Politik

Russland und Türkei drängen Söldner in Syrien zur Aufgabe

Lesezeit: 11 min
31.08.2018 22:48
Russland, die Türkei und der Iran statt wollen die Al-Nusra-Front in der Idlib neutralisieren.

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Die Vorbereitungen für ein Treffen zwischen den Präsidenten Russlands, der Türkei und des Iran sind nach Angaben des Kreml-Sprecher Dmitri Peskow im Gange. Am 7. September 2018 soll in Teheran ein Syrien-Gipfel zwischen Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdoğan und Hassan Rouhani stattfinden, berichtet die TASS. Peskow fügte hinzu, dass am 7. September ein zusätzliches bilaterales Treffen zwischen Putin und Erdoğan stattfinden soll. Der Teheraner Gipfel wird das dritte trilaterale Treffen zur Lösung der syrischen Krise sein. Am 22. November 2017 haben die Präsidenten Russlands, Irans und der Türkei ihr erstes Treffen im russischen Schwarzmeerresort Sotschi abgehalten. Sie verabschiedeten eine gemeinsame Erklärung und brachten ihre Entschlossenheit zum Ausdruck, ihre Bemühungen fortzusetzen, um eine Lösung für die Syrien-Konflikt zu finden, so der türkischsprachige Dienst von Bloomberg. Das letzte Treffen zwischen Putin und Erdoğan fand am Rande des BRICS-Gipfels in der südafrikanischen Stadt Johannesburg am 26. Juli statt. Der russische Präsident traf zuletzt am Rande des kaspischen Gipfels im kasachischen Aktau im August mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani zusammen. Der türkisch-syrische Analyst Hüsnü Mahalli sagt in einem Interview mit der Zeitung Cumhuriyet, dass im Hinblick auf dem Gipfel in Teheran von Seiten Russlands und Syriens in Idlib keine Schritte unternommen werden, die die Beziehungen zur Türkei stören könnten. „Ich möchte darauf verweisen, dass Außenminister Çavuşoğlu, Verteidigungsminister Akar und Geheimdienstchef Fidan in diesem Monat Moskau besucht haben. Es gibt zwischen Russland und der Türkei auf der militärisch-nachrichtendienstlichen Ebene eine enge Koordination und eine detaillierte Zusammenarbeit“, so Mahalli.

In Idlib sei aktuell das größte Problem die Al-Nusra-Front. Die Schätzungen belaufen sich auf etwa 60.000 Kämpfer. Von diesen Kämpfern stammen 10.000 bis 15.000 aus dem Ausland. Davon sind etwa 6.000 aus Tschetschenien, 7.000 aus China und 600 aus Europa. „Wir können beobachten, dass insbesondere versucht wird, die einheimischen syrischen Kämpfer davon zu überzeugen, ihre Waffen niederzulegen. Ihnen wird die Option für eine Rückkehr ins zivile Leben in Syrien geboten“, meint Mahalli.

Militärische Lage in Idlib

Nach Informationen der Nachrichtenagentur der Freien Syrischen Armee (FSA), RFS Media, versucht die türkische Regierung, die „Sham Liberation Army“ in Idlib dazu zu überreden, sich aufzulösen, um sich dem Söldnerdachverband National Liberation Front (NLF) anzuschließen. Die Al-Nusra-Front, die sich mittlerweile Hayat Tahrir al-Scham (HTS) nennt, ist kein Mitglied der NLF. Die NLF vertritt ideologisch den syrischen Nationalismus und wird international nicht als Terrororganisation eingestuft. Die Regierung in Ankara argumentiert, dass jeder Widerstand der „Sham Liberation Army“ gegen die syrisch-russische Offensive zu einer humanitären Katastrophe führen würde. In den vergangenen Monaten hatte die Söldner-Truppe den türkischen Vorschlag abgelehnt, sich aufzulösen und sich einer neuen Formation anderer Fraktionen der NLF anzuschließen. Die Söldner-Truppe ist Teil der FSA und operiert in Idlib. Sie wurde im Jahr 2012 vom syrischen Oberst Firas Bitar, einem Deserteur der syrischen Armee (SAA), gegründet.

