In Paris und in vielen französischen Städten wie an Mautstellen der Autobahnen und Grenzstationen haben die „Gelben Westen“ am Samstag Straßenblockaden errichtet, Polizisten verletzt, Autos angezündet, Auslagen von Geschäften devastiert und Restaurants verwüstet. Die Zerstörungen haben ein Ausmaß erreicht, das seit den Protesten 1968 nicht mehr zu beobachten war. Man tobt gegen die geplante Erhöhung der Ökosteuer, die die Preise für Diesel, Benzin und Heizöl am 1. Jänner 2019 in die Höhe treiben soll. Die Polizei versuchte, nicht sehr erfolgreich, mit Wasserwerfern und Tränengas die Demonstranten im Zaum zu halten. In Paris wurden 412 Personen angezeigt, 378 festgenommen, 133 verletzt. Die Zahl der Demonstranten in ganz Frankreich wird mit 75.000 vorsichtig geschätzt.
40 Mrd. Euro mehr Steuern, aber nur 7 Mrd. für die Ökologie
Auffallend ist, dass die „Gelben Westen“ keine erkennbare Struktur haben, keine offiziellen Sprecher nominieren und als spontane Bewegung agieren, die seit drei Wochen Zulauf erhält und in den Umfragen von etwa der Hälfte der Bevölkerung positiv gesehen wird - zumindest vor den Ausschreitungen am Samstag. Die Regierung, die Sonntag zu einer Krisensitzung unter Präsident Emmanuel Macron zusammentrat, will nicht nachgeben, sogar vom Einsatz der Armee ist die Rede. Man hält an der geplanten Erhöhung der Ökosteuer fest, die ab 1. Jänner 2019 Diesel um 3 Cents je Liter, Benzin um 6 Cents je Liter und 1000 Liter Heizöl um 33,12 Euro verteuern würde.
Begründet wird die Verteuerung mit der Ökologie: Die Autofahrer würden verstärkt auf öffentliche Verkehrseinrichtungen umsteigen, der Staat bekäme etwa 40 Mrd. Euro zusätzlicher Einnahmen, die man für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs benützen möchte. Analysten rechnen allerdings vor, dass im Budget 2019 bestenfalls 7 Mrd. Euro in den Nahverkehr fließen würden und der Rest dem Stopfen der Budgetlöcher dienen werde. Mittlerweile hat allerdings die zweite Kammer des Parlaments, der Senat, die Steuerhöhung für 2019 eingefroren. Die Preissteigerungen würden demnach vorerst nicht stattfinden.
Die Regierung und die Demonstranten agieren, als ob die Aktion des Senats nicht stattgefunden hätte. Ebenso die bereits durch die Regierung zugesagte Korrektur, dass bei Ölpreiserhöhungen die Steuer zum Ausgleich verringert werde, ist wirkungslos verpufft. Auch der Umstand, dass der Preis für ein Fass Öl auf dem Weltmarkt unter 60 Dollar liegt, womit das gesamte Problem entschärft wird, sorgt nicht für Beruhigung.
Es ist offenkundig: Es geht nur am Rande um den Treibstoffpreis, auch wenn die Demonstranten symbolisch die gelben Warnwesten aus den Autos tragen, woraus die Bezeichnungen „Die Gelben Westen“ – „Gilets jaunes“ - entstand. Die Frustration der Bevölkerung, die sich schon bei den vergangenen Wahlen gezeigt hat, kommt hier zum Ausdruck. Ziel ist Emmanuel Macron, der die Bürger enttäuscht und bereits den Spottnamen „Micron, der Erste“ von den Demonstranten erhalten hat.
Hohe Ökosteuern haben nicht den gewünschten Effekt
Paradoxer Weise hält die französische Regierung an einer These fest, die sich bereits als außerordentlich problematisch erwiesen hat: „Höhere Treibstoffpreise sorgen für einen verringerten Verbrauch und nützen daher dem Umweltschutz und bekämpfen den Klimawandel.“ In diesem Zusammenhang wird gerne auf Finnland verwiesen, das als erste Ökosteuern bereits von zwanzig Jahren eingeführt hat, auch Schweden, die Niederlande und Dänemark werden in diesem Zusammenhang gerne als Vorbilder zitiert.
