Politik

Erdogan blockiert Politiker-Besuch bei Bundeswehr in Incirlik

Lesezeit: 4 min
15.05.2017 16:09
Der türkische Präsident Erdogan blockiert einen Politiker-Besuch bei Bundeswehr auf dem Stützpunkt Incirlik.
Erdogan blockiert Politiker-Besuch bei Bundeswehr in Incirlik

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Die Türkei hat Bundestagsabgeordneten einen Besuch bei den deutschen Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik untersagt und damit die Krise in den deutsch-türkischen Beziehungen weiter verschärft. Die Bundesregierung bezeichnete das Verhalten als "absolut inakzeptabel" und erwägt nun einen Abzug der dort stationierten Bundeswehrtruppe. Favorit unter den Alternativstandorten ist Jordanien, berichtet die dpa.

Der Besuch der Obleute des Verteidigungsausschusses war für Dienstag geplant und bereits vor Wochen angekündigt worden. Am Samstag wurde die Absage dem Auswärtigen Amt auf Arbeitsebene mitgeteilt. Als ein Grund wurde die Gewährung von Asyl für türkische Offiziere in Deutschland angegeben. Die Abgeordneten wurden am Montag darüber informiert. Die türkische Zeitung Milliyet schreibt, dass aus Sicht der türkischen Regierung "die Bedingungen" für einen Incirlik-Besuch nicht gegeben seien. Die türkische Nachrichtenseite OdaTV berichtet, dass die Gewährung von Asyl für flüchtige türkische Nato-Offiziere durch die Bundesregierung eine wichtige Rolle bei der türkischen Entscheidung gespielt habe. Der deutsche Bundestagsabgeordnete Alexander Neu bestätigt dies auf seiner Facebook-Seite.

Ein Nato-Sprecher sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten, dass Incirlik ist kein Nato-Stützpunkt sei. Zum Thema des Asyls für türkische Offiziere sagte der Sprecher, Nato-Generalsekretär Stoltenberg habe das „Thema am 3. Mai das Thema beim Europäischen Parlament angesprochen. Er sagte, dass es den einzelnen Nato-Mitgliedsstaaten obliegt, darüber zu entscheiden, ob sie Asyl gewähren wollen oder nicht. Asylfragen umfassen nicht den Aufgabenbereich der Nato. Die Nato hat hier keine Entscheidungsbefugnis."

Zur Nutzung des Luftwaffenstützpunkts Incirlik durch NATO-Truppen erklärte der Sprecher: "Es gibt per se kein NATO-Personal in Incirlik und es werden keine NATO-Operationen von diesem Stützpunkt aus durchgeführt. Weil Incirlik ein türkischer Stützpunkt ist, wird die Anwesenheit von Personal aus verschiedenen verbündeten Nationen über bilaterale Vereinbarungen zwischen der Türkei und den betroffenen Nationen geregelt."

Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Hellmich sprach sich dafür aus, den Abzug sofort einzuleiten. "Wir lassen uns nicht erpressen", sagte der SPD-Politiker. Grüne und Linke halten den Abzug für längst überfällig. Die CDU forderte dagegen lediglich, "mit höherer Dringlichkeit alternative Stationierungsorte in Betracht zu ziehen". Die Bundesregierung will allerdings zunächst einmal abwarten, ob die türkische Seite nicht doch noch einlenkt.

Außenminister Sigmar Gabriel will am Mittwoch bei einem Besuch in Washington mit den USA über den Anti-IS-Einsatz sprechen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird nächste Woche beim Nato-Gipfel in Brüssel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an einem Tisch sitzen.

Die Bundeswehr beteiligt sich von Incirlik aus mit Tornado-Aufklärungsjets und einem Tankflugzeug an den Luftangriffen gegen die Terrormiliz ISIS in Syrien und im Irak. Auf der Luftwaffenbasis sind etwa 260 deutsche Soldaten stationiert.

Bereits im vergangenen Jahr hatte die Türkei Bundestagsabgeordneten über Monate hinweg den Besuch bei den deutschen Soldaten in Incirlik verweigert. Im Oktober durften sie dann doch noch einreisen. Grund für die Verstimmung war damals, dass der Bundestag in einer Entschließung die im Osmanischen Reich an den Armeniern begangenen Massaker als Völkermord eingestuft hatte, obwohl der Europäische Menschengerichtshof in einem Urteil dem widersprochen hatte.

Später führte der Wahlkampf vor dem Referendum zur türkischen Verfassungsreform zu neuen Spannungen im deutsch-türkischen Verhältnis, die sich nun noch einmal deutlich verschärfen dürften. Die Türkei und Deutschland sind Nato-Partner. Das Besuchsverbot ist für die Bundesregierung aber vor allem inakzeptabel, weil der Bundestag über jeden bewaffneten Einsatz der Bundeswehr entscheidet. Die Truppe wird deshalb auch als "Parlamentsarmee" bezeichnet.

