Politik

Referendum: Katalonien will eigene Republik werden

Nach dem Referendum bereitet Katalonien die Abspaltung von Spanien vor.
02.10.2017 07:18
Lesezeit: 3 min

Die katalanische Regierung beansprucht nach dem von massiver Polizeigewalt überschatteten Unabhängigkeitsreferendum einen eigenen Staat für die spanische Region. "An diesem Tag der Hoffnung und des Leidens haben Kataloniens Bürger das Recht auf einen unabhängigen Staat in Form einer Republik erworben", sagte Regionalpräsident Carles Puigdemont am Sonntagabend in einer im Fernsehen übertragenen Ansprache. Nach Angaben der Regionalregierung stimmten 90 Prozent der Wähler für eine Loslösung von Spanien. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy erklärte die vom Verfassungsgericht als illegal eingestufte Abstimmung dagegen für ungültig. Es habe kein Unabhängigkeitsreferendum gegeben, sagte Rajoy. Er hoffe, dass die katalanische Führung den Weg verlassen, der nirgends hinführe. Die spanische Landespolizei hatte mit teils massiver Gewalt versucht, das Referendum zu unterbinden. Die Beamten stürmten Wahllokale und gingen gegen potenzielle Wähler teilweise in Kampfmontur mit Schlagstöcken und Gummigeschossen vor. Nach Angaben der Regionalregierung wurden mehr als 840 Menschen verletzt.

Ein Sprecher der Regionalregierung kündigte juristische Schritte gegen die Zentralregierung in Madrid an. Diese werde sich vor internationalen Gerichten wegen der Gewalt verantworten müssen. Auch im Ausland wurde Kritik am Vorgehen der Polizei laut. Rajoy lobte hingegen deren Einsatz. Zugleich äußerte er scharfe Kritik an der Regionalregierung. Diese habe gewusst, dass das Votum illegal sei und dennoch ihr Vorhaben vorangetrieben. Die Katalanen seien dazu verleitet worden, an einer gesetzeswidrigen Abstimmung teilzunehmen. Allerdings hätten sich die meisten von ihnen ohnehin nicht beteiligen wollen. Umfragen zufolge unterstützen lediglich 40 Prozent der Katalanen eine Abspaltung von Spanien. Eine Mehrheit befürwortete demnach jedoch die Abhaltung eines Referendums.

Rajoy kündigte an, ein Treffen aller politischen Parteien ansetzen, um gemeinsam über die Zukunft nachzudenken. Er selbst werde sich keiner Gelegenheit zum Dialog verschließen, aber man müsse sich im Rahmen des Gesetzes bewegen.

SCHWERSTE VERFASSUNGSKRISE SEIT JAHRZEHNTEN

Puigdemont kündigte dagegen an, in den kommenden Tagen die Ergebnisse der Abstimmung an das katalanische Parlament zu senden. Dort liege "die Souveränität unseres Volkes". Das Parlament könne dann in Übereinstimmung mit dem Gesetz, das dem Referendum zugrunde liege, handeln. Dieses vom Verfassungsgericht als illegal befundene Gesetz sieht eine einseitige Unabhängigkeitserklärung des Regionalparlaments vor, wenn die Mehrheit der Katalanen für eine Abspaltung von Spanien stimmen sollte. Trotz des Polizeieinsatzes war es vielen Katalanen gelungen, ihre Stimme abzugeben - teils auch, weil katalanische Polizeieinheiten anders als ihre Kollegen von der nationalen Polizei nichts gegen die Stimmabgabe unternahmen. Nach Auskunft der Regionalregierung gaben 2,26 Millionen Wähler ihre Stimme ab. Dies entspreche 42,3 Prozent der wahlberechtigten Katalanen.

Die Volksabstimmung ist nicht bindend und wurde vom Verfassungsgericht für rechtswidrig erklärt. Die Richter beriefen sich auf die gesetzlich verankerte Unteilbarkeit des spanischen Staates. Der Streit über die Abstimmung hat das Land in die schwerste Verfassungskrise seit Jahrzehnten gestürzt.

Katalonien ist eine wohlhabende Region an der Grenze zu Frankreich, in der mit Katalanisch eine eigene Sprache gesprochen und ein Fünftel der spanischen Wirtschaftsleistung erzielt wird. Befürworter der Unabhängigkeit argumentieren, dass es der Region ohne Transferzahlungen an ärmere Gebiete Spaniens noch besser ginge. Die Regierung in Madrid warnte hingegen, dass eine Abspaltung Katalonien in die Rezession stürzen könne.

GEISTERSPIEL DES FC BARCELONA AUS PROTEST GEGEN GEWALT

In Girona vertrieben Polizisten Menschen gewaltsam aus dem Wahllokal. Katalanische Feuerwehrleute stellten sich schützend zwischen die Menschen und die Polizeikräfte. Ebenfalls in Girona brachen spanische Polizisten die Türen eines Wahllokals auf, Minuten bevor Puigdemont seine Stimme abgeben wollte. Anwesende Wähler sangen die katalanische Hymne. Puigdemont gab später seine Stimme an einem anderen Ort ab.

An einer Kreuzung in Barcelona feuerten spanische Sicherheitskräfte Medienberichten zufolge Gummigeschosse ab. Vor einem Wahllokal in Barcelona kam es zu Rangeleien zwischen spanischen Polizisten und Hunderten Wählern. Diese skandierten: "Wir sind Menschen des Friedens." Aus einem weiteren Wahllokal schleppten Polizisten Wahlurnen. Anwesende riefen: "Besatzungsmacht raus!" In Videoaufnahmen war zu sehen, wie Polizisten auf Befürworter des Referendums eintraten und diese an den Haaren zogen. Der FC Barcelona trug aus Protest gegen den Polizeieinsatz das Ligaspiel gegen Las Palmas vor leeren Rängen aus.

"Ich bin früh aufgestanden, weil mich mein Land braucht", sagte Eulalia Espinal, eine 65-jährige Rentnerin, die sich im Regen mit etwa 100 anderen bereits gegen 05.00 Uhr (MESZ) vor einer Schule in Barcelona eingefunden hatte. "Wir wissen nicht, was passieren wird, aber wir müssen da sein." Der 92-jährige ehemalige Taxifahrer Ramon Jordana sprach von einer "riesigen Chance". "Darauf habe ich 80 Jahre gewartet", sagte er.

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