Wenige Tage vor der Entscheidung der USA über einen Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu angebliche "Beweise" für Teherans Streben nach Atomwaffen vorgelegt. Der Iran verfolge ein "geheimes Atomprogramm", das er jederzeit wieder aktivieren könne, warnte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Montag in einer merkwürdigen Präsentation im Hauptquartier der israelischen Armee in Tel Aviv (Video am Anfang des Artikels).
Netanjahu zeigte mehrere eher behelfsmäßig zusammengestellte Schaubilder sowie zwei Schränke mit Aktenordnern und CDs. Diese seien Kopien des angeblichen iranischen Atomprogramms, die der Mossad laut New York Times im Januar aus einem Lager im Iran entwendet haben will. Die angeblich eine halbe Tonne schweren „Dokumente“ befinden sich laut Netanjahu an einem „sicheren Ort“, womit eine Überprüfung der Echtheit faktisch unmöglich ist. Die massive Dokumentensammlung soll laut NYT in nur einer Nacht aus dem Iran nach Israel gebracht worden sein.
Im Wesentlichen enthalten die „geheimen“ Dokumente nichts, was nicht seit Jahren bekannt ist. Der Guardian hatte bereits 2011 ausführlich über das iranische Atomprogramm berichtet. Genau dieses Programm war schließlich der Grund für den Iran-Deal, der als „Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA)“ den Iran verpflichtete, von diesem Programm Abstand zu nehmen.
Die angeblichen Unterlagen belegen nach Angaben Netanjahus, dass der Iran entgegen den Beteuerungen seiner Führung konkret am Bau einer Atombombe gearbeitet habe. Diese Unterlagen über die Entwicklung seines Atomprogramms habe der Iran in einem "geheimen Atomarchiv vor der internationalen Gemeinschaft versteckt" und bewahre sie dort seit Jahren auf. Das Programm könne jederzeit wieder aufgenommen werden.
Die Reaktionen aus den USA und Russland waren auffallend reserviert. US-Präsident Donald Trump, der in wenigen Tagen darüber entscheiden will, ob die USA aus dem Iran-Deal aussteigen wollen, ging auf die Präsentation Netanjahus nicht ein, sondern sagte lediglich: „Was Israel heute in der Pressekonferenz getan hat, war richtig.“ Die New York Times bezeichnete Netanjahus Auftritt als „höchst theatralisch“, und stellte fest, dass Netanjahu keine „Beweise“ vorgelegt habe. Die Zeitung schrieb, dass kein einziger Vorwurf neu sei und verwies darauf, dass Netanjahu bereits in wenigen Tagen mit einem Verfahren wegen Korruption konfrontiert sein dürfte.
Russlands Präsident Wladimir Putin sagte laut TASS in einem Telefonat mit Netanjahu, dass die JCPOA-Vereinbarung, die für die internationale Stabilität und Sicherheit von größter Bedeutung sei, von allen Unterzeichnern strikt eingehalten werden müsse. Putin und Netanjahu diskutierten auch die allgemeine Situation im Nahen Osten, einschließlich der Entwicklungen in Syrien, und vereinbarten, die persönlichen Kontakte fortzusetzen. Die TASS erwähnt den Auftritt Netanjahus lediglich in einem Nebensatz, ohne eine Bewertung vorzunehmen.
Auch in Israel selbst waren die Reaktionen skeptisch: Die Times of Israel analysiert, dass der Auftritt Netanjahus „China, Russland und die Europäer nicht beeindrucken“ werde. Die Zeitung merkt ebenfalls an, dass die mit viel Pomp angekündigten „Enthüllungen“ nichts Neues zu Tage gefördert hätten.
Irans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif schrieb auf Twitter, es handle sich um „aufgewärmte alte Vorwürfe“, mit denen sich die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bereits befasst habe. Er sprach von einem "perfekten Timing" vor dem 12. Mai: Trump muss bis dahin entscheiden, ob die USA an dem Atomabkommen festhalten oder aussteigen.
Am Montag bekräftigte Trump seine Kritik an der Vereinbarung: „In sieben Jahren wird der Deal auslaufen und der Iran wird einfach weitermachen können und Atomwaffen bauen“, sagte er auf einer Pressekonferenz mit Nigerias Präsident Muhammadu Buhari in Washington. Dies sei „nicht akzeptabel“: „Das ist eine Vereinbarung, die nicht von vielen Leuten gebilligt wurde. Und es ist eine schreckliche Vereinbarung für die Vereinigten Staaten.“ Er werde nicht bekanntgeben, was er tun werde. „Aber viele Leute denken, sie wissen es. Wir werden vor dem 12. eine Entscheidung treffen.“ Trump schloss nicht aus, dass es zu einem neuen, erweiterten Abkommen mit dem Iran kommen könnte.
Netanjahus Auftritt war ein Telefonat mit Trump und ein Gespräch mit US-Außenminister Mike Pompeo über die Iran-Politik vorangegangen.
Das 2015 in Wien geschlossene Abkommen sieht vor, dass die Weltmächte im Gegenzug für deutliche Einschnitte beim iranischen Atomprogramm ihre Sanktionen schrittweise aufheben. Die IAEA hat wiederholt bestätigt, dass sich der Iran voll an das Wiener Abkommen hält.
Einen interessanten Hintergrund liefert die israelische Zeitung Yediot Ahronot. Sie schreibt, dass ein Erfolg Trumps bei den Nordkorea-Verhandlungen die Position des US-Präsidenten im Nahost-Friedensprozess stärken könne. Trump und Putin arbeiten laut dem früheren Mossad-Chef Efraim Halevy an einem Friedensplan, bei dem auch Israel zu Konzessionen gegenüber den Palästinensern gezwungen werden könnte. Netanjahus Auftritt könnte neben seinen persönlichen Interessen angesichts eines drohenden Korruptions-Verfahrens auch eine Vorwärtsverteidigung gewesen sein, um bei Friedensgesprächen nicht zu sehr in die Defensive zu geraten. Die israelische Regierung fährt aktuell einen äußerst brutalen Kurs gegen protestierende Palästinenser an der Gaza-Grenze. Dort haben laut Haaretz Scharfschützen gezielt auf Demonstranten geschossen.
In Syrien fliegt Israel mit Zustimmung Russlands Luftschläge gegen angeblich iranische Ziele. Am Sonntag hatten bisher offiziell unbekannte Täter Raketen auf iranische Munitionslager geschossen.
***
Für PR, Gefälligkeitsartikel oder politische Hofberichterstattung stehen die DWN nicht zur Verfügung. Bitte unterstützen Sie die Unabhängigkeit der DWN mit einem Abonnement:
Hier können Sie sich für einen kostenlosen Gratismonat registrieren. Wenn dieser abgelaufen ist, werden Sie von uns benachrichtigt und können dann das Abo auswählen, dass am besten Ihren Bedürfnissen entspricht. Einen Überblick über die verfügbaren Abonnements bekommen Sie hier.