Al-Monitor führt aus: „Während die syrische Armee nach der Befreiung von Daraa und Quneitra in Richtung Norden von Idlib zieht, richten sich alle Blicke nun auf die Türkei, die Idlib mit 12 Beobachtungsposten eingekreist hat. Idlib ist die letzte Hochburg der syrischen Rebellen. Auf der Grundlage von Medienleaks und Informationen, die vor Ort gesammelt werden, zeichnet sich eine umfassende Strategie ab: Die Türkei möchte den Eindruck erwecken, mit eigenen militärischen Mitteln eine Abschreckungsmacht zu haben und mit Organisationen, die Teile von Idlib kontrollieren, eine gemeinsame Front aufzubauen. Unterdessen verstärkt die Türkei ihre Beobachtungsposten mit Betonwänden und Luftabwehrwaffen (...) NLF-Mitglieder werden nicht unbedingt alles tun, was die Türkei will, und sie werden sich nicht an den Astana-Prozess halten. Die meisten von ihnen sind der Meinung, dass sie der Türkei etwas schulden und in ihren Beziehungen zu Ankara pragmatisch sein können, aber sie sind im Grunde Werkzeuge, die ihre eigenen ausländischen Verbindungen und finanziellen Ressourcen haben, die sich ihren eigenen Ideologien widmen. Diejenigen, die der Türkei gegenüber unterwürfiger sind, sind diejenigen, die an der Syrischen Nationalen Armee (SNA) beteiligt waren, einer Abteilung der Freien Syrischen Armee. Diese Gruppen waren an der Euphrat-Operation in Syrien beteiligt. Die Türkei sichert ihre Loyalität, indem sie ihre Gehälter bezahlt und Munition und logistische Unterstützung bereitstellt. Bei der Ausrüstung und Schulung dieser Gruppen im Operationsgebiet von 'Euphrats Shield' sollten alle Gruppen in Idlib unter die Kontrolle der Türkei gestellt werden (...) Kurz gesagt, diese Gruppen, obwohl sie vorgeben, die Türkei zu beachten, tun immer noch, was sie wollen. Der Sprecher der NLF, Oberst Naji Abu Hudeifa, beschrieb die Ziele der Gruppen dahingehend, die Expansion des Regimes zu stoppen und den Boden, den sie kontrollieren, zu verteidigen. Sie sind jetzt damit beschäftigt, gemeinsame Operationsräume einzurichten, um sich auf den Krieg vorzubereiten.“

Während Russland und Syrien nach wie vor der Meinung sind, dass Söldner in Idlib einen Chemiewaffenangriff planen, um die Schuld für diesen Angriff der syrischen Regierung zu geben, behauptet die Söldner-Truppe NLF das Gegenteil.

Die NLF teilte am Mittwoch in einer Erklärung mit, dass sie „Regime-Lkw beobachtet hat, die mit Chemikalien beladenen Fässern in der benachbarten Provinz Hama ankommen“ seien. „Die Brigade des Regimes transportierte vergangene Woche über Nacht zehn Barrel von Damaskus in die Salamiyah-Region. Die Fässer wurden in Lagerhäusern in der Stadt Kitlun entladen. Sie wurden dann an einen anderen uns unbekannten Ort gebracht“, zitiert das Blatt El Dorar al-Shamia die NLF.

Die NLF teilte am 29. August 2018 über Twitter mit, dass sich ihre Verbände in Trainingscamps auf die Offensive Russlands und Syriens vorbereiten würden. In einem Tweet vom 28. August 2018 meldet die NLF: „Die Offiziere des Operationszentrums und die Militärkommandeure vervollständigen ihre Angriffs- und Verteidigungspläne, um die befreiten Gebiete und die syrische Revolution zu schützen.“

Geopolitik in Idlib

Stratfor zufolge könnten angesichts der Idlib-Offensive Fehlkalkulationen zwischen Russland, der Türkei und Syrien eintreten. „Fehleinschätzungen oder ein Zusammenbruch der Verhandlungen könnte zu einem größeren Konflikt führen. Darüber hinaus haben die USA davor gewarnt, dass sie auf verifizierte Verwendung von chemischen Waffen reagieren werden.“

