Politik

Von der Leyen: Wie sie Europa im weltweiten Machtgefüge verorten wird

Lesezeit: 4 min
06.07.2019 17:33
An Ursula von der Leyen scheiden sich die Geister. Ihre Aussagen aus den vergangenen Jahren geben Hinweise darüber, welche EU-Außen- und Verteidigungspolitik sie als mögliche Kommissionspräsidentin verfolgen wird.
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Ursula von der Leyen könnte EU-Kommissionspräsidentin werden. (Foto: dpa)

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Das Magazin Politico hat einige Aussagen zusammengetragen, die Ursula von der Leyen in der Vergangenheit zu bestimmten Themenbereichen getätigt hat.

Von der Leyen hat mit Frankreich an einer engeren militärischen Zusammenarbeit gearbeitet. Ihre Idee für eine gemeinsame Europa-Armee unterscheidet sich ein wenig von der des französischen Präsidenten Emmanuel Macron - sie fordert eine “Armee der Europäer” und nicht einer “EU-Armee”, wie dies Macron tut. Im vergangenen November sagte sie, dass die Verantwortung für die europäischen Truppen “nicht zentralisiert” werden, sondern bei ihren jeweiligen Regierungen verbleiben sollte. Sie betonte, dass die europäische militärische Zusammenarbeit nicht im Wettbewerb mit der Nato stehe. Europa müsse in Verteidigungsfragen “transatlantisch bleiben”, aber “auch europäischer werden”. 

Ursula von der Leyen zur Europa-Armee

Von der Leyen unterstützt die Gründung einer Europa-Armee im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO), welche von den USA, Russland, Großbritannien und der Türkei abgelehnt wird. In einem Interview mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten sagt der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Eric Pahon, dass eine europäische Armee der Nato zur Verfügung stehen müsse, ohne Sonderwege zu gehen. “Die USA unterstützen ergänzende Verteidigungsinitiativen der Europäischen Union, solange diese nicht von den Fortschritten und Anforderungen der Nato ablenken”, so Pahon.

Von der Leyen verwickelt sich an dieser Stelle in Widersprüche. Einerseits möchte sie eine echte Europa-Armee, aber ohne eine Einheit der Führung, und andererseits unterstützt sie PESCO, was eindeutig eine Konkurrenz zur Nato darstellt. Dabei möchte sie gleichzeitig transatlantisch bleiben. 

Im Jahr 2014 wechselte sie vom Posten der Familienministerin auf den Posten der Verteidigungsministerin und die erste Aussage, die sie tätigte, war: “Mein Ziel ist es, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu machen. Das wichtigste Thema ist dabei die Vereinbarkeit von Dienst und Familie. Unsere Soldatinnen und Soldaten lieben ihren Beruf, aber sie möchten auch, dass ihre Ehen halten und sie ein glückliches Familienleben führen (...) Ich denke auch an Lebensarbeitszeitkonten, auf die Überstunden eingezahlt werden und von denen Freizeiten abgehoben werden können, sei es für die Betreuung von kleinen Kindern oder alter Eltern.”

Offenbar haben ihre Berater ihr anschließend mitgeteilt, dass sie nun nicht mehr Familienministerin sei, woraufhin im Rahmen einer Ad-Hoc-PR-Kampagne ein Foto von der Verteidigungsministerin die Runde machte, auf dem sie mit verschränkten Armen und einer schwarzen Lederjacke auf einem Flugplatz zu sehen war. Damit sollte der Öffentlichkeit offenbar mitgeteilt werden, dass die neue Verteidigungsministerin "ultra-hart" und nicht "familienfreundlich-zart" ist.

Harte Haltung gegenüber Russland

Von der Leyen hat stets eine harte Haltung gegenüber Russland unterstützt. “Präsident Putin schätzt keine Schwäche. Anbiedern oder Nachgiebigkeit macht ihn nicht freundlicher. Russland hat die Krim annektiert, stranguliert weiter die Ostukraine. Aleppo ist von russischen Fliegern unter einem Bombenteppich begraben worden”, so von der Leyen.

