Politik

Grüne bereiten sich auf Eintritt in Regierung von Merkel vor

Die Grünen hoffen, bei einem Bruch der Union in das Kabinett Merkel berufen zu werden.
22.06.2018 14:20
Lesezeit: 3 min

Hans-Edzard Busemann von Reuters fasst in einer Analyse zusammen, wie weit die Vorüberlegungen der Grünen zu einem Eintritt in die Regierung Merkel bereits gediehen sind:

Die drohende Spaltung der Unionsfraktion im Bundestag versetzt die Grünen seit Tagen in helle Aufregung. Über ein halbes Jahr nach Abbruch der Koalitionsverhandlungen mit CDU, CSU und FDP scheint sich für sie die Chance aufzutun, doch noch ins Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel einzusteigen. Denn sollte die CDU-Chefin Bundesinnenminister Horst Seehofer wegen des Asylstreits aus ihrem Kabinett entlassen, würden dem CSU-Chef alle Parteimitglieder folgen. Die dann der großen Koalition fehlenden 46 CSU-Abgeordneten könnten durch die 67 Grünen-Parlamentarier ersetzt werden.

In Fraktion und Parteigremien der Grünen ist der Machtkampf zwischen Merkel und Seehofer das dominierende Thema. In Telefonkonferenzen und Treffen werde kaum über etwas anderes gesprochen, heißt es in Parteikreisen. Offiziell hat Parteichefin Annalena Baerbock erklärt, man werde sich Gesprächen nicht verschließen, sollte Merkel neue Partner für eine Mehrheit im Bundestag suchen.

Man sei für mögliche Verhandlungen mit CDU und SPD gewappnet, heißt es in Parteikreisen. Schließlich müsse man nur die während der "Jamaika"-Gespräche entstandenen Papiere aus den Schubladen holen, Konzessionen an FDP und CSU herausstreichen und mit den Gesprächen beginnen. "Wir werden auf keinen Fall automatisch in einen Koalitionsvertrag einsteigen, wo weder der Kohleausstieg drinsteckt noch eine humane Flüchtlingspolitik", hat Baerbock bereits inhaltliche Pflöcke eingeschlagen.

In der Flüchtlingspolitik würden die Grünen auf einen Richtungswechsel drängen, in dem Hilfen und nicht Begrenzungen in den Vordergrund gestellt werden würden. Die von Seehofer befürworteten Sammelstellen für Asylbewerber - die sogenannten Ankerzentren - würden sie kaum akzeptieren. Auch die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten, deren Staatsangehörige vergleichsweise leicht abgeschoben werden können, wäre mit ihnen kaum zu machen. Manch Grüner macht ein großes Fragezeichen hinter dem Willen der CDU, diese Linie mitzutragen.

Und ohne dass ihr Markenkern - der Umweltschutz - sichtbar wird, ist für die Grünen eine Regierungsbeteiligung undenkbar. Allerdings wird beim anvisierten Kohleausstieg mit Widerstand von SPD und CDU gerechnet. Auch ambitionierte Grenzwerte für den Kohlendioxid-Ausstoß dürften bei CDU und SPD auf Vorbehalte stoßen. In der Europa-Politik, wo die Grünen auf ein stärkeres Zusammenwachsen bauen, dürften sie bei der SPD Unterstützung finden, bei der CDU weniger. Auch im Bereich der inneren Sicherheit ist nach grüner Einschätzung eher ein Einvernehmen mit dem Ex-Wunschpartner SPD als mit der CDU möglich.

Bevor es zu möglichen Koalitionsverhandlungen kommt, müssen dafür allerdings die Voraussetzungen geschaffen werden. Die Grünen sind sich nach Angaben aus der Partei weitgehend einig, dass Merkel zunächst die Vertrauensfrage stellen müsste. Danach scheiden sich allerdings die Geister. Grüne berichten, in der Fraktion sei umstritten, ob man dann für oder gegen Merkel stimmen solle. Die einen wollen Merkel in der Flüchtlingsfrage den Rücken stärken, die anderen wollen nicht die Politik der großen Koalition indirekt billigen.

Indes hält sich bei den meisten Grünen die Skepsis, ob es tatsächlich zum Bruch zwischen CDU und CSU kommt. Grund ist, dass kaum einer einen dauerhaften Vorteil eines solchen Manövers für die CSU sehen kann und für die CDU schon gar nicht. "Am Ende profitiert nur die AfD", warnt ein Spritzengrüner. Auch deswegen plädiert bislang kein führender grüner Politiker für Neuwahlen. "Es ist nicht verantwortungsvoll, ein Dreivierteljahr nach der Bundestagswahl wieder wählen zu lassen", sagte der Realo-Sprecher Dieter Janecek.