Der türkische Geopolitiker Özcan Yeniçeri warnt in einem Artikel der Zeitung Yeni Çağ: „In Idlib herrscht das Chaos. Wenn Russland gemeinsam mit dem Assad-Regime eine Operation durchführen sollte, ohne die Interessen der Türkei zu berücksichtigen, wird es zu unvorhergesehenen Entwicklungen kommen. Das wird insbesondere die türkisch-russischen Beziehungen beeinträchtigen. Wenn Russland den Idlib-Test besteht, werden die Karten in der Region und global neu gemischt werden. Idlib ist ein Test für die türkisch-russischen Beziehungen. Eine Entwicklung zum Nachteil der Türkei würde den Astana-Prozess grundlegend beschädigen. Ohne die Türkei ist eine Lösung in Idlib nicht möglich.“

Das türkische Blatt Aydınlık berichtet: „Die Säuberung Idlibs von Terroristen muss von Russland, der Türkei und dem Iran angesichts der Vertiefung der militärischen Beziehungen vorsichtig geplant werden. Denn die USA hoffen, zwischen die Staaten in der Region einen Keil zu treiben. Deshalb sind erneut die Provokationen im Zusammenhang mit Tomahawks und Chemie-Angriffen ins Spiel gebracht worden. Die AKP-Regierung hatte die letzten Tomahawk-Angriffe der USA auf Syrien beklatscht. Die Türkei muss sich nun auf Idlib konzentrieren und mit möglichen US-Provokationen rechnen. Die Türkei ist mit ihren Beobachterposten und ihrem Einfluss auf einige Gruppen, die sie im Verlauf der Operationen Euphrats Shield und in Afrin eingesetzt hat, eine bestimmende Kraft.

Allerdings muss sie künftig direkt mit Syrien in Kontakt treten und alle weiteren Schritte gemeinsam mit Syrien planen. Eine Neutralisierung von tschetschenischen und uigurischen Terroristen, die in Verbindung mit der Al-Nusra-Front stehen, würde nicht nur die Sicherheit der Türkei gewährleisten, sondern auch die Beziehungen der Türkei mit Russland und China positiv beeinflussen. Die Wiederherstellung der Autorität Syriens in Idlib wäre vorteilhaft für die Türkei. Die regionalen Staaten müssen das Idlib-Problem so schnell wie möglich lösen, um sich dann gegen die terroristischen Elemente der USA östlich des Euphrats zu widmen.“

Der US-Informationsdienst Geopolitical Futures (GF) teilt mit: „Die Rückeroberung von Idlib wird nicht einfach sein. In der Tat wird es aus zwei Gründen schwieriger und komplizierter als viele der anderen jüngsten Kampagnen im Süden werden. Erstens ist es eine viel größere Region als die Gebiete im Süden, wie Daraa, Ost-Ghouta und Quneitra, die die syrische Armee in den vergangenen Monaten beschlagnahmt hat. Es ist daher auch dichter von Rebellen bevölkert, zum Teil weil viele der von Russland im Süden vermittelten Waffenstillstände den Rebellen einen sicheren Übergang aus diesen Gebieten nach Idlib ermöglichten. Zweitens hat die Türkei eine militärische Präsenz in Idlib. Dies verkompliziert die Situation für alle Beteiligten, da die Türkei und das syrische Regime in dieser Region gegensätzliche Interessen haben. Russland unterstützt das Regime, will aber nicht mit der Türkei in den Krieg ziehen, ein Land, mit dem es gute Beziehungen pflegen muss. Aus diesem Grund befürchten die Syrer, dass die Russen sie aufgeben könnten. Unterdessen will die Türkei im Verhältnis zu den USA Handlungsspielraum haben, und feindliche Beziehungen zu Russland würden ihre Möglichkeiten einschränken. Ein Kampf um Idlib wäre daher eine Bedrohung für alle Konfliktparteien (...) Einen militärischen Kampf hier zu gewinnen, kostet viel mehr als jeder bereit ist zu zahlen. Dieser tiefe Tauchgang wird eine andere Option in Betracht ziehen: eine Vereinbarung zwischen diesen Ländern, um die Rebellengruppe zu stürzen, die einen Großteil der Provinz kontrolliert (HTS, Anm. d. Red.). Alle diese Parteien haben ein Interesse daran, diese Gruppe, eine der extremsten in Idlib, zu eliminieren. Und so können sie zusammenarbeiten. Sie bekommen vielleicht nicht alles, was sie wollen, aber sie werden alle davon profitieren. Und an diesem Punkt ist das vielleicht das Beste, auf das sie hoffen können (...) Russland weiß, dass der Angriff auf türkische Positionen in Idlib als Kriegshandlung gegen Ankara gesehen wird, die es vermeiden will. Die Türkei ist eine regionale Macht und ein NATO-Mitglied, und ein Angriff auf die türkischen Streitkräfte könnte andere NATO-Mitglieder in Ankaras Verteidigung einbeziehen. Dies würde die Türkei und den Westen vereinigen, gerade in einer Zeit, in der die Beziehungen zwischen Ankara und Washington Risse aufzeigen. (Wenn jedoch die NATO sich weigern würde, für die Türkei zu intervenieren, würde dies die Kluft in der Allianz vertiefen.) Selbst ein Angriff auf türkische Stellvertreter (Söldner in Nordsyrien, Anm. d. Red.) würde die Türkei wahrscheinlich näher an den Westen bringen. Russland sucht daher nach einem Ausweg aus diesem Sumpf.“

