Politik

Juncker ratlos: Großbritannien lehnt Zahlungen an EU glatt ab

Lesezeit: 3 min
02.05.2017 01:10
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Die britische Premierministerin Theresa May hat die zentralen Forderungen abgelehnt, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen am Wochenende auf einem Sondergipfel erhoben hatten. Die EU-Kommission fürchtet nun ein Scheitern der Verhandlungen.

Bei einem Treffen in London am Mittwoch hatte die britische Premierministerin Theresa May EU-Präsident Jean-Claude Juncker unmissverständlich mitgeteilt, dass Großbritannien keine Verpflichtung zu einer Zahlung für einen Austritt sähe. Dergleichen ist in den EU-Verträgen von Lissabon tatsächlich nicht vorgesehen. Zwar haben die Verträge in der EU bei politischen Erwägungen bisher immer wieder eher einen deklaratorischen Charakter gehabt. Doch in diesem Fall dürften die Briten nicht bereit sein, ohne wesentliche Konzessionen einzulenken:

Juncker hatte von May 60 Milliarden Euro gefordert und scheint über den rauen Ton der Briten und die glatte Absage sichtlich irritiert: Er lancierte seine Version des Gesprächs in der FAZ, um sich in das bestmögliche Licht zu rücken. So wurde Juncker als harter Hund gepriesen, der schon mit den widerstrebenden Griechen fertig geworden sei. Gerade der Vergleich mit Griechenland stößt in London allerdings auf Heiterkeit: Die Briten sind Nettozahler, weshalb die EU etwas zu verlieren hat. Außerdem gilt Griechenland nicht gerade als Erfolgsgeschichte in der EU. Juncker überbrachte die schlechte Nachricht umgehend an Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in ihrer Regierungserklärung sagte, einige in London gäben sich Illusionen hin.

Junckers Verärgerung rührt auch aus der Mitteilung von May, dass Großbritannien wegen der bevorstehenden Neuwahl nicht an der Halbzeitüberprüfung des EU-Budgets teilnehmen könne. Damit sind die Budget-Gespräche faktisch blockiert. Der FAZ-Artikel ist in diesem Licht als ein Revanchefoul zu sehen: EU-Bürokraten waren laut Politico über Mays Position außer sich und sollen von einer skandalösen Obstruktion gesprochen haben. Junckers Kabinettschef Martin Selmayr kündigte per Twitter Vergeltung an:

May hatte Ende März offiziell den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union beantragt und damit das zweijährige Austrittsverfahren gestartet. Bis Ende März 2019 soll ein Abkommen unter Dach und Fach sein, das auch den Weg für die künftige Partnerschaft weist. Gelingt dies nicht, scheidet Großbritannien abrupt aus, alle Beziehungen wären vorerst ohne Anschlussregelung gekappt. Das fürchtet vor allem die Wirtschaft.

Die 27 bleibenden EU-Länder hatten sich bei dem Brüsseler Gipfel am Samstag binnen weniger Minuten und einstimmig auf Leitlinien für die Gespräche geeinigt. Man wolle mit einer Stimme sprechen, sagte Kanzlerin Merkel anschließend. Ob es dabei bleibt, wird sich erst zeigen: Polen hat mit Großbritannien bereits Sonderverhandlungen geführt, PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski war zu diesem Zweck eigens nach London gereist und von May empfangen worden.

Die EU fordert, in einer ersten Phase zunächst nur die Bedingungen der Trennung zu klären. Dazu zählen für die EU vor allem die künftigen Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und die finanziellen Verpflichtungen Londons gegenüber der EU, die auf bis zu 60 Milliarden Euro geschätzt werden. Erst wenn alle bleibenden 27 EU-Länder einstimmig ausreichende Fortschritte feststellen, soll das von May gewünschte Freihandelsabkommen auf die Tagesordnung kommen.

May lehnte Verhandlungen in zwei Phasen jedoch am Sonntag in der BBC erneut ab und bekräftige die Forderung, den EU-Austritt und das Handelsabkommen gleichzeitig zu klären. Zudem stellte sie nochmals klar, dass sie lieber kein Austrittsabkommen mit der EU schließe als ein schlechtes.

Aus der EU-Kommission kommen deshalb Warnungen vor einem Scheitern der Brexit-Gespräche. Die Brüsseler Behörde schätze die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios auf mehr als 50 Prozent, berichtete die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Hintergrund der düsteren Prognose ist ein Gespräch von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit May am vergangenen Mittwoch.

EU-Kreise bestätigten der Deutschen Presse-Agentur, dass Juncker anschließend sagte: "Ich verlasse die Downing Street zehnmal skeptischer, als ich vorher war." May habe unter anderem die Auffassung vertreten, dass Großbritannien den EU-Partnern kein Geld schulde. Juncker habe Merkel informiert, die daraufhin vor "Illusionen" in Großbritannien gewarnt habe. May bezeichnete den Bericht bei einem Wahlkampfauftritt am Montag als "Brüsseler Geschwätz".

In der BBC hatte sie zuvor Hoffnung auf eine rasche Einigung in der Frage der künftigen Rechte für 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und 1,2 Millionen Briten in der EU gemacht. Das ist auch für die EU das erste Topthema, wie Ratspräsident Donald Tusk sagte: "Sobald Großbritannien echte Garantien für unsere Bürger abgibt, werden wir rasch eine Lösung finden." Der Daily Telegraph schreibt, dass May schon vor Monaten gesagt habe, dass dieses Thema Priorität habe. Tusk habe ihr zugesichert, dass er das auch so sehe.

Tatsächlich sind die herben Töne reine Verhandlungstaktik: Beide Seiten haben viel zu verlieren und werden versuchen, in allen Fragen Kompromisse zu schließen.


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