Finanzen

EZB will Verwerfungen der Finanzmärkte durch Re-Investitionen verhindern

Lesezeit: 2 min
01.09.2017 02:49
Die EZB könnte durch Reinvestitionen von fällig gewordenen Anleihen einen Schock beim Auslaufen des aktuellen Ankaufsprogramms verhindern.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Dhara Ranasinghe von Reuters analysiert eine Möglichkeit der EZB, Verwerfungen an den Märkten zum Ende des umstrittenen Anleihen-Ankaufsprogramms zu verhindern:

Der Abschied von ihren billionenschweren Anleihenkäufen wird für die Europäische Zentralbank (EZB) eine heikle Mission. Das gilt selbst dann, wenn sie dabei äußerst behutsam vorgeht. Denn inzwischen haben sich die Finanzmärkte an den beispiellosen Zufluss an billigem Geld gewöhnt. Wenn die EZB die ständigen Finanzspritzen allmählich niedriger dosieren wird, drohen starke Verwerfungen an den Börsen. Doch die Währungshüter haben ein Mittel, das die schwierige Entwöhnung erträglicher machen könnte. Sie können diesen Prozess steuern, indem sie Gelder aus fällig gewordenen Anleihen zurück in den Markt pumpen.

Banken gehen davon aus, dass solche Reinvestitionen ab kommendem Jahr stetig zunehmen werden. Demnach dürfte dadurch das Abschmelzen der Anleihenkäufe auf null - in der Fachwelt "Tapering" genannt - weniger schmerzlich ausfallen. Die zunehmenden Reinvestitionen werden der Notenbank bei ihrem Vorhaben helfen, sagt Zinsstratege Kim Liu vom Bankhaus ABN Amro voraus. "Diese sind erheblich und bedeuten, dass die EZB noch über Jahre ein bedeutender Akteur am Anleihenmarkt der Euro-Zone sein wird."

Die Zentralbank selbst hält sich allerdings darüber bedeckt, wie sie die Gelder aus fällig gewordenen Papieren reinvestiert. Sie hat lediglich angekündigt, dies flexibel und so lange wie erforderlich zu machen. Nach EZB-Angaben müssen die Rückzahlungen nicht sofort wiederangelegt werden, sondern die Notenbank kann ein paar Monate warten. Dies gibt ihr den nötigen Spielraum, um die Transaktionen beim Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik als Instrument der Feinsteuerung einzusetzen.

Die meisten Gelder aus fällig gewordenen Papieren werden Experten zufolge in Bundesanleihen fließen. Auch italienische und französische Staatspapiere dürften besonders betroffen sein. Dies ist eine Folge des sogenannten Kapitalschlüssels. Er bestimmt, in welchem Ausmaß Schuldtitel eines bestimmten Euro-Landes erworben werden. Zentrale Kriterien dafür sind die Wirtschaftskraft der Staaten sowie deren Anteil an der Finanzierung der EZB.

Die EZB erwirbt seit März 2015 in großem Stil Staatsanleihen und andere Wertpapiere. Damit will sie die Konjunktur anschieben und die aus ihrer Sicht zu niedrige Inflation im Währungsraum nach oben treiben. Sie erwarb zunächst öffentliche Schuldtitel mit Laufzeiten von zwei bis 30 Jahren, inzwischen kauft sie Papiere ab einem Jahr Laufzeit. Das Gesamtprogramm ist mittlerweile auf 2,28 Billionen Euro angelegt.

Laut EZB-Präsident Mario Draghi soll im Herbst über die Zukunft der Anleihenkäufe beraten werden. Die meisten Experten gehen davon aus, dass die Notenbank die monatlichen Transaktionen ab Januar kommenden Jahres drosseln und dann mit der Zeit komplett abschmelzen wird. Die Commerzbank-Volkswirte Jörg Krämer und Michael Schubert rechnen damit, dass die EZB dabei so langsam wie möglich vorgeht. "Konkret erwarten wir, dass sie im Herbst für das erste Halbjahr 2018 reduzierte Käufe von vermutlich 40 Milliarden Euro beschließt, die weitere Entwicklung aber bewusst offenlässt", schätzen die beiden. Aktuell liegt das Volumen der monatlichen Käufe mit 60 Milliarden Euro deutlich höher.

