Deutschland

Argumente für eine intelligente Industriepolitik

Dalia Marin von der TU München unterstützt die "Nationale Industriestrategie 2030" des Wirtschaftsministeriums. Insbesondere die heimische Produktion von E-Batterien sei ein lobenswertes Ziel.
Autor
avtor
13.05.2019 18:18
Lesezeit: 3 min

Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat Anfang des Jahres seine „Nationale Industriestrategie 2030“ vorgestellt, die darauf abzielt, deutsche Unternehmen vor der staatlich subventionierten chinesischen Konkurrenz zu schützen. Die Strategie identifiziert Schlüsselbranchen, die von der Regierung besonders unterstützt werden sollen, tritt für die Einrichtung einer eigenen Batterieproduktion für Elektrofahrzeuge in Europa ein und spricht sich für Fusionen aus, um Skaleneffekte zu erreichen.

Die geplanten Maßnahmen sind kontrovers. Lars Feld, Mitglied des Sachverständigenrates für gesamtwirtschaftliche Entwicklung, hat Altmaier der Planwirtschaft bezichtigt. Doch geht es hier nicht um eine ideologische Debatte, wie Feld suggeriert, sondern vielmehr um die Frage, ob eine derartige Industriepolitik funktionieren kann. Und obwohl Altmaiers Plan nicht in allen Aspekten überzeugt, gibt es starke Argumente für eine staatliche Unterstützung jener Sektoren – einschließlich der Automobilindustrie –, die zunehmend auf künstliche Intelligenz (KI) angewiesen sind.

Es stimmt, dass nationale Industriepolitiken im Allgemeinen unter Ökonomen einen schlechten Ruf haben, vor allem, weil die Regierungen eine derartige Politik in der Vergangenheit oft nutzten, um „Verlierer“ zu unterstützen, und so nicht konkurrenzfähige Unternehmen auf dem Markt hielten. Das Argument für eine derartige Politik war insbesondere in den Entwicklungsländern, dass junge Branchen Schutz vor der ausländischen Konkurrenz bräuchten, um zu wachsen und zur Reife zu gelangen. Doch kam die Weltbank schon vor langer Zeit zu dem Schluss, dass diese Politik gescheitert sei, und wendete sich daher in den 1960er und 1970er Jahren von Importsubstitutionsprogrammen ab.

Die Entwicklung einer strategischen Handelspolitik in den 1980er Jahren lieferte eine theoretische Grundlage für eine aktive Industriepolitik. In einem durch perfekten Wettbewerb gekennzeichneten Weltmarkt ist die optimale Exportpolitik nicht der Freihandel, sondern ein ausreichend niedriger Ausfuhrzoll. Die Situation ändert sich jedoch, wenn Unternehmen wie im Falle des europäischen Flugzeugherstellers Airbus und seines amerikanischen Rivalen Boeing über Marktmacht verfügen und strategisch miteinander konkurrieren. Hier kann eine Subventionierung von Airbus dazu führen, dass Airbus Boeing Marktanteile abnimmt.

Altmaier und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire haben diese Begründung in jüngster Zeit angeführt, um auf eine Fusion in der deutsch-französischen Eisenbahnindustrie zwischen Alstom und Siemens zu drängen. Sie argumentierten, dass der Zusammenschluss einen europäischen „Champion“ hervorbringen würde, der imstande wäre, mit dem chinesischen Eisenbahnriesen CRRC zu konkurrieren.

Doch waren ihre Argumente nicht überzeugend. Während die Subventionierung von Airbus einen zusätzlichen Wettbewerber schuf, hätte die vorgeschlagene Fusion von Alstom und Siemens die Zahl der europäischen Eisenbahnunternehmen reduziert. Zudem verwies EU-Wettbewerbskommissare Margrethe Vestager bei ihrem Verbot der Fusion darauf, dass Alstom und Siemens selten in Drittländern mit CRRC konkurrieren, weil das chinesische Unternehmen sich vorwiegend auf seinen Heimatmarkt konzentriert. Die Fusion hätte Alstom-Siemens daher vermutlich nicht in die Lage versetzt, CRRC Marktanteile abzunehmen.