GF führt aus, dass ein Deal zwischen Russland, der Türkei und Syrien folgende Züge haben könnte: „Nachdem HTS herausgedrängt wurde, dürfte die Türkei in der Provinz bleiben, aber Teile des südlichen Idlib, wo HTS eine starke Präsenz hat, an das Assad-Regime abtreten. Russland würde Assad im südlichen Idlib unterstützen, würde aber keine Luftunterstützung für jede Offensive bieten, die eine direkte Konfrontation mit der Türkei zur Folge hätte. Die Türkei könnte bleiben, solange sie ihre Stellvertreter kontrolliert und sie davon abhält, das syrische Regime anzugreifen. In der Tat würde dies zu einem halbpermanenten Gebietserwerb durch die Türkei führen (...) In einem solchen Szenario würde die Türkei Teile von Idlib und Afrin verwalten, und im Gegenzug würde sie diese Gebiete vor dem syrischen Regime schützen, das eine viel stärkere Offensive durchführen müsste als im Süden, wenn sie die Türkei und ihre Stellvertreter herausfordern will. Aufständische Gruppen, die der Türkei ungehorsam waren und weiterhin gegen das Regime vorgingen, wurden entweder von den türkischen Stellvertretern aus Idlib vertrieben oder, falls sie Idlib verlassen haben, um den Angriff auf die syrische Armee fortzusetzen, von Assad angegriffen. Diese Regelung würde zu einem größeren Machtgleichgewicht zwischen den Hauptakteuren im weiteren Krieg und möglicherweise sogar zu einer Atempause in den Kämpfen führen. Es mag keine dauerhafte Lösung sein, aber es könnte die nächste Phase des Konflikts einleiten.“

