Finanzen

EU will Haushaltslücken mit EZB-Gewinnen schließen

Nach dem Ausstieg Großbritanniens aus der EU klafft eine Lücke im EU-Haushalt. Die EU-Kommission will nun die Gewinne der Europäischen Zentralbank und die Notenbanken zahlen lassen.
29.03.2018 17:10
Lesezeit: 3 min

Mit dem Austritt Großbritanniens verliert die EU einen ihrer größten Geldgeber. Bis Ende 2020 wollen die Briten ihre Beiträge weiter in den Haushalt überweisen. Doch nach dieser Zeit entsteht eine Lücke im Haushalt, weil London als Unionsmitglied mehr einzahlt als herausbekommt. Wie aus einem Entwurf der EU-Kommission hervorgeht, will sie daher künftig Gewinne der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Nettobanken beanspruchen.

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger schätzt die Brexit-Lücke auf 12 bis 14 Milliarden Euro pro Jahr. Nettozahler wie Deutschland halten das für zu hoch gegriffen. Sie gehen von sechs bis acht Milliarden Euro aus. Finanziert wird der EU-Haushalt zu 80 Prozent durch Beiträge der Mitgliedstaaten. Großbritannien ist mit Beitragszahlungen von rund 7,5 Milliarden Euro pro Jahr hinter Deutschland (14 Milliarden Euro) der zweitgrößte Nettozahler in der EU. Noch vor den Europawahlen im kommenden Jahr will Oettinger einen Finanzrahmen für die Zeit von 2021 bis 2027 festlegen. In ihm soll die künftige Finanzierung geregelt werden.

Nach Willen der EU-Kommission könnte die Haushaltslücke bis 2027 mit Bankengewinnen von bis zu 56 Milliarden Euro gefüllt werden. Durch die Ausgabe oder Verleihen von Banknoten erzielen die Notenbanken und die EZB laut Kommission bis 2027 voraussichtliche Seigniorage-Gewinne von 112 Milliarden Euro. Die Hälfte sollen sie abgeben. Sollten sich die Banken gegen den Vorschlag sperren, schlägt die Kommission alternativ eine Abgabe von 10 Prozent vor – 10,5 Milliarden Euro.

Gegenüber der Financial Times lehnte die EZB diese Möglichkeit der Haushaltsentlastung ab. So setze die artfremde Verwendung von Seigniorage-Gewinnen eine vorherige Änderung nationaler Bestimmung voraus. Schließlich sei es Sache der Staaten zu entscheiden, was mit den Zinserträgen ihrer Notenbanken geschehe.

Eines der Grundziele der EU-Staaten ist die gemeinsame Förderung der wirtschaftlichen Stabilität innerhalb der EU. Zwar haben sich die Mitgliedsstaaten auf eine gemeinsame Wiederherstellung der Finanzstabilität kurz nach dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise im Oktober 2008 geeinigt, die Entscheidungshoheit über die Finanzpolitik in den Mitgliedsstaaten ist jedoch bislang Ländersache.

Der Kommission ist diese Tatsache bewusst. Sie schlägt vor, dass die Mitgliedsstaaten selbst über die Höhe der Notenbankgewinne entscheiden sollen.

Finanz-Ökonome warnen jedoch vor der Umsetzung des Kommissionsvorschlags. So gefährde das staatliche Eingreifen in die Angelegenheiten der Notenbanken deren wirtschaftliche und staatliche Unabhängigkeit. Aufgabe der Noten- und Zentralbanken ist es, mit ihrer Geldpolitik für Preisstabilität zu sorgen und eine stabile Wirtschaftsentwicklung in den Mitgliedsstaaten zu schaffen. Nationale Regierungen haben aufgrund verfassungsrechtlicher Normen keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Banken.

Zudem weisen die Finanzexperten darauf hin, dass die Berechnung der voraussichtlichen Zinserträge von 112 Milliarden Euro auf Grundlage der aktuellen Zinssituation basiert. Der Zinssatz, den die Notenbanken für das Verleihen der Banknoten nehmen, wird von der Geldpolitik der EZB an die jeweilige Wirtschaftssituation in der EU angepasst und unterliegt damit Schwankungen. Im Januar kündigte EZB-Chef Mario Draghi in der ersten Ratssitzung an, den Leitzins vorerst nicht antasten zu wollen. Dies ist der Zinssatz, zu dem sich nationale Banken untereinander Geld leihen. Seit März 2016 liegt er auf einem Rekordtief von 0,0 Prozent. Auf diese Weise will die EZB für eine Konjunkturbelebung in der EU sorgen.

In der EZB mehren sich jedoch die Stimmen, die wie an den Börsen erwartet eine Zinserhöhung bis Mitte nächsten Jahres für möglich halten. Auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hält solche Annahmen für realistisch. Zwar sei der Preisdruck im Euroraum weiterhin verhalten, jedoch gingen Fachleute der EZB in ihren aktuellen Projektionen davon aus, dass die Inflationsrate bis 2020 auf 1,7 Prozent steigen werde. Vergangene Woche hatte sich bereits Estlands Notenbank-Chef Ardo Hansson ähnlich geäußert.

Keine juristischen und ökonomischen Einwände gegen den Kommissionsvorschlag hat die EU-eigene Europäische Investitionsbank (EIB). In der vergangenen Woche kündigte sie an, die Finanzlücke durch den Brexit im EU-Haushalt ausgleichen zu wollen. „Wir werden dabei helfen, den Schmerz des Brexit zu lindern“, sagte der Vize-Präsident Alexander Stubb. Er sei bereit, den Anteil der EIB bis 2027 von derzeit drei auf fünf Prozent zu vergrößern. Dies entspräche einer Steigerung um etwa drei Milliarden Euro pro Jahr – von 4,8 auf 7,8 Milliarden Euro. Je nach Einsatzbereich ließen sich die öffentlichen Mittel in ihrer Wirkung demnach vervielfachen. Würden die Erfahrungen der Bank mit dem sogenannten Juncker-Fonds (EFSI) zugrunde gelegt, könnte die EU damit zusätzliche Investitionen in Höhe von 45 Milliarden Euro pro Jahr anschieben.

Im Bundesfinanzministerium wird laut Focus für die Zeit nach dem Brexit mit einer zusätzlichen jährlichen Belastung des Haushalts von sechs bis sieben Milliarden Euro gerechnet. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hatte im vergangenen Monat von zusätzlichen Zahlungen Deutschland in Höhe von drei bis 3,5 Milliarden Euro gesprochen. Damit ließen sich seinen Worten zufolge sowohl die durch den Brexit entstehende Lücke schließen als auch weitere Aufgaben wie Grenzschutz und Anti-Terror-Kampf finanzieren.

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