In Ostdeutschland leben einer Studie zufolge so wenige Menschen wie seit 1905 nicht mehr. Gleichzeitig zählt das Gebiet der alten Bundesrepublik so viele Einwohner wie niemals zuvor in der Geschichte, wie aus einer am Mittwoch veröffentlichten wirtschaftshistorischen Studie der Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts hervorgeht.
"Die Einwohnerzahlen beider Landesteile driften trotz Wiedervereinigung nahezu ungebremst auseinander", sagte Studienautor Felix Rösel. "Die anhaltende Wucht der deutschen Teilung wird bis heute in der Öffentlichkeit völlig unterschätzt. Dieser Aspekt wird häufig übersehen und bedarf besonderer politischer Berücksichtigung."
Hauptursache für den Bevölkerungsschwund ist dem Institut zufolge die Massenflucht aus Ostdeutschland von 1949 bis zum Mauerbau im Jahr 1961. Darüber hinaus fehlte in der damaligen DDR auch die Zuwanderung junger Gastarbeiter in den 60er und frühen 70er Jahren. Schließlich habe die Abwanderung nach der Wende vor 30 Jahren zur unterschiedlichen Bevölkerungsentwicklung beigetragen.
"Dresden und Leipzig hätten heute doppelt so viele Einwohner und wären Millionenstädte, wenn sie genauso wie der Westen gewachsen wären", rechnete der Ifo-Forscher vor. Beide sächsische Großstädte haben derzeit etwa 550.000 Einwohner. Vor der deutschen Teilung vor rund 70 Jahren hatten sich Ost- und Westdeutschland dagegen nahezu parallel entwickelt. "Einkommen und Arbeitslosenquoten in Ost und West gleichen sich zwar langsam an, aber die Bevölkerungszahlen driften immer weiter auseinander", sagte Rösel.
Der Ifo-Forscher weist vor diesem Hintergrund die jüngsten Überlegungen zu einer Konzentration öffentlicher Fördermittel auf ostdeutsche Großstädte zurück. "Der ländliche Raum im Osten ist infolge der deutschen Teilung regelrecht ausgeblutet", sagte er. Ein Ende der Förderung des ländlichen Raumes in Ostdeutschland wäre eine doppelte und deshalb besonders ungerechte Bestrafung. "Wir brauchen genau das Gegenteil und müssen den sozialen Zusammenhalt sowohl in den Städten als auch in der Fläche fördern", forderte der Experte.