Politik

Washington Post: „Das deutsche Militär hat ein Nazi-Problem“

Lesezeit: 4 min
20.05.2017 03:18
Die Washington Post zeichnet ein düsteres Bild von der Bundeswehr. (Artikel nur für Abonnenten zugänglich)
Washington Post: „Das deutsche Militär hat ein Nazi-Problem“

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Die europäische Migrantenkrise und die Abneigung gegenüber Fremden hätten in Deutschland und in allen anderen Staaten des europäischen Kontinents Verachtung und sogar Gewalt gegen Flüchtlinge ausgelöst, so die Washington Post in einem Artikel mit der Überschrift "Die deutschen Armee hat ein Nazi-Problem". Die Zeitung zeichnet in dem Bericht ein düsteres Bild der deutschen Gesellschaft. Bemerkenswert ist, dass die Willkommenskultur aus der Zeit des Beginns der Flüchtlingskrise nicht erwähnt wird. Auch die vielen Anti-Rassismus-Demonstrationen werden nicht genannt. Deutschland müsse als Land wissen, welche extremistischen Auswüchse die Fremdenfeindlichkeit haben könne: Es sei "die Nation, die die Nazis geboren hatte".

Derzeit hätten die deutschen Regierungsmitglieder ihr Augenmerk auf die Bundeswehr gerichtet, um Gruppierungen auszusondern, die eine gefährliche Kombination von extremistischen, nationalsozialistischen Ansichten aufweisen und gleichzeitig einen Zugang zu militärischen Waffen hätten. Vertreter der Bundeswehr planen, jede einzelne Kaserne nach Erinnerungsstücken zu durchsuchen, die Adolf Hitlers Regime glorifizieren. In Deutschland gebe es ein Verbot von Nazisymbolen. Doch in zwei Kasernen seien derartige Symbole vorgefunden worden. Die Entdeckungen wurden gemacht, als Beamte gegen einen Soldaten ermittelten, der nach Angaben der deutschen Staatsanwaltschaft aufgrund seiner rechten Gesinnung einen Terror-Anschlag geplant habe. Der Rechtsextremist habe sich als syrischer Flüchtling getarnt und kam in einem Flüchtlingsheim unter. Er habe Kleidung, eine Unterkunft und sogar staatliche Zahlungen erhalten.

Die Ermittler, die die Spuren des Verdächtigen zurückverfolgten, reisten in die Kaserne des Soldaten in der Nähe von Straßburg im Nordosten Frankreichs und fanden in einem Gemeinschaftsraum Erinnerungsstücke der deutschen Armee aus der Hitler-Ära, so die Washington Post. In einer weiteren Kaserne in Südwestdeutschland, die nicht im Zusammenhang mit dem Fall steht, hätten die Ermittler Helme aus der Nazizeit entdeckt. An der Wand der Kaserne sollen sich Bilder von aktuellen Bundeswehrsoldaten in Naziuniformen befunden haben.

Die Vorfälle sollen "besonders erschütternd" sein, weil Deutschland besonders sensibel auf seine Nazi-Vergangenheit reagiere. Die Washington Post-Journalisten Stephanie Kirchner und Anthony Faiola umschreiben die Nazi-Funde in den Kasernen als "das ultimative kulturelle Minenfeld".

Nach dem Zweiten Weltkrieg hätte Deutschland versucht, sich zu entnazifizieren, so das Blatt. Es wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz gegründet, das die Menschen zur Rechenschaft ziehen sollte, die gegen die Anti-Nazi-Gesetze verstoßen. Im vergangenen Jahr hätte eine Person als Teil eines Kunstprojekts ein großes Hitler-Portrait auf eine Hauswand projiziert. Ein Autofahrer habe anschließend die Polizei benachrichtigt.

Nach Angaben von Andrew Srulevitch, Europa-Chef der Anti Defamation League (ADL), habe Europa einen Aufschwung an rechten Parteien erlebt, da die Flüchtlingskrise die Angst vor einer kulturellen Überfremdung auslöste. Einige Rechtsextremisten hätten angefangen, historische Personen ihrer Staaten, die ein ähnliches Gedankengut haben, zu umschwärmen, sagte Srulevitch der Washington Post. "Du denkst, es wäre ein Tabu. Doch über eine gewisse Zeit sehen wir, dass dies verblasst", so der ADL-Vertreter. Srulevitch sagte, die ADL sei zwar erfreut, dass die Bundeswehr den Rechtsextremismus sehr ernst nehme. Doch gehe von Nazis in der Bundeswehr eine besondere Gefahr aus, "weil sie Zugang zu gefährlichen Waffen haben".

In Deutschland hätten Moscheen und jüdische Zentren Anschlagsdrohungen erhalten. Vor kurzem sei ein 66-jähriger Mann verhaftet worden, nachdem er auf Social Media veröffentlicht hatte, dass er "Juden und Muslime vernichten" wolle und den Tod von Journalisten, Bankern und Polizeibeamten forderte, so das Blatt. Bei dem Mann handelte es sich um Burkhard Bangert.

Bereits im März 2017 hatten die Washington Post-Journalisten Faiola und Kirchner in einem Bericht ausgeführt, dass der Hass in den sozialen Medien in Deutschland der Auslöser für rechtsextreme Gewalt sein soll. Burkhard Bangert soll den Reichsbürgern angehört haben.