Die aus den Daten der EU ablesbaren Entwicklungen geben ein fundamental anderes Bild.
In Tonnen Kohlendioxid-Äquivalent pro Kopf der Bevölkerung wird die Atmosphäre belastet:
- In der gesamten EU waren es im Schnitt 8,4 t,
- in Finnland hingegen 10,7 t,
- in den Niederlanden 11,5
- und auch in Dänemark wird der EU-Schnitt mit 8,8 t knapp, aber doch überschritten.
- Als Gegenbeweis kann man Schweden strapazieren, wo die Umwelt 2016 nur mit 5,3 t CO2-Äquivalent pro Kopf belastet wurde.
Die These, Ökosteuern senken den CO2-Ausstoß ist schwer zu verteidigen, ebenso die vorgelagerte Behauptung der Treibstoffverbrauch würde sinken.
Wieder ein Blick auf die so genannten Musterländer. Von 1990 bis 2015
- ist der Treibstoffverbrauch in Finnland von 28,8 auf 33,3 Mio. t Rohöleinheiten gestiegen.
- In den Niederlanden von 68,6 auf 77,6 Mio. t,
- in Dänemark jedoch von 17,9 auf 16,8 gesunken und
- auch in Schweden von 47,4 auf 45,5 zurückgegangen.
Also ist auch die Behauptung, hohe Steuern und in der Folge hohe Preise senken den Verbrauch, nicht haltbar.
Die nur zögerlich publizierte Arbeitslosenrate ist wieder gestiegen
Die Regierung Macron könnte sich also den aktuellen Ärger mit den „Gelben Westen“ sparen, ginge es tatsächlich um die Ökologie. Dies ist nicht der Fall: Macron versucht verzweifelt, das französische Budget in Ordnung zu bringen und schreckt nicht davor zurück, die ohnehin viel zu hohe Staatsquote von 52 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts noch zu steigern. Und darin liegt die Wurzel des französischen Übels: Die Bürger stöhnen unter den hohen Steuern.
Damit nicht genug: Die Arbeitslosigkeit hält sich hartnäckig in der Größenordnung von knapp 10 Prozent. In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Arbeitslosen wieder gestiegen, nachdem kurze Zeit eine minimale Erholung zu verzeichnen war. Die Regierung gibt seit Beginn des Jahres 2018 die früher monatlich veröffentlichen Arbeitslosen-Daten nur mehr alle drei Monate bekannt - wohl keine Vertrauen-bildende Maßnahme.
Die Forderungen der „Gelben Westen“ weisen in eine Katastrophe
Die bekämpfte Ökosteuer würde die vermeintlich angepeilten, ökologischen Wirkungen verfehlen und die Millionen auf das Auto und das Heizöl angewiesenen Bürger stark belasten. Allerdings ist das weit über den Verzicht auf die Ökosteuer hinausgehende Forderungsprogramm der „Gelben Westen“ dazu angetan, die französischen Probleme sogar noch zu steigern.
Hier einige markante Beispiele:
- Man verlangt eine Anhebung des Mindestlohns auf 1.300 Euro netto. Jeder Mindestlohn nimmt der Lohngestaltung die Flexibilität, weil alle Beträge in Relation zum Mindestlohn und nicht in Relation zur Wirtschaftsleistung diskutiert werden. Eine Anhebung auf 1.300 Euro netto bedeutet jedenfalls eine Überforderung der französischen Wirtschaft.
- Alle Löhne sollen nach den Vorstellungen der „Gelben Westen“ indexiert mit der Inflation steigen. Womit man eine Inflations-Spirale nach oben auslöst, da die laufend angehobenen Löhne die Preise immer wieder in die Höhe treiben.