Dass die Börsen das Tapering wohl nicht so leicht verdauen werden, musste Draghi im Juni schmerzlich erfahren. Als er in einer Rede andeutete, die EZB könne wegen der Wirtschaftserholung künftig womöglich einen weniger expansiven Kurs fahren, reagierten die Finanzmärkte heftig. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen kletterte auf ein 18-Wochenhoch, auch der Kurs des Euro schoss nach oben. Dies weckte Erinnerungen an die Marktverwerfungen vor vier Jahren, die als Wortspiel "Taper Tantrum" ("Entzugs-Wutanfall") in die Finanzgeschichte eingingen. Damals hatte der seinerzeitige US-Notenbankchef Ben Bernanke gewagt, erstmals ein Zurückfahren der Anleihenkäufe der Fed zu signalisieren. Ähnliche Börsenreaktionen will Draghi nun tunlichst vermeiden.

Helfen könnte ihm dabei die Reinvestition ausgelaufener Anleihen. Laut Berechnungen von ABN Amro könnte sich das Volumen derartiger Transaktionen in den nächsten drei Jahren auf 640 Milliarden Euro summieren. Die ersten Rückzahlungen aus fällig gewordenen Anleihen gab es im März. Daher ist der Umfang der Reinvestitionen bislang noch niedrig. Nach Kalkulationen der Societe Generale lagen sie zwischen März und Juni lediglich bei 1,2 Milliarden Euro pro Monat. Im ersten Halbjahr 2018 könnten es demnach durchschnittlich aber schon 8,2 Milliarden Euro sein. Das Bankhaus ING sagt für das komplette nächste Jahr einen Monatsschnitt von 11,5 Milliarden Euro an Reinvestitionen voraus, davon 3,3 Milliarden in deutsche Schuldtitel.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Immobilien
Immobilien Förderung jetzt auch für Kauf denkmalgeschützter Häuser
21.12.2024

Wer ein altes Haus kauft und klimafreundlich saniert, bekommt oft Hilfe vom Staat. Das gilt künftig auch für Denkmäler.

DWN
Politik
Politik So wollen die Schweiz und die EU enger zusammenarbeiten
21.12.2024

Die Schweiz ist nicht in der EU, aber es gibt etliche Abkommen. Doch die sind teils veraltet. Das soll sich nun ändern. Was bedeutet das...

DWN
Panorama
Panorama Magdeburg: Anschlag auf Weihnachtsmarkt - fünf Tote, 200 Verletzte - Verdächtiger ist verwirrter Islam-Gegner
21.12.2024

Einen Tag nach der tödlichen Attacke auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg sitzt der Schock tief. Erste Details zum Tatverdächtigen werden...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Eine Erinnerung an ausreichend Risikokontrolle
21.12.2024

Die vergangene Woche brachte einen deutlichen Ausverkauf an den Aktienmärkten, der von Experten als gesunde Entwicklung gewertet wird....

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Kampf gegen Monopole: Europas Schlüsselrolle im Kampf gegen Big Tech und für den Klimaschutz
21.12.2024

Teresa Ribera steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Die sozialistische Vizepremierministerin Spaniens wurde im September von der...

DWN
Finanzen
Finanzen Nach Trumps missglücktem Finanztrick: Stillstand der US-Regierung doch noch abgewendet
21.12.2024

Der US-Kongress hat einen drohenden Stillstand der Regierungsgeschäfte im letzten Moment abgewendet. Nach dem Repräsentantenhaus...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Griechenlands Wirtschaft boomt: Erfolgreiche Steuerreformen und starke Investitionen treiben den Aufschwung
21.12.2024

Griechenlands Wirtschaft überrascht: Für 2025 erwartet das Land einen Haushaltsüberschuss von 13,5 Milliarden Euro – mehr als doppelt...

DWN
Panorama
Panorama Winterurlaub in Gefahr: Weniger Gäste in den Alpen erwartet
21.12.2024

Die Alpenregion, ein traditionell beliebtes Ziel für Wintersport und Erholung, steht in der neuen Saison vor Herausforderungen. Weniger...