Politik

Energie-Krieg: US-Senat erklärt Europa zum Kampfgebiet

Der US-Senat verknüpft Energie-, Außen- und Kriegspolitik - und trifft Europa ins Mark. Deutschland ist auf die Auseinandersetzung schlecht vorbereitet.
18.06.2017 00:35
Lesezeit: 4 min

Die Aufregung der deutschen Bundesregierung war erheblich: Zuerst attackierten Außenminister Sigmar Gabriel und der österreichischen Bundeskanzler Christian Kern den Beschluss des US-Senats. Bei dem Gesetzentwurf gehe es eigentlich um den Verkauf amerikanischen Flüssiggases und die Verdrängung russischer Erdgaslieferungen vom europäischen Markt, teilte der SPD-Politiker gemeinsam mit dem österreichischen Bundeskanzler Christian Kern mit. Einen Tag später zog Bundeskanzlerin Angela Merkel nach. Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries drohte den Amerikanern ganz unverhohlen mit Gegensanktionen.

Der Beschluss des Senats hat es in der Tat in sich. Erstmals erklären Senatoren aus beiden Parteien, dass der Export von Erdöl und Erdgas ein Teil der amerikanischen Außenpolitik ist. Das Bestreben der Amerikaner, zum Weltmarktführer in diesem Bereich zu werden, ist seit längerem bekannt – wurde von der Bundesregierung allerdings übersehen.

Der maßgeblich von den Neocons um John McCain betriebene Beschluss scheint nun einigen europäischen Politikern die Augen geöffnet zu haben. Er fasst erstmals drei Bereiche zusammen: Kriegspolitik, Außenpolitik und Energiepolitik. Das Völkerrecht und die Handelsregeln der WTO sind nicht einmal mehr als Marginalien zu erkennen.

Die dpa hat dankenswerterweise den Beschluss übersetzt. Der Senat hat demnach beschlossen:

„Es ist Politik der Vereinigten Staaten,

(1) die Regierung der Ukraine dabei zu unterstützen, ihre hoheitliche und territoriale Unabhängigkeit zurückzugewinnen.

(2) allen destabilisierenden Bemühungen der Regierung der Russischen Föderation zu begegnen, die Russlands internationale und sonstigen Verpflichtungen verletzen.

(3) niemals die Annexion der Krim durch die Regierung der Russischen Föderation anzuerkennen oder die Abtrennung irgendeines Teiles des Staatsgebietes der Ukraine durch die Anwendung militärischer Gewalt.

(4) die Regierung der Russischen Föderation davon abzuschrecken, weitere Anstrengungen zur Destabilisierung und zur Invasion der Ukraine oder anderer unabhängiger Länder in Zentral- und Osteuropa oder im Kaukasus zu unternehmen.

(5) operativ bei der Einführung von Reformen bei der Regulierung des ukrainischen Energiesektors zu assistieren, mitsamt der Etablierung und Ausstattung einer unabhängigen Regulierungsbehörde.

(6) fairen Wettbewerb im ukrainischen Energiesektor zu fördern und zu unterstützen, genauso wie Marktliberalisierung und Zuverlässigkeit.

(7) der Ukraine und anderen Verbündeten der Vereinigten Staaten in Europa dabei zu helfen, ihre Abhängigkeit von russischen Energie-Ressourcen zu verringern, speziell beim Erdgas, das die Regierung der Russischen Föderation als Waffe einsetzt, andere Staaten zu nötigen, zu beeinflussen und einzuschüchtern.

(8) mit den Ländern der Europäischen Union und ihren Institutionen zusammenzuarbeiten, um Energiesicherheit durch die Entwicklung diversifizierter und liberalisierter Energiemärkte zu gewährleisten, die diversifizierte Ressourcen bereithalten, Lieferanten und Lieferwege.

(9) weiterhin die Pipeline Nordstream 2 abzulehnen, wegen ihrer schädlichen Einflüsse auf die Energiesicherheit der Europäischen Union und die Gasmarkt-Entwicklung in Zentral- und Osteuropa sowie auf die Energiereformen in der Ukraine.

(10) dass die Regierung der Vereinigten Staaten den Export von US-Energie-Ressourcen als Priorität ansieht, um in Amerika Arbeitsplätze zu schaffen, amerikanischen Verbündeten zu helfen und die Außenpolitik der USA zu stärken.“

Russlands Präsident Wladimir Putin hat vergleichsweise moderat reagiert und lediglich vor einer Verschlechterung der Beziehungen zu den USA gewarnt. „Das wird sicherlich die Beziehung zwischen Russland und den USA kompliziert machen“, sagte Putin der TASS zufolge in Moskau in der Sendung „Nachrichten am Samstag“. Es sei jedoch noch zu früh, um über Gegenmaßnahmen nachzudenken, sagte Putin: „Was und welche Entscheidungen schlussendlich in Übersee getroffen werden, das wird uns nicht in eine Sackgasse führen.“ Die Maßnahmen, die Russland als Reaktion treffen könnte, würden keinen Kollaps verursachen.