Aus Sicht des Meinungsforschers Manfred Güllner wäre der Eintritt ins Kabinett Merkel ideal für die Grünen. Gerade mit dem neuen Parteichef Robert Habeck könne ein Teil des liberalen Milieus übernommen werden, sagte der Forsa-Chef. "Wir sehen zum ersten mal, dass Stimmen von der FDP zu den Grünen abwandern." Viele Wähler würden es den Freidemokraten übel nehmen, die "Jamaika"-Verhandlungen Ende 2017 beendet zu haben.

Die bis ins neue Jahrtausend gepflegten Gegensätzlichkeiten, bei denen sich CDU und Grüne wechselseitig zu Hauptgegnern erklärten, sind aus Güllners Sicht so gut wie ausgestanden: "Kulturell sind sich CDU und Grüne sehr nahe gekommen." Beleg dafür sei unter anderem Hessen. "Dort hatte der besonders konservative CDU-Landesverband jahrelang heftigsten Zoff mit den Grünen. Seit 2013 regieren die bestens zusammen."

***

Für PR, Gefälligkeitsartikel oder politische Hofberichterstattung stehen die DWN nicht zur Verfügung. Bitte unterstützen Sie die Unabhängigkeit der DWN mit einem Abonnement:

Hier können Sie sich für einen kostenlosen Gratismonat registrieren. Wenn dieser abgelaufen ist, werden Sie von uns benachrichtigt und können dann das Abo auswählen, dass am besten Ihren Bedürfnissen entspricht. Einen Überblick über die verfügbaren Abonnements bekommen Sie hier.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Der deutsche Markt konzentriert sich auf neue Optionen für XRP- und DOGE-Inhaber: Erzielen Sie stabile Renditen aus Krypto-Assets durch Quid Miner!

Für deutsche Anleger mit Ripple (XRP) oder Dogecoin (DOGE) hat die jüngste Volatilität am Kryptowährungsmarkt die Herausforderungen der...

DWN
Politik
Politik Rückkehr der Wehrplicht trotz Wirtschaftsflaute? Nato-Ziele nur mit Pflicht zum Wehrdienst möglich
05.07.2025

Die Nato drängt: „Um der Bedrohung durch Russland zu begegnen“, hat die Nato ein großes Aufrüstungsprogramm beschlossen. Doch wie...

DWN
Unternehmen
Unternehmen KI-Schäden: Wenn der Algorithmus Schaden anrichtet – wer zahlt dann?
05.07.2025

Künstliche Intelligenz entscheidet längst über Kreditvergaben, Bewerbungen oder Investitionen. Doch was passiert, wenn dabei Schäden...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Made in Germany: Duale Berufsausbildung - das deutsche Erfolgsmodell der Zukunft
05.07.2025

Die duale Berufsausbildung in Deutschland gilt als Erfolgsmodell: Dieses System ermöglicht jungen Menschen einen direkten Einstieg ins...

DWN
Panorama
Panorama Was Autofahrer über Lastwagen wissen sollten – und selten wissen
05.07.2025

Viele Autofahrer kennen das Gefühl: Lkw auf der Autobahn nerven, blockieren oder bremsen aus. Doch wie sieht die Verkehrswelt eigentlich...

DWN
Finanzen
Finanzen Steuererklärung 2024: Mit diesen 8 Steuertipps können Sie richtig viel Geld rausholen
05.07.2025

Viele Menschen drücken sich vor der Steuererklärung, weil diese manchmal etwas kompliziert ist. Doch es kann sich lohnen, die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaftskriminalität: Insider-Betrug kostet Millionen - Geschäftsführer haften privat
05.07.2025

Jede zweite Tat geschieht im eigenen Büro - jeder fünfte Schaden sprengt die fünf Millionen Euro Marke. Wer die Kontrollen schleifen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Microsoft kippt den Bluescreen, doch das wahre Problem bleibt
05.07.2025

Microsoft schafft den berühmten „Blauen Bildschirm“ ab – doch Experten warnen: Kosmetische Änderungen lösen keine...

DWN
Panorama
Panorama So bleiben Medikamente bei Sommerhitze wirksam
05.07.2025

Im Sommer leiden nicht nur wir unter der Hitze – auch Medikamente reagieren empfindlich auf hohe Temperaturen. Doch wie schützt man...