CNN führt in einem aktuellen Bericht aus: „Idlib ist die letzte von vier Zonen, die die Russen als 'Sicherheitszonen' bezeichnet haben. Jede ist einem Ansturm iranischer, russischer und syrischer Truppen zum Opfer gefallen. Sie haben sie eins nach dem anderen aufgehoben, als sie fertig waren (mit ihren Offensiven, Anm. d. Red.). Schätzungsweise 2,9 Millionen Zivilisten befinden sich in Idlib an der türkischen Grenze. Es waren einst 750.000 Einwohner. Wenn die Schlacht kommt, werden die Zivilisten flüchten, viele in Richtung der Türkei. Es ist de facto die letzte große Rebellen-Hochburg. Nach jeder Rebellenniederlage in den letzten Jahren hat Assad Rebellen und Familien die sichere Evakuierung nach Idlib ermöglicht. Er hat sich lange geschworen, das Territorium zu erobern, heute Heimat von schätzungsweise 70.000 bewaffneten Kämpfern, die von al-Qaidas syrischer Partnerorganisation bis hin zu erfahrenen, hartgesottenen Rebellengruppen reichen, vom Salafisten bis zum Säkularen. Die Rhetorik zwischen Moskau und dem Westen wurde am Donnerstag weiter verschärft, als Russlands Außenminister Sergej Lawrow den Westen warnte, in Idlib nicht ,mit dem Feuer zu spielen' (...) In der vergangenen Woche hat Moskau die Außenminister aus der Türkei und Saudi-Arabien empfangen, beide sind in der einen oder anderen Form Unterstützer der syrischen Anti-Assad-Opposition. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sowohl mit dem britischen Premierminister als mit der deutschen Bundeskanzlerin Gespräche geführt, die sich, laut Downing Street und Bundeskanzleramt, auf Syrien und insbesondere mit den Auswirkungen neuer US-Sanktionen auf die Fähigkeit der Türkei, neue Flüchtlingsströme zu bewältigen, konzentrierten. Seltsamerweise beschuldigte der russische Außenminister in Moskau am Mittwoch die Rebellen, die er und Assad in den vergangenen zwei Jahren nach Idlib geschickt hatten, (...) 'die Zivilbevölkerung als Geiseln zu halten und sie als menschliche Schutzschilde zu benutzen'. Das war die Begründung, die er für das lieferte, was eindeutig kommen wird: 'Diese Brutstätte (Idlib) muss beseitigt werden', sagte er. Ob er das dem amerikanischen Außenminister Mike Pompeo mitteilte, als er ihn vor einer Woche anrief, bleibt unklar (...) Aber unterm Strich: Eine Fülle anderer Dinge, die sich abspielen, trüben die Sicht auf einen tödlichen Sturm in Syrien, der kurz davor steht, auf seine Zivilisten losgelassen zu werden.“

Die US-Denkfabrik Atlantic Council berichtete am 15. August 2018: „Militärs der bewaffneten Oppositionsgruppen im Norden erklärten eine Versammlung der Einheitsfront, um der bevorstehenden Offensive des Regimes entgegenzutreten, eine gemeinsame Taktik, die in früheren Schlachten verwendet wurde, um Oppositionsgebiete zu halten; während sie sich deutlich vom Rivalen Hayat Tahrir al-Scham trennten. Oppositionsgruppen haben sich ideologisch vom Extremismus von HTS aus Notwendigkeit heraus distanziert (...) Selbst wenn die Mitglieder HTS-Strategien zustimmen, riskieren Oppositionsgruppen die internationale Legitimität (...) Während das syrische Regime wahrscheinlich mit einer letzten Idlib-Offensive weitermachen wird, muss es sich auf mögliche Konfrontationen mit der Türkei vorbereiten (...) Es bleibt abzuwarten, wann diese bevorstehende Offensive stattfinden wird, ob es Russland gelingt, das Regime davon abzuhalten, die gesamte Provinz zu überholen, und wie groß der Massenzustrom und die Zahl der Opfer sein wird.“

