Gemischtes

EU-Gerichtshof: Deutsche Pkw-Maut verstößt gegen EU-Recht

Die von der Bundesregierung geplante Pkw-Maut verstößt nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes gegen EU-Recht.
18.06.2019 09:48
Lesezeit: 2 min

Die geplante Einführung der Pkw-Maut in Deutschland ist nach jahrelangem Streit geplatzt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärte das Prestigeprojekt der CSU in der großen Koalition am Dienstag für rechtswidrig, weil es Autofahrer aus dem Ausland benachteilige. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und die SPD machten klar, dass das beschlossene Modell damit vom Tisch ist. Der Bund muss nun auch offene Finanzfragen lösen, da schon vor dem Urteil Maut-Vorbereitungen angelaufen sind. Die Opposition begrüßte das Aus für den eigentlich im Herbst 2020 geplanten Start der Gebühr.

Die obersten EU-Richter gaben einer Klage Österreichs statt. Die Ausgestaltung der Maut sei diskriminierend, da ihre wirtschaftliche Last praktisch allein auf Haltern und Fahrern von Autos liegen würde, die in anderen EU-Staaten zugelassen sind. Damit kippte der EuGH den umstrittenen Mechanismus für einen Ausgleich für Inländer - nur sie sollten für Mautzahlungen voll über eine geringere Kfz-Steuer entlastet werden. Dies sollte die Bedingung im Koalitionsvertrag von 2013 umsetzen, dass kein Inländer zusätzlich belastet werden darf.

Scheuer sagte in München, mit dem überraschenden Urteil sei die Pkw-Maut «in dieser Form leider vom Tisch». Eine Arbeitsgruppe des Ministeriums solle nun finanzielle und organisatorische Folgen klären. Hintergrund sind unter anderem vorgesehene Stellen beim Kraftfahrt-Bundesamt. Zudem sind schon Zuschläge für die privaten Betreiber erteilt worden, die sich um Erhebung und Kontrolle kümmern sollten - daraus dürften dem Bund Entschädigungsansprüche drohen. Die Maut-Gesetze sind seit 2015 in Kraft, wurden aber nicht angewandt.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ mögliche Konsequenzen vorerst offen. Das Urteil sei zu akzeptieren und zur Kenntnis zu nehmen. Scheuer werde die Situation analysieren. «Und dann werden wir sagen, wie wir weiter vorgehen.» Bundesinnenminister Horst Seehofer, der sich als damaliger CSU-Chef maßgeblich für die Maut eingesetzt hatte, sagte: «Man muss Gerichtsurteile akzeptieren, aber man muss sie nicht verstehen.» Nach seiner Einschätzung werde die Entscheidung die Zustimmung gegenüber europäischen Institutionen nicht erhöhen. Der kommissarische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel sprach von einer «Schlappe» für die CSU. In dieser Form werde es keine Maut geben.

Das Bundesverkehrsministerium hatte aus der «Infrastrukturabgabe» nach Abzug der Systemkosten einen Ertrag von jährlich 500 Millionen Euro in Aussicht gestellt - zweckgebunden für Straßen-Investitionen. Daran gab es aber bis zuletzt Zweifel. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte: «Diese CSU-Maut hätte Ausländer diskriminiert und wäre nebenbei noch ein fettes Minusgeschäft.» Der Autofahrerclub ADAC forderte einen völligen Verzicht auf eine Pkw-Maut. Die Koalition habe eine Mehrbelastung heimischer Autofahrer ausgeschlossen. Dieses Versprechen müsse nun auch eingehalten werden.

Geplant war, dass alle inländischen Autobesitzer für Autobahnen und Bundesstraßen eine Jahresmaut zahlen, die vom Konto abgebucht wird und sich nach Größe und Umweltfreundlichkeit des Motors richtet. Im Schnitt sollte sie 67 Euro kosten, maximal 130 Euro. Autofahrer aus dem Ausland sollten zum Schutz der Wirtschaft in den Grenzregionen nur für Autobahnen zahlen. Sie sollten neben der Jahresmaut auch zwei Kurzzeittarife für zehn Tage oder zwei Monate buchen können.

Die Luxemburger Richter führten weiter an, die Maut verstoße auch gegen die Grundsätze des ungehinderten Zugangs zum EU-Binnenmarkt. Sie könne den freien Dienstleistungs- und Warenverkehr aus anderen EU-Staaten etwa dadurch behindern, da sich Transportkosten für Lieferanten und damit Preise von Produkten erhöhten. Der EuGH monierte zudem, dass es für Inländer keine Möglichkeit geben sollte, eine Kurzzeitmaut zu wählen, die der tatsächlichen Nutzung der Straßen besser entspräche.

Österreichs Verkehrsminister Andreas Reichhardt begrüßte das Urteil. Die Richter hätten zum Glück Klarheit geschaffen. Die Regierung in Wien war bei der Klage von den Niederlanden unterstützt worden. Es war einer der seltenen Fälle, in dem ein EU-Staat gegen einen anderen ein Verfahren wegen der Verletzung von EU-Recht eingeleitet hat. Die EU-Kommission hatte Bedenken gegen die deutschen Maut-Pläne fallengelassen, nachdem Berlin einige Änderungen am Modell zugesagt hatte.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Rentenversicherung: Warum Bärbel Bas' Beamten-Vorschlag 20 Milliarden Euro im Jahr kosten würde
13.05.2025

Geht es nach Arbeitsministerin Bärbel Bas, sollen künftig auch Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden. Eine neue...

DWN
Panorama
Panorama Reichsbürger-Verbot: Dobrindt zerschlägt "Königreich Deutschland"
13.05.2025

Sie erkennen den Staat nicht an, verbreiten Verschwörungstheorien und zahlen häufig keine Steuern. Die Szene der Reichsbürger war...

DWN
Politik
Politik Geopolitischer Showdown in der Türkei: Selenskyj, Putin – und Trump im Anflug
13.05.2025

Ein historisches Treffen bahnt sich an: Während Selenski den russischen Präsidenten zu direkten Friedensgesprächen nach Istanbul...

DWN
Panorama
Panorama Umwelt? Mir doch egal: Klimaschutz verliert an Bedeutung
13.05.2025

Klimaschutz galt lange als gesellschaftlicher Konsens – doch das Umweltbewusstsein in Deutschland bröckelt. Eine neue Studie zeigt, dass...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohntraum wird Luxus: Preise schießen in Städten durch die Decke
13.05.2025

Die Preise für Häuser und Wohnungen in Deutschland ziehen wieder deutlich an – vor allem in den größten Städten. Im ersten Quartal...

DWN
Finanzen
Finanzen Wird die Grundsteuer erhöht? Zu viele Ausgaben, zu wenig Einnahmen: Deutsche Kommunen vorm finanziellen Kollaps
13.05.2025

Marode Straßen, Bäder und Schulen: Fast neun von zehn Städten und Gemeinden in Deutschland droht in absehbarer Zeit die Pleite. Bereits...

DWN
Politik
Politik EU im Abseits: Trump bevorzugt London und Peking – Brüssel droht der strategische Bedeutungsverlust
12.05.2025

Während Washington und London Handelsabkommen schließen und die USA gegenüber China überraschend Konzessionen zeigen, steht die EU ohne...

DWN
Panorama
Panorama Nach Corona nie wieder gesund? Die stille Epidemie der Erschöpfung
12.05.2025

Seit der Corona-Pandemie hat sich die Zahl der ME/CFS-Betroffenen in Deutschland nahezu verdoppelt. Rund 600.000 Menschen leiden inzwischen...