Die Argumente für eine staatliche Intervention sind viel stärker in Branchen, wo es Skaleneffekte gibt und wo durch „Learning by doing“ Wissen entsteht, das auch nach Auslaufen der staatlichen Subventionen weiter bestehen bleibt. Dies gilt insbesondere für die vielen Sektoren, die in Kürze durch die KI angetrieben werden werden. Je mehr Daten eine Firma oder Branche produziert, desto mehr lernt sie und desto besser wird der KI-Algorithmus.

Aufgrund seiner Größe hat China in diesen Sektoren einen Wettbewerbsvorteil. Die chinesischen Behörden haben dies erkannt und staatliche Subventionen geschickt zur Förderung der KI und zur Unterstützung einheimischer Firmen eingesetzt. Um dieser Herausforderung zu begegnen, sollten Deutschland und Europa mit eigenen Subventionen für wissensbasierte Sektoren reagieren.

Europas Automobilindustrie ist ein offensichtlicher Kandidat für eine derartige Unterstützung. Darum ist Altmaiers Plan zur Entwicklung einer europäischen Batterieproduktion für Elektroautos sinnvoll und könnte sogar eine industrielle Renaissance auf dem Kontinent vorantreiben.

Batterien für Elektroautos in Europa zu produzieren würde weitere Automobilunternehmen anlocken und zu niedrigeren Autopreisen führen, weil die Hersteller deutlich weniger Batterien aus Asien importieren müssten. Ein derartiges Wachstum wiederum könnte einen selbstverstärkenden Agglomerationseffekt hervorrufen, da zusätzliche Autofirmen ihre Produktion nach Europa verlagern würden, um in der Nähe anderer Autounternehmen und ihrer Lieferanten zu sein. Paul Krugman und Anthony J. Venables haben diese Rückwärts- und Vorwärtsverflechtungen schon vor mehr als zwei Jahrzehnten in einem bekannten Artikel skizziert.

Eine große Elektroauto-Industrie in Europa würde die Nachfrage nach Arbeitskräften steigern und zu einem Anstieg der Realeinkommen pro Kopf führen. Und je wichtiger die Batteriezellen für den Gesamtwert der Elektroautos sind, desto stärker wird der Agglomerationseffekt ausfallen.

Dies wäre eine gewaltige Verschiebung. China kontrolliert derzeit die gesamte Wertschöpfungskette für Elektroautos, einschließlich des Angebots an Kobalt, einem unverzichtbaren Rohstoff für die Batterieherstellung. Infolgedessen produziert China 69% der weltweiten Batterien für Elektroautos, die USA produzieren 15% (in Teslas „Gigafactory“ in Nevada) und Europa nur 4%. Trotzdem könnte Europa eine Batterieproduktion entwickeln, indem es Altelektronik recycelt, neue Kobalt sparende Verfahren entwickelt und alternative Mineralvorkommen entdeckt.

Man könnte argumentieren, dass Europa seine Autoindustrie allmählich nach China migrieren lassen sollte, das Autos billiger herstellen kann. Schließlich wollen alle Verbraucher Autos in vernünftiger Qualität zu einem möglichst niedrigen Preis kaufen. Wenn die Chinesen sie wirtschaftlicher produzieren können, so das Argument, dann sollte man sie lassen. Doch ganz abgesehen von der enormen politischen und wirtschaftlichen Gegenreaktion, die eine derartige Entscheidung in Europa hervorrufen würde, ist diese Sichtweise zu simplistisch. Die KI wird für die Zukunft der Autoindustrie von zentraler Bedeutung sein, und Fortschritte in diesem Bereich werden positive Ausstrahlungseffekte in viele andere Branchen haben.

Wenn Europa seine Automobilindustrie aufgibt, ist das ein Verlust an Wissen und künftigem Wachstum. Die Bundesregierung tut daher Recht daran, die deutschen Autohersteller zu unterstützen. Industriepolitik ist manchmal eben kein Relikt sozialistischer Planwirtschaft, sondern die intelligente Entscheidung.

Dalia Marin ist Professorin für Volkswirtschaft an der Technischen Universität München und Research Fellow am Centre for Economic Policy Research (CEPR).

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Dalia Marin

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Dalia Marin ist Professorin für Internationale Wirtschaftswissenschaften an der Managementschule der Technischen Universität München und Research Fellow am Centre for Economic Policy Research.

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