Der französische Sicherheitsanalyst Fabrice Balanche vom Washington Institute for Near East Policy (WINEP) führt in einem Bericht vom 31. August 2017 aus, dass die Provinz Idlib eine „Dschihadisten-Fabrik“ sei. Blanche wörtlich: „Abu Muhammad al-Julani (HTS-Chef, Anm. d. Red.) versteht, dass die von den USA geführte Koalition zusammen mit Russland, der Türkei und dem Iran nach der Niederlage des Islamischen Staates ihre Waffen gegen seine Gruppe richten wird. Abhängig von den Entwicklungen in der Anti-IS-Kampagne und der Koordination zwischen diesen externen Akteuren könnte Julani ein oder zwei Jahre Zeit haben, bevor seine Gruppe dran ist. Er versteht daher, dass sein Hauptziel nicht darin besteht, ein dauerhaftes islamisches Emirat in der Idlib-Region zu schaffen, sondern eine Rekrutierungsbasis für seine Armee von Dschihadisten zu schaffen, in Übereinstimmung mit den von Zawahiri (Al-Qaida-Chef, Anm. d. Red.) formulierten Grundsätzen: 'Die Strategie für den Dschihad in Scham [Großsyrien] muss sich auf einen Guerillakrieg konzentrieren (...) Beschäftige dich nicht damit, Territorium zu halten'. Eine solche Sprache erklärt, warum die internationale Gemeinschaft dringend gegen die Gruppe HTS vorgehen muss, die von Tag zu Tag stärker wird (...) Internationale Akteure sollten sich nicht auf gemäßigte Rebellen oder Ahrar al-Sham verlassen, um dieses Ziel zu erreichen. In der Tat muss die internationale Koalition den gleichen umfassenden Ansatz für HTS in Idlib verfolgen, die sie beim Islamischen Staat in Rakka und anderswo annimmt. Wenn Sie dies jetzt nicht tun, werden später viel höhere Kosten entstehen.“

US-Analyst Charles Lister führt in einer Analyse vom 3. August 2018 aus: „Jetzt bleibt nur die nordwestliche Deeskalationszone in den Händen der Opposition, und die internationale Gemeinschaft scheint dem Assad-Regime wieder einmal nicht im Wege zu stehen. Bereits jetzt sind im Westen von Idlib (in den Latakia-Dörfern Kinsaba und Ain al-Qantara) neue pro-regimetreue Truppen eingetroffen; im Osten (in und um Abu Dhuhour); und im Süden (in der nördlichen Landschaft von Hama). Ein führender Kommandeur von Ahrar al-Sham in Idlib sagte mir: 'Wir haben in letzter Zeit bedeutende Bewegungen des Regimes und der iranischen Milizen erlebt (...) unsere Truppen an den Fronten sagen, dass der Feind in den letzten zwei Wochen seine Kräfte gegenüber Idlib verdoppelt hat, sowohl in Aleppo als auch in Latakia, und auch viele schwere Waffen und Artillerie wurden gesichtet.' Eine islamistische Person, die eng mit der HTS-Führung zusammenarbeitet, sagte mir: 'Obwohl [HTS] viele Probleme mit anderen (Söldnern, Anm. d.Red.) hat, kann niemand ihre Macht ignorieren (...) [HTS] hat viel getan, um sein Image zu reformieren und (...) so Gott will, werden die Menschen dies erkennen und unsere Vision unterstützen, denn dies ist ihr bester Weg (...) Wir wollen auch mit ausländischen Regierungen reden, solange sie in ihren Absichten aufrichtig sind. ' In einem persönlichen Gespräch Ende 2017 sprach der Anführer von Ahrar al-Scham, Hassan Soufan, offen über die Bedrohung durch den Extremismus von HTS, den er selbst mit dem IS verglichen hatte. Anfang der Woche sprach ich mit einem führenden Mitglied des Ahrar Shura Council, der ähnliche Frustrationen ausdrückte: '[HTS] griff die Fraktionen der [anderen Oppositionellen] an, weil wir Beziehungen zur Türkei und zur internationalen Gemeinschaft aufbauten, um die besten Interessen der Revolution und des syrischen Volkes zu erreichen. [HTS] beschuldigte die Fraktionen, eine schwache politische Rede zu benutzen und sie [HTS] mobilisierten ihre Kämpfer [gegen uns], aber später wurde klar (...) dass [HTS] genau dasselbe tut! Sie zahlen jetzt den Preis für die Widersprüche zwischen ihrer Rhetorik und ihren Aktionen und für ihre Aggressionen gegen die Fraktionen und die Menschen. Die meisten nordwestlichen Gemeinschaften haben sich ihren neuen dschihadistischen Oberherren unterworfen, aber nur widerwillig. Diese Situation ist zwar alles andere als perfekt, aber sie ist der scheinbar am Horizont erscheinenden vorzuziehen, da nur die Gefahr einer massiven Offensive des Regimes im Nordwesten Syriens die Gleichung ändern und die Menschen in die Hände von HTS treiben könnte.'“


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