Jeffrey Currie, Goldman Sachs-Chefanalyst für den Bereich Rohstoffe, erklärte dieser Tage auf einer Konferenz in London, er gehe von steigenden Ölpreisen aus, da es auf dem Ölmarkt bereits ein zu geringes Angebot gäbe. Deshalb empfiehlt er den Kauf von Long-Kontrakten, also Wetten auf steigende Öl-Preise, berichtet Oilprice.com. Die Investmentbank prognostiziert Gewinne auf Rohstoffpreise in der Größenordnung von 13,3 Prozent in den nächsten drei Monaten und 12,2 Prozent in den nächsten zwölf Monaten. Würde Goldman Sachs Short-Kontrakte empfehlen, würde die Investmentbank von einem Abwärtstrend beim Ölpreis ausgehen.
Die Empfehlung von Currie ist nicht nur auf den reinen Wertpapierhandel zurückzuführen. Zum Beispiel prognostizierte Goldman Sachs, dass zwischen März und April in den USA, Europa, Japan und Singapur ein ziemlich bescheidenes Inventar von nur sechs Millionen Barrel vorliegen werde, was viel niedriger ist als die typische 16-Millionen-Fass-Zunahme während dieser Jahreszeit. Goldman Sachs warnt auch davor, nicht zu viel in die außergewöhnlich hohen Lagerbestände in den USA hineinzuinterpretieren. Die USA hätten nämlich die niedrigsten Lagerkosten. Die US-Vorräte seien ein „Nachlaufindikator für die Neugewichtung“ auf dem Markt. Sie verändern sich als letztes.
Nach Angaben der US-Energieagentur EIA sind die Lagerbestände in den USA um 5,2 Millionen Barrel. Die Erwartungen auf dem Markt wurden damit übertroffen. Das führte dazu, dass die Preise für die Sorten WTI und Brent am Mittwochmittag um vier Prozent stiegen.
Im Juli könnte das Angebots-Defizit nach Angaben von Currie etwa zwei Millionen Barrel pro Tag betragen, was zu einer weiteren Ölpreis-Erholung führen würde.
Empfehlungen von Investmentbanken sind immer mit Vorsicht zu genießen: Oft empfehlen die Banken etwas, um einen Preis zu bewegen, handeln aber selbst nicht nach ihren Empfehlungen. Im Fall des Ölpreises könnte es aber tatsächlich sein, dass Goldman über stichhaltige Argumente verfügt: Die Bank sitzt mit sechs Mann in der US-Regierung und erlebt die Energiepolitik der Regierung aus erster Hand mit. US-Präsident Donald Trump hatte schon sehr früh in seiner Präsidentschaft angekündigt, auf Öl setzen zu wollen. Die US-Fracking-Industrie fördert auf Hochtouren, weil die USA eine Weltmacht bei Öl und Gas werden wollen. Mit Rex Tillerson ist der frühere ExxonMobil-CEO als Außenminister eine bestimmende Größe in Washington.
Im Verlauf der vergangenen Woche ist der Brent-Preis um etwa neun Prozent und der US-Ölpreis um rund zehn Prozent eingebrochen, berichtet Bloomberg. Experten begründeten dies mit der jüngsten Entwicklung in den USA. Während die OPEC-Länder ihre Produktion gedrosselt haben, wird sie in den USA immer weiter erhöht. US-Ölvorräte erlebten ihren größten Rückgang im aktuellen Jahr. Sie gingen ohnehin fünf Wochen in Folge zurück. Es wird erwartet, dass die OPEC auf ihrem Treffen am 25. Mai die nächste Förderkürzung beschließt. Goldman Sachs hatte bereits zuvor vor einer Angebotsknappheit gewarnt und den Kauf von Long-Kontrakten empfohlen.
Der Bloomberg-Öl-Experte Julian Lee ist der Ansicht, dass die OPEC-Produktionskürzungen erheblich vertieft werden müssten, um die OECD-Lagerbestände bis zum Jahresende zu tilgen – vor allem angesichts der gestiegenen Produktion aus Libyen und Nigeria. Hinzu kommt, dass die Kosten beim Fracking stetig sinken, was wiederum zu einer Erhöhung der Öl- und Gasproduktion führe. Der Boom in der Fracking-Industrie müsste demnach eher zu einem Rückgang des Öl-Preises führen. Analysten gehen davon aus, dass der Fracking-Boom weitaus schneller verlaufen könnte als die Förderkürzungen der OPEC und der Rückgang der Ölvorräte in den USA.
Allerdings könnte es sein, dass viele Öl-Länder in Bedrängnis geraten: Saudi-Arabien kämpft gegen die Pleite, in Venezuela herrscht Chaos. Lediglich Russland hält Kurs. Bleiben am Ende nur die USA und Russland übrig, könnten die beiden den Preis bestimmen. Der freundliche Empfang, den die US-Regierung dem russischen Außenminister in Washington beschert hat, deutet darauf hin, dass man sich der gemeinsamen Interessen bewusst ist. US-Außenminister Rex Tillerson hatte erst vor wenigen Tagen in einer Rede betont, dass sich die US-Politik künftig an Interessen und nicht mehr am Export von Werten orientieren will.