Finanzen

Indien: Bevölkerung boykottiert Abschaffung des Bargelds

Der Versuch der Abschaffung des Bargelds ist in Indien vorerst am Widerstand der Bevölkerung gescheitert.
25.03.2018 23:14
Lesezeit: 3 min

Indiens Regierung will das Land zu einem Vorreiter der bargeldlosen Wirtschaft machen. Die Bevölkerung reagiert zurückhaltend und bleibt beim Bargeld.

In Indien werden 97 Prozent aller Transaktion mit Bargeld abgewickelt. Schon 2022 soll die Anzahl der elektronischen Zahlungen jedoch höher liegen als die Bargeldzahlungen, so eine Studie der Boston Consulting Group. 2025 könnten 80 Prozent der Zahlungen digital abgewickelt werden. Forbes sieht Indien sogar auf dem Weg zur ersten bargeldlosen Gesellschaft.

Indiens Regierung drängt die Bevölkerung zur Digitalisierung

Die Regierung um Ministerpräsident Modi will Indiens Abhängigkeit vom Bargeld reduzieren. Mit Initiativen wie beispielsweise Aadhaar, Digital India, Unified Payment Interface (UPI) oder der Bharat Interface for Money (BHIM) App fördert der Staat digitale Identifizierung und Bezahlsysteme. Dadurch sollen die Infrastruktur verbessert, der Zugang zum Internet erleichtert, Kosten gesenkt und Vertrauen in die Technologien geschaffen werden. Es gibt verschiedene Ansätze:

Aadhaar: Seit 2009 können sich Indiens Bürger unter einer persönlichen zwölfstelligen Identifikationsnummer registrieren lassen. Die Unique Identification Authority of India (UIDAI) speichert dann biometrische und biografische Daten unter dieser Nummer in einer Datenbank. Seit 2016 ist das System für alle Bürger verpflichtend. Die Daten können unter anderem zur Identifizierung bei digitalen Bezahlsystemen genutzt werden.

Digital India: Initiative der Regierung, um Dienstleistungen von Behörden online zugänglich zu machen und den Zugang zum Internet zu verbessern.

Unified Payment Interface (UPI): Ist ein Zahlungssystem, das von der indischen Zentralbank überwacht wird. Transaktionen zwischen Banken werden über eine digitale Plattform abgewickelt.

Bharat Interface for Money (BHIM) App: Nutzer können über diese Smartphone App Geld versenden und empfangen. Die App ist auf Initiative der indischen Zentralbank entstanden und wird von der National Payments Cooporation of India (NPCI) betrieben.

Die bisher radikalste Maßnahme war allerdings die Demonetisierung. Im November 2016 gab die Regierung bekannt, dass alle 500 und 1.000 Rupie Scheine (etwa 6,25 Euro und 12,51 Euro) innerhalb weniger Stunden ungültig würden. Knapp 86 Prozent der sich im Umlauf befindlichen Banknoten wurden  wertlos. Offiziell sollte so die Schattenwirtschaft und der Terrorismus bekämpft werden.

Getroffen hat die Maßnahme aber vor allem Bürger und Unternehmen. Die Entwertung konnte jedoch verhindert werden, wenn die Scheine innerhalb einer fünfzigtägigen Amnestieperiode auf ein Bankkonto eingezahlt wurden. Fast 97 Prozent der betroffenen Scheine wurden so in elektronisches Geld umgewandelt.

Indiens Wirtschaft erholt sich, Indiens Bürger machen weiter wie bisher

Das Wirtschaftswachstum fiel in Folge der Demonetisierung auf zwischenzeitlich 5,7 Prozent. Knapp 16 Monate danach nähert sich die Bargeldmenge in Indien wieder dem ursprünglichem Niveau an: Sie entspricht 99,17 Prozent der Menge vor der Demonetisierung. Und auch die Wirtschaft wächst wieder: Zuletzt mit über sieben Prozent. Für das nächste Finanzjahr (beginnt im April) sagt die Weltbank ein Wachstum von 7,3 Prozent voraus, mit weiteren Reformen wären perspektivisch auch acht Prozent möglich.