Es macht daher durchaus Sinn, dass die SPD gegen ihre Nominierung ist, zumal die SPD ein Interesse an der Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland hat. Bemerkenswerterweise haben sich auch eine Reihe von hochrangigen Politikern der Linkspartei und der AfD gegen ihre Nominierung ausgesprochen. Wenn man sich die außenpolitischen Linie der AfD und der Linkspartei anschaut, dürfte sich diese Haltung erklären. Beide Parteien tendieren zumindest mehrheitlich nicht gen Westen.

Friedrich Merz, der eindeutig ins transatlantisch-demokratische Lager gehört, und die CDU unterstützen von der Leyen. Auch diese Haltungen ergeben sich insbesondere aufgrund bestimmter außenpolitischer Präferenzen.

Ursula von der Leyen möchte Europa zu den “Vereinigten Staaten von Europa” umfunktionieren und Russland gegenüber selbstbewusst auftreten. Dabei verkennt sie allerdings, dass in Europa nicht die Unterstützer dieser Idee im Aufschwung sind, sondern eher die Gegner. Die nationalistischen Kräfte erstarken. Sollte sie als EU-Kommissionspräsidentin an diesem Ziel festhalten und es auch offensiv artikulieren, könnte sie das Gegenteil von dem erreichen, was sie ursprünglich geplant hatte. Jeder Versuch der Durchsetzung von Schritten, die die EU zusammenschweißen soll, könnte von nationalistischen Parteien und nationalistischen Bewegungen, die mittlerweile auch Regierungen stellen, fälschlicherweise als Paternalismus empfunden werden.

Kritik an Chinas Politik im Südchinesischen Meer

Im Zusammenhang mit China sagte sie in einem Interview mit der Zeit: “Wir thematisieren China zu wenig. Weil die Chinesen ihre offene Machtpolitik bislang vor allem in Asien betreiben. Sie agieren uns gegenüber nicht so martialisch wie das Russland Wladimir Putins. China umgarnt uns freundlich. Und deshalb übersehen wir oft, wie konsequent es seine Ziele verfolgt.”

Welche Linie von der Leyen im Zusammenhang mit China vertritt, wird sich an den handelspolitischen Maßnahmen unter ihrer Präsidentschaft sehen lassen. Von der Leyen hatte im vergangenen Jahr Chinas Aktivitäten im Südchinesischen Meer, welches sehr wichtig ist für den internationalen Handel, scharf kritisiert. Die Schiffswege müssen ihr zufolge frei bleiben und “dürfen nicht zum Gegenstand von Machtprojektionen werden”, sagte sie in Richtung Peking. 

“Deutschland war oft zu groß und zu dominant. Dieses Machtstreben führte zu Konflikten”, fügte sie hinzu. Das Beispiel mit Deutschland, das sie im Verlauf ihrer China-Kritik einbrachte, war deshalb besonders kurios, weil den Eindruck, den sie von China hat, eine Reihe von EU-Staaten immer noch von Deutschland in Europa haben. Deutschland ist für viele EU-Staaten wirtschaftlich und politisch dominant. Darin sehen insbesondere nationalistische Kräfte in Europa ein deutsches Machtstreben, was früher oder später zu Konflikten führen könnte. 

Die schwierigste Aufgabe der möglichen nächsten EU-Kommissionspräsidentin wird nicht darin bestehen, eine starke EU oder die “Vereinigten Staaten von Europa” zu formen, weil das unter den gegebenen wirtschaftlichen und politischen Umständen nicht möglich ist. Es würde schon ausreichen, wenn die seit einigen Jahren auftretenden Konflikte - etwa zwischen der EU-Kommission und Italien oder den osteuropäischen Staaten - beigelegt werden könnten.


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