- Das Rentenantrittsalter soll bei 60 Jahren bleiben, keine Rente darf unter 1.200 Euro liegen. Die Kosten der Renten sind schon jetzt die größte Belastung der französischen Staatsfinanzen und der gesamten Volkswirtschaft. Dringend notwendig wäre eine kräftige Anhebung des Renteneintrittsalters.
- Die höchsten Gehälter sollen 15.000 Euro nicht übersteigen, womit eine Flucht der Spitzenkräfte aus Frankreich entstünde.
- Den Unternehmen sei zu verbieten, im Ausland zu produzieren. Die Industrie müsse im Land geschützt werden. Die Demonstranten verlangen noch mehr Protektionismus, eine Ausrichtung, die jetzt schon Frankreich belastet.
Hier findet sich eine Sammlung von linken und rechten Forderungen, die Frankreich zu einer nationalistischen Wirtschaftsfestung machen würden. Die ohnehin unter vielfach mangelnder Wettbewerbsfähigkeit leidende Wirtschaft würde weiter absinken.
Einige vernünftige Ideen mit geringen Aussichten auf eine Realisierung
Im dem Chaos der Demonstrationen, Verwüstungen und des politischen Kräftemessens ist ein vernünftiges Programm der Regierung zur Verbesserung der Mobilität kaum beachtet worden, das vor wenigen Tagen im Ministerrat präsentiert wurde. Auch in diesem Zusammenhang sorgte die Regierung für Ärger:
- Man beauftragte erstmals in Frankreich eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Formulierung der Begründung für das Gesetz. Das Echo: Ist denn die Regierung selbst nicht in der Lage, ein Gesetz zu argumentieren?
- Das Programm selbst ist angesichts der gegebenen Umstände unrealistisch und wirkt somit nur als lahme Rechtfertigung der Ökosteuer-Erhöhung.
Mit den angekündigten, für die Zukunft geplanten Maßnahmen könnten schon Verbesserungen der Mobilität erreicht werden.
- Im Vordergrund steht der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Der Vorrang der großen, landesweiten und internationalen Schnellverbindungen mit den TGV (Trains à grande vitesse – Züge mit großer Geschwindigkeit) wird beendet. Die Versorgung der Regionen erhält Priorität.
- Allerdings wurden aus Mangel an Frequenz viele Regionalstrecken in den vergangenen Jahren eingestellt. Es wird also nicht einfach sein, die Franzosen, insbesondere jene, die im ländlichen Raum leben, für Park and Ride zu begeistern, wenn noch viele Jahre vergehen bis die notwendigen Investitionen Realität werden können.
- Als zweiter Schwerpunkt ist die Verlagerung von Kompetenzen zu den regionalen Behörden vorgesehen. Man hofft, dass die lokalen Stellen die gemeinschaftliche Nutzung von PKW und die Bereitstellung von PKW auf Abruf organisieren werden.
- Außerdem setzt man auf die Verbreitung des Fahrrads.
- Allerdings: In Frankreich fahren nur 2 Prozent mit dem Fahrrad zur Arbeit und 60 Prozent nützen das Auto sogar für Strecken unter 1 km, wie das Nationale Statistikamt vor kurzem feststellte.
Fazit: Frankreichs Probleme werden in diesen Tagen nicht kleiner, weder durch die Politik der Regierung noch durch die Forderung der Straße. Das Klima wird auch nicht besser, wenn der neue französische Innenminister, Christophe Castaner, noch vor dem Samstag der Eskalation erklärt, man möge doch die Demonstrationen nicht überschätzen, das seien doch nur bestenfalls 0,1 Prozent der 67 Millionen Franzosen. Dies nach einigen Wochen im Amt. Sein Vorgänger, der beliebte Langzeitbürgermeister von Lyon, Mitbegründer der französischen SP und enger Mitstreiter von Macron, Gérard Collomb, hatte im Oktober dem Präsidenten das Amt des Innenministers hingeworfen - der 71-Jährige wollte die überhebliche und Menschen verachtende Politik seines früheren Freundes Macron nicht länger mittragen.
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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.