Das Verteidigungsministerium hat bereits Alternativstandorte in Jordanien, Kuwait und auf Zypern geprüft. Jordanien gilt als günstigste Option. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wäre der Einsatz von dort aber nur mit Abstrichen möglich. Eine Truppenverlegung würde Monate dauern, sagte Sprecher Jens Flosdorff.

Deutschland erwägt wegen eines neuen Streits mit der Türkei den Abzug der Bundeswehr-Soldaten vom Militärstützpunkt Incirlik. "Es muss selbstverständlich möglich sein, dass Abgeordnete des Deutschen Bundestags nach Incirlik reisen und dort die Truppe im Auslandseinsatz besuchen", betonte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin, nachdem eine für Dienstag geplante Reise des Wehrausschusses zu der Basis am Widerstand der Türkei gescheitert ist. Deutschland werde sich nun zwar weiter um eine Besuchserlaubnis bemühen, aber auch "Alternativstandorte ins Auge fassen". Das Verhalten der Türkei sei ein Stolperstein im gemeinsamen Bemühen, die Extremistenmiliz IS niederzuringen, kritisierte das Auswärtige Amt. Auslöser des neuerlichen Besuchsverbotes sei offenbar die Verärgerung der Regierung in Ankara darüber, dass türkische Soldaten in Deutschland Asyl erhalten hatten. SPD und Grüne forderten den Abzug aus Incirlik.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich von der türkischen Haltung irritiert. "Das ist misslich, und wir haben das auch auf den verschiedenen Kanälen klar gemacht", sagte sie. "Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Damit ist es absolut notwendig, dass Besuchsmöglichkeiten für unsere Abgeordneten bestehen bei ihren Soldatinnen und Soldaten." Die deutsch-türkischen Beziehungen sind seit Monaten angespannt, unter anderem wegen der Verhaftung deutscher Journalisten, denen in der Türkei Verbreitung von Terrorpropaganda vorgeworfen wird.

Derzeit sind rund 250 deutsche Soldaten mit sechs Tornado-Jets in Incirlik stationiert. Sie sind Teil des Einsatzes gegen den IS und starten von der Türkei aus zu Aufklärungsflügen über Syrien und dem Irak. Außerdem unterstützt die Bundeswehr die Mission mit einem Tank-Airbus. Bereits im Herbst 2016 hatte es Streit über das Besuchsrecht deutscher Abgeordneter in Incirlikgegeben. Nach längeren Verhandlungen durften die Parlamentarier schließlich im Oktober auf den Stützpunkt reisen. Die Bundeswehr prüfte im Auftrag des Bundestags allerdings auch Alternativen zum Standort Incirlik. Dabei schnitt Jordanien, das anders als die Türkei kein Nato-Partner ist, am besten ab.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel wolle das neuerliche Besuchsverbot beim Treffen der Anti-IS-Koalition in einigen Tagen in Washington ansprechen, kündigte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, an. Die Bundesregierung habe sich seit Anfang April darum bemüht, den Besuch der Abgeordneten möglich zu machen. Gabriel selbst habe das Thema vor einigen Tagen gegenüber dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim angesprochen. Es sei absolut inakzeptabel, dass der schon vor Wochen angekündigte Besuch nun nicht möglich sein werde. "Die Bundeswehr wird vom Deutschen Bundestag mandatiert, und der Besuch der Soldaten im Einsatz muss den Abgeordneten möglich sein", betonte Schäfer.

Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Jens Flosdorff, sagte, aus militärischer Sicht bieteIncirlik die günstigsten Voraussetzungen für den Anti-IS-Einsatz. Danach sei Jordanien die beste Alternative, auch wenn eine Verlegung Einschränkungen mit Blick auf die Sicherheit und die enge Abstimmung mit den Partnern bedeuten würde. Die Bundeswehr werde den Standort Jordanien nun weiter prüfen, um gegebenenfalls dorthin ausweichen zu können. Ein Umzug würde aber einige Monate dauern. "Niemand plant jetzt sofortige und schnelle Maßnahmen, auch die politischen Vorentscheidungen würden einige Zeit in Anspruch nehmen", sagte Flosdorff. Neben der Bundeswehr nutzt unter anderem die US-Armee Incirlik als eine Basis für den Einsatz gegen den IS.

Die Bundesregierung will ihre Kritik an der Türkei auch abseits des Besuchsverbots aufrechterhalten. Man werde Fälle wie den des inhaftierten "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel auch künftig zur Sprache bringen, sagte Schäfer. Er dämpfte zugleich Hoffnungen der Türkei auf deutsche Wirtschaftshilfe. Die aktuellen Erlebnisse machten die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei nicht leichter, erklärte er.

Die SPD forderte den Abzug der deutschen Soldaten aus Incirlik. "So können unsere Soldaten nicht in der Türkei stationiert bleiben", erklärte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Christine Lambrecht, laut Reuters.


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