Die Europäer finden sich nun in der misslichen Lage, auf den von ihnen seit Monaten verteufelten US-Präsidenten Trump hoffen zu müssen. Zypries hatte das ausdrücklich so gesagt – eine bemerkenswerte Kehrtwende aus einer Partei, deren früherer Außenminister Frank-Walter Steinmeier Trump im Wahlkampf als „Hassprediger“ bezeichnet hatte.

Trump dürfte allerdings keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Europäer nehmen. In Syrien arbeiten das Pentagon und die russische Militärführung zusammen. In Libyen versuchen Moskau und Washington, ihre Interessen abzustimmen. In der EU haben die Amerikaner die Polen als Verbündete, die mit allen Mitteln gegen Nord Stream 2 kämpfen. Das Land will selbst Energie-Hub in Europa werden und Deutschland diesen Anspruch streitig machen.

Deutschland befindet sich in mehrfacher Hinsicht in einer misslichen Lage: Kernenergie und Kohle wurden abgeschafft. Die Erneuerbaren Energien können eine Industrienation nicht zu 100 Prozent versorgen. Zugleich haben die Bundesregierung und einige Ideologen in der EU alles unternommen, um Putin als die größte Bedrohung Europas darzustellen.

Doch Russland ist – mit oder ohne Putin – vor allem ein Energie-Lieferant. Als solcher ist Russland trotz widrigster Umstände seinen Verpflichtungen stets verlässlich nachgekommen. Das hatte sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Höhepunkt des Gasstreits im Zuge der Ukraine-Krise eingeräumt.

Das dürfte sich auch nicht ändern: Denn anders als die russischen Nationalisten ist Putin ein Pragmatiker. Er mag als Geschäftsmann auch gelegentlich in die eigene Tasche wirtschaften – das kennt man allerdings auch von den transatlantischen Freunden: Die Biden-Familie ist in der Ukraine engagiert. Die Verstrickungen des früheren US-Verteidigungsministers Dick Cheney in der Energie-Branche sind legendär.

Trump hat den Europäern eine besondere Falle gestellt: Diese sollen ihre Militär-Budgets drastisch erhöhen. Dies wird, wenn es geschieht, dazu führen, dass das Geld an anderer Stelle fehlt – noch dazu, wenn die Zinsen irgendwann wieder steigen und das Schuldenmachen nicht mehr ohne Kosten möglich ist. Die Spielräume für Investitionen im Energiebereich werden enger. Zur selben Zeit könnten sich die USA und Russland an die gemeinsame Ausbeutung der Arktis machen. Die Europäer sind zu Zusehen verdammt. Sie müssen als Kunden darauf hoffen, dass die beiden großen Player USA und Russland bei den Preisen nicht über die Stränge schlagen.

Trump hatte von Anfang an erkennen lassen, dass er Deutschland als Wettbewerber attackieren will. Eine Abwehrstrategie müsste mit eiskalter Ratio und Sachverstand in finanz- und energiepolitischen Fragen geführt werden. Das politische Personal in Berlin ist allerdings durch ideologische Zwänge blockiert. Es fehlen Weitsicht, ökonomische Expertise und die Bereitschaft, nationale Interessen zu formulieren und zu vertreten. Die EU kann diese Aufgabe nicht übernehmen, weil die nationalen Interessen der EU-Staaten gegeneinander stehen. Außerdem fehlt der EU eine echte, gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP).

Der US-Senat hat Europa zum Kampfgebiet in einem seit Jahren tobenden Energiekrieg erklärt. Das ist nicht besonders angenehm, aber jetzt liegen die Karten wenigstens offen auf dem Tisch. Bisher hatte sich die Bundesregierung hartnäckig geweigert, die Kriege im Irak, in Syrien und in Libyen als Teil des Kampfs um die Vorherrschaft in der Energieversorgung zu sehen. Das könnte sich ändern, weil die Einschläge nun näher kommen. Eine militärische Auseinandersetzung in Europa ist eher unwahrscheinlich, weil Amerikaner und Russen mit den Europäern Geschäfte machen wollen. Doch der Ton des Senats-Beschlusses lässt keinen Zweifel daran, dass diese Auseinandersetzung mit harten Bandagen geführt werden wird.

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