Wachstum die Konsistenz sehr wichtig ist, ebenso wie die Beibehaltung der Zentralbankpolitik. Die Nationalbank steht außerhalb der Politik. Dies ist die Norm und der Standard für alle entwickelten Nationen, wie es die Ukraine anstrebt. Die Zentralbank muss unabhängig bleiben."

Dass sie sich selbst nicht ganz sicher ist, dass es so bleiben wird, lässt ein kleiner Hinweis in ihrem Statement erkennen: Die scheidende Gouverneurin unterstrich noch einmal die Wichtigkeit, dass der Gouverneur der Zentralbank, der ernannt wird, ein echter Profi ist, ein Bankier und ein Technokrat - und kein Politiker: "Das ist meine Vision und ich habe Präsident Poroschenko bereits mehrere Kandidaten für meinen potenziellen Nachfolger vorgeschlagen."

Schließlich übte Gontarewa am Ende ihrer Mitteilung sogar leise Kritik an den herrschenden Zuständen in der Ukraine: "Ich weiß, dass, wenn alle Regierungsinstitutionen ihre Reformen in gleicher Weise wie die Nationalbank durchführten, unser Land heute in einer ganz anderen qualitativen Ebene sein würde."

Reuters analysiert den überraschenden Schritt:

Nach persönlichen Anfeindungen hat die Notenbankchefin der Ukraine das Handtuch geworfen. Die seit 2014 amtierende oberste Währungshüterin Waleria Gontarewa sagte am Montag, dass sie ihr Rücktrittsschreiben bei Präsident Petro Poroschenko eingereicht habe. Ein Kurswechsel sei damit aber nicht verbunden: "Es wird keine Änderungen in der Linie der Zentralbank geben", sagte sie. Gontarewa gilt als Reformerin, die im heimischen Bankensektor keinen Stein auf dem anderen ließ. Unter anderem verstaatlichte sie im Dezember mit der PrivatBank das größte Geldhaus des Landes. Im Umfeld Gontarewas hieß es, dass sie sich damit Feinde machte und ihre Gegner eine Rachekampagne anzettelten.

Jüngst belagerte eine Menschenmenge ihr Domizil und nannte sie einen "Handlager Russlands", das wegen des Konflikts in der Ost-Ukraine und der Annexion der Halbinsel Krim mit der Regierung in Kiew überkreuz liegt. Die Hasskampagne gipfelte darin, dass die Notenbankchefin einen Sarg vor ihrer Haustür vorfand. Gontarewa fegte in ihrer Amtszeit mit eisernem Besen durch den Bankensektor: Jedes zweite Geldhaus musste schließen. Viele Institute dienten nach offizieller Lesart Kiews in dem von Korruption heimgesuchten Land als Vehikel für Geldwäsche.

Gontarewas Vorgehen fand beim Internationalen Währungsfonds (IWF) Anklang, der das klamme Land mit Milliardenhilfen über Wasser hält. Doch in der Bevölkerung hat sie einen schweren Stand: Einer Umfrage der Stiftung Democratic Initiatives Foundation zufolge misstrauen ihr vier Fünftel der Bevölkerung. Womöglich musste sie sogar um ihr eigenes Leben fürchten. Der vor ihrer Tür abgelegte Sarg gilt zumindest als zynische Warnung: Der frühere Vize-Gouverneur der russischen Zentralbank, Andrej Koslow, war 2006 auf offener Straße erschossen worden. Auch er hatte in seinem Land Dutzende Banken geschlossen, die im Ruf der Korruption standen.

Der Internationale Währungsfonds hatte erst vergangene Woche eine weitere Tranche von einer Milliarde Dollar aus dem laufenden Kreditprogramm für das osteuropäische Land von 17,5 Milliarden Dollar freigegeben.

Der IWF kann an die Ukraine Kredite nur vergeben, weil er für das Land seine Regeln geändert hat: Denn formal ist die Ukraine zahlungsunfähig und wird nur von Krediten der europäischen und amerikanischen Steuerzahler über Wasser gehalten.

Der ukrainische Vize-Zentralbankchef Oleg Tschurij sagte vergangene Woche in Kiew, nach der aktuellen Zahlungsfreigabe durch den IWF sei der Weg frei für eine Aufstockung der Devisenreserven des Landes auf 16,1 Milliarden Dollar und für einen weiteren Schritt in der Wechselkurs-Liberalisierung. Tschurij rechnet in diesem Jahr noch mit weiteren drei Kredittranchen des Fonds in Höhe von zusammen 4,5 Milliarden Dollar.

"Nach der schweren Krise 2014/2015 wächst die Wirtschaft des Landes wieder - um 2,3 Prozent 2016", lautet der Befund des IWF. Entscheidend für das weitere Wachstum sei Umfang und die Geschwindigkeit notwendiger Strukturreformen. Im laufenden Jahr werde die Wirtschaft mit zwei Prozent etwas schwächer zulegen, was dem Konflikt mit den Separatisten im Osten des Landes geschuldet sei. Im kommenden Jahr dürfte sich dann aber das Wachstum auf drei Prozent beschleunigen. Es könnte dann auf mittlere Sicht dreieinhalb bis vier Prozent im Jahr erreichen. Deutlich gebessert habe sich der Fehlbetrag in der Leistungsbilanz, der von über neun Prozent auf 3,6 Prozent 2016 gesunken sei. Mit fast 90 Prozent der Wirtschaftleistung sei die Staatsverschuldung zwar noch relativ hoch, doch auch das Defizit im Haushalt liege inzwischen bei nur noch 2,3 Prozent.

Für eine Entwarnung reicht das aber aus IWF-Sicht nicht. Denn es blieben Risiken wegen der schwachen Fortschritte bei der Privatisierung von Staatsunternehmen, der Korruptionsbekämpfung und bei der Land- und Renten-Reform. Das heimische Finanzsystem sei stark vom Dollar abhängig und die Kreditausfälle hätten einen historischen Spitzenwert erreicht.

Auch die Weltbank mahnte mehr Reformen in der Ukraine an. "Die Wirtschaft erholt sich moderat, aber eine Beschleunigung der Reformen könnte mittelfristig das Wachstum stärken", sagte Weltbank-Expertin Satu Kahkonen in Kiew. Die Wachstumsaussichten für die nächsten Jahre sieht die Weltbank etwas günstiger als der IWF.

Das Land hat bislang 8,38 Milliarden Dollar aus dem 17,5 Milliarden Dollar schweren Kreditpaket erhalten. Der Fonds hatte die Auszahlung im März zunächst blockiert. Die Ukraine kämpft seit Jahren im Osten des Landes mit von Russland unterstützten Rebellen. 2014 hatte Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektiert.


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