Politik

Studie: Zehntausende Flüchtlinge kommen über Balkan-Route nach Europa

Die Balkan-Route wird trotz der diversen Grenzschutzmaßnahmen der Anrainer-Staaten weiter von tausenden Migranten und Flüchtlingen frequentiert,
24.06.2017 00:43
Lesezeit: 3 min

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Einer Studie der Friedrich Ebert-Stiftung (FES) zufolge wandern noch immer zehntausende Migranten jedes Jahr über die sogenannte Balkan-Route illegal von der Türkei aus nach Europa ein – meist über die Grenze zu Bulgarien. Das zwischen der EU und der Türkei im vergangenen Jahr geschlossene Abkommen sollte die illegale Grenz-Immigration eigentlich vollständig unterbinden und durch eine geregelte Aufnahme von Flüchtlingen aus anerkannten Krisengebieten ersetzen.

„Die Kombination einer Grenzschließung zwischen Griechenland und Mazedonien und dem EU-Türkei-Abkommen resultierte nicht in der Schließung der Balkan-Route. Stattdessen verschob sich nur der Eintrittspunkt auf die Route von der Ägäis zur türkisch-bulgarischen Landgrenze. Professionelle Menschenschlepper ermöglichen weiterhin den Transit von Asylbewerbern auf dem Balkan. Das Resultat ist, dass jedes Jahr immer noch zehntausende Migranten über die Balkan-Route nach Europa kommen“, schreibt die FES.

Problematisch an der gegenwärtigen Situation sei auch der Umstand, dass viele Migranten auf dem Weg nach Mitteleuropa Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Diese resultieren nicht zuletzt daraus, dass es keine EU-weite Zusammenarbeit zwischen den Staaten gibt und das Problem seit Beginn des Abkommens mit der Türkei weitgehend aus den Medien verschwunden ist. „Um den Zustrom zu unterbinden, mussten die entlang der Route gelegenen Staaten – Bulgarien im Süden und Ungarn und Kroatien im Norden – Menschenrechte beschneiden (beispielsweise durch erzwungene Rückführungen von Migranten) und haben de fakto die heimische Asylgesetzgebung ebenso wie Bestimmungen der europäischen und internationalen Menschenrechtskonventionen außer Kraft gesetzt. Diese Politik wurde insbesondere von Ungarn angewendet und hat dazu geführt, dass insbesondere in Mazedonien und Serbien viele Migranten gestrandet sind. Die EU-Institutionen und andere Mitgliedsstaaten, die nicht Teil der Balkan-Route sind, haben auf diese Entwicklungen mit Schweigen und Ignoranz reagiert“, heißt es in der Studie.

Die FES kritisiert vor allem, dass Migranten und Asylbewerber illegal in andere Regionen zurückgeschickt werden: "Die doppelte Wirkung der partiellen Abdichtung der Südausgang der Balkanroute und um so mehr die komplette Abdichtung der nördlichen Ausfahrt haben einen Engpass in den westlichen Balkanländern geschaffen. Gefangen dazwischen sind Mazedonien, und vor allem Serbien, wo die Mehrheit der Flüchtlinge und Migranten feststeckt. Beide Länder wurden grundsätzlich gezwungen... Verwendung des sicheren Drittlandkonzepts als Werkzeug wird den Flüchtlingen der internationale Schutz systematisch verweigert. Dieses Konzept steht im Mittelpunkt des EU-Abkommens mit der Türkei. Ungarn dient als ,Vorbild'... Von den beiden westlichen Balkanländern hat vor allem Serbien ist in doppelter Hinsicht betroffen: Das Land wurde dazu gedrängt, illegale, antidemokratische Praktiken zu verwenden und zugleich ist das Land von der Krise massiv belastet. Das Elend von Migranten und Flüchtlingen auf der Balkan-Route ist nirgendwo deutlicher sichtbar als in Serbien. Die Institutionen der sowie die Mitgliedsstaaten, die nicht an der Balkan-Route liegen, haben sich entschieden, stillzuhalten und zu das Problem zu ignorieren..."

Eine gemeinsame, EU-weite Strategie bezüglich der Einwanderung nach Europa zeichnet sich derzeit nicht ab. Die Staats- und Regierungschefs haben nicht einmal eine Einigung über die Verteilung von bereits in Europa befindlichen Flüchtlingen erreicht. In der Abschlusserklärung des EU-Gipfels am Freitag in Brüssel wurde der Ministerrat aber aufgerufen, seine Arbeiten an der Reform der Asylpolitik fortzusetzen. Auf Chefebene wolle man im Europäische Rat ebenfalls auf das Thema zurückkommen. Die Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, Ska Keller, warf den Regierungen der EU Versagen vor.

Die EU-Staaten hatten im September 2015 mit qualifizierter Mehrheit die Verteilung von 160.000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland auf die anderen Mitgliedsländer beschlossen. Mehrere osteuropäische Länder sträuben sich aber dagegen. Die EU-Kommission hat deshalb Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn, Polen und Tschechien eröffnet. Ungarn lässt sich davon nicht beeindrucken: Viktor Orban erklärte in Brüssel laut ORF, dass sich sein Land niemals einer EU-Quote unterwerfen werde.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in Brüssel, dass sie an dem Prinzip der Bereitschaft zur Solidarität festhalten werde. Nach Angaben von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, der als einer der schärfsten Kritiker Merkels in der Flüchtlingspolitik gilt, soll zunächst eine Einigung in den Punkten erreicht werden, bei denen es die meisten Schnittmengen gebe. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte einen solchen Strategiewechsel bereits ins Spiel gebracht. Demnach sollen zunächst gemeinsame Regeln bei Asylverfahren oder dem Austausch von Informationen über ankommende Migranten vereinbart und die EU-Außengrenzen besser geschützt werden. Erst danach wollen die EU-Staaten die strittige Frage der Verteilung angehen.

Weil es in der EU bis heute keine gemeinsame Linie bezüglich der Migration und des Grenzschutzes gibt, werde in der unklaren Lage die unregistrierte Immigration indirekt befördert, wenn man die FES-Zahlen als Grundlage nimmt. Demnach werden Migranten und Asylbewerber geradezu in die Illegalität getrieben.

Österreich hatte zuletzt erklärt, dass die Balkan-Route geschlossen sei. Die Erkenntnisse der FES widerlegen diese Behauptung. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hatte die Schließung für sich reklamiert und damit der FPÖ ihr wichtigstes Thema weggenommen. Seit kurzem ist der Außenminister auch Chef der ÖVP und führt die Umfragen an. Er fordert nun auch die Schließung der Mittelmeerroute - ein Ansinnen, das faktisch nicht zu bewältigen ist, weil sich die nordafrikanischen Staaten weigern, die Migranten und Flüchtlinge zurückzunehmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte vor einigen Monaten versucht, Algerien und Tunesien zu einem Deal wie jenem mit der Türkei zu bewegen. Doch die Staaten erteilten der Kanzlerin eine Abfuhr.

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