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) hat in der Debatte über Rechtsextremismus in der Bundeswehr davor gewarnt, die im Sommer beginnenden Sicherheitsüberprüfungen für neue Rekruten zu überschätzen. Bei einer Überprüfung der Stufe eins könne nicht tief in die Köpfe hineingeschaut werden. "Ein Mann wie Franco A., der keinerlei Vorstrafen hatte, wäre allein durch eine solche Überprüfung vermutlich nicht aufgefallen", sagte MAD-Präsident Christof Gramm dem Spiegel.

Der MAD wird ab Juli jeden Bewerber für eine Soldatenlaufbahn durchleuchten, um Extremisten von der Truppe fernzuhalten. Bisher müssen Rekruten lediglich ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und sich zum Grundgesetz bekennen.

Sein Dienst müsse "insbesondere mehr in der Prävention tun und möglichst vor die Welle kommen", sagte Gramm. Zukünftig wolle der MAD Kommandeure und Soldaten besser aufklären, wie man schon den Beginn einer Radikalisierung erkenne. "Niemand wird als Extremist geboren, es ist immer ein Prozess", sagte Gramm und fügte hinzu: "Wir als MAD müssen der Truppe helfen, die Anfänge dieser Prozesse besser zu erkennen."

Gramm betonte, der MAD dürfe sich nach den aktuellen Festnahmen nicht "der Illusion eines Einzelfalls" hingeben: "Der Fall Franco A. gibt Anlass zur Sorge, dass ein Dunkelfeld besteht, das wir bisher nicht entdeckt haben." Derzeit bekomme der Dienst "eine ganze Fülle von Meldungen", in der Truppe habe es nach der Entdeckung der rechten Zelle offensichtlich einen Sensibilitätsschub gegeben.

An der Bundeswehr-Universität in München gibt es einem Pressebericht zufolge womöglich seit Jahren ein rechtsextremes Netzwerk. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete am Freitag unter Berufung auf eigene Recherchen, es gebe zahlreiche Verbindungen zwischen Studenten und Absolventen der Universität zur rechtsextremen sogenannten Identitären Bewegung, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Unter Berufung auf den Verteidigungsausschuss des Bundestages heißt es weiter, derzeit überprüfe der Militärische Abschirmdienst (MAD) vier Studenten der Bundeswehr-Universität wegen des Verdachts auf Rechtsextremismus.

Der Nachrichtendienst muss unter anderem ermitteln, ob die Studenten auch Kontakt hatten zum terrorverdächtigen Oberleutnant Franco A. oder zu seinem mutmaßlichen Komplizen Maximilian T., der an der Bundeswehr-Universität studierte. Die beiden Soldaten werden verdächtigt, einen Anschlag geplant zu haben.

Insgesamt überprüft der MAD derzeit 284 Rechtsextremismus-Verdachtsfälle in der Bundeswehr, darunter elf Studenten. Nach einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschlands (RND) sind auch Soldaten in Bremerhaven, Torgelow (Mecklenburg-Vorpommern), Bischofswiesen (Bayern) und Munster (Niedersachen) im Visier des Nachrichtendienstes.

Wie das RND weiter unter Berufung auf den Verteidigungsausschuss berichtete, gibt es Hinweise auf eine womöglich direkte Verbindung zwischen Maximilian T., der "Identitären Bewegung" und einem bislang nicht aufgeklärten Waffendiebstahl.

Am 13. Februar wurde auf dem Truppenübungsplatz Munster demnach ein "Fuchs"-Panzer aufgebrochen, aus dem die Täter unter anderem zwei G36-Sturmgewehre, zwei Funkgeräte, Magazine sowie ein sogenanntes Doppelfernrohr erbeuteten. Unmittelbar vor dem Diebstahl soll Maximilian T. über Facebook Kontakt zu einem Soldaten G. in Munster aufgenommen haben. Dieser soll einer der vier Münchner Studenten mit Verbindungen zur "Identitäten Bewegung" sein.

Die ursprünglich aus Frankreich stammende "Identitäre Bewegung" ist seit 2012 auch in Deutschland aktiv. Die Gruppe macht gegen eine "Masseneinwanderung" und eine "Islamisierung Europas" mobil. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte im August erklärt, dass es die Gruppierung mit etwa 300 Mitgliedern beobachte.

Die Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion für Sicherheitspolitik und Abrüstung, Agnieszka Brugger, wertete die neuesten Berichte als weiteren Beleg dafür, dass die Gefahr von Rechtsextremismus in der Bundeswehr unter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) "verantwortungslos ignoriert worden ist".

An der Bundeswehr-Universität in München gibt es nach Aussage des Historikers Michael Wolffsohn seit Jahren rechtsextreme Strukturen. Der emeritierte Professor der Hochschule sagte dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), es überrasche ihn nicht, dass nun ermittelt werde. Er weise schon seit Jahren auf das Problem hin.

Die Ursache sieht Wolffsohn in der Abschaffung der Wehrpflicht 2011. Seitdem habe sich die Allgemeinheit aus der Bundeswehr zurückgezogen. Das habe Extremisten angelockt. Für diese sei die Bundeswehr der ideale Nährboden: Sie würden kostenlos an Waffen ausgebildet und hätten auch Zugang zu Waffen und Munition, die man leicht entwenden könnte. Wolffsohn sagte, die Rechtsextremen seien nicht zu ihm in die Vorlesung gekommen, weil er Jude sei.


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