Auf den Straßen Mumbais ist es aber immer noch schwer, bargeldlos zu bezahlen: Taxifahrer akzeptieren meist nur kleine Scheine und verweisen auf das fehlende Wechselgeld. In Restaurants und Bars sind die notwendigen Geräte für die elektronische Zahlung häufig gerade außer Betrieb oder nicht vorhanden. Auch in den Touristenorten im Bundesstaat Goa nimmt man lieber Bargeld - wegen der Gebühren und des höheren Aufwands.

Auf dem bekannten Colaba Causeway Straßenmarkt in Mumbai, unweit des Gateway of Indias, akzeptieren immerhin einige Händler PayTM. Ein elektronisches Zahlungssystem hinter dem der chinesische E-Commerce Händler Alibaba steckt. Eingerissene Scheine oder Scheine mit handschriftlichen Notizen werden dagegen nicht akzeptiert. Die Händler und Taxifahrer sind verunsichert, ob die Banken die Scheine akzeptieren.

Tatsächlich gibt es weniger digitale Transaktionen als geplant: 25 Milliarden elektronische Transaktionen wurden für das laufende Geschäftsjahr (endet am 31. März) anvisiert, bis zum 28. Januar wurden nur 60 Prozent davon erreicht. Insgesamt wächst das bargeldlose Bezahlen aber, die privaten Anbieter profitieren davon: PayTM vervierfachte die Anzahl der Transaktionen in einem Jahr.

Keine ausreichende Infrastruktur

Viele der digitalen Bezahlsysteme benötigen Smartphones und Internet. 2015 besaßen 240 Millionen der 1,32 Milliarden Inder ein Smartphone, 300 Millionen nutzten Internet. Bis 2020 soll die Zahl der Smartphones in Indien auf 520 Millionen steigen, 650 Millionen Inder haben dann Zugang zum Internet. Die Bevölkerung soll bis dahin auf 1,35 Milliarden anwachsen. Nicht einmal die Hälfte nutzt dann ein Smartphone oder hat Internetzugang.

Die Bevölkerung akzeptierte die Demonetisierung ohne große Proteste, veränderte aber auch ihr Verhalten kaum. Nicht vorhandene Infrastruktur verhindert in den meisten Alltagsituationen ohnehin bargeldloses Bezahlen. Auch die Sorge um Datensicherheit ist in Indien groß. Der Facebook Datenskandal hat beispielsweise Auswirkungen auf ein Bezahlsystem von WhatsApp, das seit Anfang des Jahres in Indien getestet wird. Anbieter von Bezahlsystemen haben Zugang zu Finanz- und Verhaltensdaten ihrer Nutzer, dadurch entstehen Möglichkeiten zum Missbrauch.

Überwachung durch den Staat und Dauerangriff der Werbeindustrie

Überhaupt ist Indien für Anbieter von Bezahlsystemen ein interessanter Markt. Die Unternehmen bekämen Zugang zu einer mind-boggling (auf Deutsch: irrsinnigen) Menge an Transaktionsdaten, so die Studie Transaction 2025. Diese Daten würden Verkäufern, Werbeindustrie und Bezahldiensten helfen, Angebote für ihre Kunden noch besser maßzuschneidern und Kunden noch besser zu erreichen.

Auch die Regierung hat großes Interesse an den Transaktionsdaten. Indiens Wirtschaft funktioniert zu einem großen Teil informell. Der Anteil der Schattenwirtschaft wird auf bis zu 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geschätzt. Der Staat kann diese Aktivitäten nicht überwachen und nicht besteuern. Eine bargeldlose Gesellschaft gäbe dem Staat vollständige Transparenz über das finanzielle und soziale Verhalten seiner Bürger und damit die Grundlage für eine durchsetzbare Besteuerung. Über die Aadhaar Datenbanken (siehe Info-Kasten) können die Transaktionen und Daten jedem Bürger genau zugeordnet werden.

Um Indiens Wachstum nachhaltig zu sichern, sind die Bemühungen der Regierung langfristig sinnvoll und notwendig. Noch gibt es aber zwei große Hindernisse: Zum einen ändern 1,32 Milliarden Inder nicht buchstäblich über Nacht ihr Verhalten und zum anderen fehlt dem Land dazu auch die notwendige Infrastruktur. Am Ende bleibt noch die Frage, ob sich 1,32 Milliarden Inder auf eine fast totalitäre Überwachung ihrer Finanzen und eine perfekte Vermarktung ihres Privatlebens einlassen.

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