Finanzen

Ende der expansiven Geldpolitik führt zu Verwerfungen am Anleihe-Markt

Die Stabilität im Markt für europäische Anleihen wird einzig und allein von der EZB garantiert. Fährt diese ihre Käufe zurück, drohen schwere Verwerfungen.
31.08.2017 17:22
Lesezeit: 2 min

Ein interessanter Lagebericht von Reuters führt zu der Erkenntnis, dass die Stabilität des europäischen Anleihenmarktes einzig und allein den Interventionen der EZB beruht:

Der Abschied von ihren billionenschweren Anleihenkäufen wird für die Europäische Zentralbank (EZB) eine heikle Mission. Das gilt selbst dann, wenn sie dabei äußerst behutsam vorgeht, berichtet Reuters. Denn inzwischen haben sich die Finanzmärkte an den beispiellosen Zufluss an günstiger Liquidität gewöhnt. Wenn die EZB die ständigen Finanzspritzen allmählich niedriger dosieren wird, drohen starke Verwerfungen an den Börsen. Doch die Währungshüter haben ein Mittel, das die schwierige Entwöhnung erträglicher machen könnte. Sie können diesen Prozess steuern, indem sie Gelder aus fällig gewordenen Anleihen zurück in den Markt pumpen.

Banken gehen davon aus, dass solche Reinvestitionen ab dem kommendem Jahr stetig zunehmen werden. Demnach dürfte dadurch das Abschmelzen der Anleihekäufe auf null weniger schmerzlich ausfallen. Die zunehmenden Reinvestitionen werden der Notenbank bei ihrem Vorhaben helfen, sagt Zinsstratege Kim Liu vom Bankhaus ABN Amro voraus. „Diese sind erheblich und bedeuten, dass die EZB noch über Jahre ein bedeutender Akteur am Anleihenmarkt der Euro-Zone sein wird.“

Die Zentralbank selbst hält sich allerdings darüber bedeckt, wie sie die Gelder aus fällig gewordenen Papieren reinvestiert. Sie hat lediglich angekündigt, dies flexibel und so lange wie erforderlich zu machen. Nach EZB-Angaben müssen die Rückzahlungen nicht sofort wiederangelegt werden, sondern die Notenbank kann ein paar Monate warten. Dies gibt ihr den nötigen Spielraum, um die Transaktionen beim Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik als Instrument der Feinsteuerung einzusetzen.

Die meisten Gelder aus fällig gewordenen Papieren werden Experten zufolge in Bundesanleihen fließen. Auch italienische und französische Staatspapiere dürften besonders betroffen sein. Dies ist eine Folge des sogenannten Kapitalschlüssels. Er bestimmt, in welchem Ausmaß Schuldtitel eines bestimmten Euro-Landes erworben werden. Zentrale Kriterien dafür sind die Wirtschaftskraft der Staaten sowie deren Anteil an der Finanzierung der EZB.

Die EZB erwirbt seit März 2015 in großem Stil Staatsanleihen und andere Wertpapiere. Damit will sie die Konjunktur anschieben und die aus ihrer Sicht zu niedrige Inflation im Währungsraum nach oben treiben. Sie erwarb zunächst öffentliche Schuldtitel mit Laufzeiten von zwei bis 30 Jahren, inzwischen kauft sie Papiere ab einem Jahr Laufzeit. Das Gesamtprogramm ist mittlerweile auf 2,28 Billionen Euro angelegt.

Laut EZB-Präsident Mario Draghi soll im Herbst über die Zukunft der Anleihekäufe beraten werden. Die meisten Experten gehen davon aus, dass die Notenbank die monatlichen Transaktionen ab Januar kommenden Jahres drosseln und dann mit der Zeit komplett abschmelzen wird. Die Commerzbank-Volkswirte Jörg Krämer und Michael Schubert rechnen damit, dass die EZB dabei so langsam wie möglich vorgeht. „Konkret erwarten wir, dass sie im Herbst für das erste Halbjahr 2018 reduzierte Käufe von vermutlich 40 Milliarden Euro beschließt, die weitere Entwicklung aber bewusst offenlässt“, schätzen die beiden. Aktuell liegt das Volumen der monatlichen Käufe mit 60 Milliarden Euro deutlich höher.

Dass die Börsen das Tapering wohl nicht so leicht verdauen werden, musste Draghi im Juli schmerzlich erfahren. Als er in einer Rede andeutete, die EZB könne wegen der Wirtschaftserholung künftig womöglich einen weniger expansiven Kurs fahren, reagierten die Finanzmärkte heftig. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen kletterte auf ein 18-Wochenhoch, auch der Kurs des Euro schoss nach oben. Dies weckte Erinnerungen an die Marktverwerfungen vor vier Jahren, die als Wortspiel „Taper Tantrum“ („Entzugs-Wutanfall“) in die Finanzgeschichte eingingen. Damals hatte der seinerzeitige US-Notenbankchef Ben Bernanke gewagt, erstmals ein Zurückfahren der Anleihekäufe der Fed zu signalisieren. Ähnliche Börsenreaktionen will Draghi nun tunlichst vermeiden.

Helfen könnte ihm dabei die Reinvestition ausgelaufener Anleihen. Laut Berechnungen von ABN Amro könnte sich das Volumen derartiger Transaktionen in den nächsten drei Jahren auf 640 Milliarden Euro summieren. Die ersten Rückzahlungen aus fällig gewordenen Anleihen gab es im März. Daher ist der Umfang der Reinvestitionen bislang noch niedrig. Nach Kalkulationen der Societe Generale lagen sie zwischen März und Juni lediglich bei 1,2 Milliarden Euro pro Monat. Im ersten Halbjahr 2018 könnten es demnach durchschnittlich aber schon 8,2 Milliarden Euro sein. Das Bankhaus ING sagt für das komplette nächste Jahr einen Monatsschnitt von 11,5 Milliarden Euro an Reinvestitionen voraus, davon 3,3 Milliarden in deutsche Schuldtitel.

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