Die US-Geheimdienste greifen in die Privatsphäre der Deutschen viel weniger ein als die deutschen Behörden. In Beantwortung einer Anfrage der Partei Die Linke hat die Bundesregierung nun die Zahlen offengelegt. Demnach gab es im ersten Halbjahr 2013 bei der Finanzaufsicht Bafin insgesamt 62 749 Anfragen von Behörden, in denen die Ämter Einblick in die Konto-Bewegungen der Bürger verlangten. Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) 59 482 Konten abgerufen und den Behörden die gewünschten Auskünfte erteilt.
Das ist eine massive Steigerung: Im gesamten Jahr 2012 hat das BZSt 70 706 Kontenabrufe vorgenommen. Die Finanzaufsicht Bafin hat im selben Zeitraum 62 749 Anfragen an die Banken gerichtet, um Auskunft über Kontobewegungen zu erhalten.
Seit 2005 können die Behörden die Kontostammdaten abrufen. Das ist eine weitreichende Befugnis. Zu den Kontostammdaten zählen zum einen die Kontonummer, das Eröffnungs- bzw. Auflösungsdatum eines Kontos, zum anderen aber auch Name, Anschrift, Geburtsdaten, vorhandene Bausparverträge und Wertpapierdepots der Kontoinhaber.
Alle deutschen Banken und Sparkassen sind verpflichtet, diese Informationen in einer Datenbank abzulegen und unter niedrigen datenschutzrechtlichen Standards den Behörden zur Verfügung zu stellen.
Diese weitgehenden Zugriffsrechte wurden 2005 mit dem Kampf gegen den Terror begründet. Als Absicht hatte die Regierung damals angegeben, sie wolle die Finanzströme von Terroristen aufdecken und trockenlegen.
Die aktuelle Praxis erweckt den Anschein, dass die Regierung mittlerweile alle Bürger als Terroristen betrachtet und sich weitgehende Informationsrechte verschafft hat. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz hat die Öffnung der Konten der Bürger in seinem jüngsten Tätigkeitsbericht kritisiert: So werde der Stammdatensatz eines jeden einzelnen Bank-Kunden bereits bei der Eröffnung eines Kontos gespeichert und den Behörden zugänglich gemacht.
Die Zahl der Behörden hat sich im Lauf der Jahre deutlich erweitert: Heute haben auch Kommunen, Sozialämter, Zollbehörden, BAFög-Stellen und Gerichtsvollzieher praktisch freien Zugriff auf die Bank-Konten der Deutschen.
Die Zahlen der Bundesregierung zeigen, dass die Abfragen in allen Bundesländern und von allen Behörden erfolgen. Ein relativ neues Anwendungsgebiet ist der Zugriff auf das Konto bei Unterhalts-Streitigkeiten. Dieser ist nach dem Unterhaltsvorschussentbürokratiesierungsgesetz (sic!) seit Mai 2013 möglich.
Der Datenschutzbeauftragte sieht darin keinen Kampf gegen den Terror, sondern die vom Verfassungsgericht ausdrücklich für rechtswidrig erklärte „anlasslose Speicherung“ aller Konto-Inhaber in Deutschland. Die Linke kritisiert, dass durch die exzessive Praxis auch die Konto-Informationen völlig Unbeteiligter weitergereicht werden.
Die Partei muss einräumen, dass diesem Problem der staatlichen Kontrolle auch mit Maßstäben des Klassenkampfs nicht beizukommen ist:
„Daher geraten nicht nur sogenannte Besserverdiener, sondern auch Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe, Wohngeld, Elterngeld, Unterhaltssicherung oder BAföG in das Kontrollraster der Behörden.“
Die Reaktion der Bundesregierung auf die Anfrage belegt, dass die Regierung nicht daran denkt, an diesem Missstand zu rütteln.
Im Gegenteil: Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass der Zugriff auf die Bank-Konten im Interesse der Bürger ist:
„Die Bundesregierung ist … der Auffassung, dass sich das Verfahren zum Abruf von Kontoinformationen nach § 24c Kreditwesengesetz und § 93b i. V. m. § 93 Absatz 7 und 8 AO bewährt hat. Sie sieht deshalb keine Veranlassung, der Entwicklung entgegenzuwirken. Die Entscheidung, einen Kontenabruf zu veranlassen, muss die zuständige Stelle nach Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen und unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen treffen. Dabei hat sie – gerade bei Kontenabrufen zum Zweck der Ermittlung von Vollstreckungsmöglichkeiten – zu berücksichtigen, dass ein Kontenabruf im Vergleich mit anderen Ermittlungsmöglichkeiten regelmäßig das mildere Mittel darstellt.“
Die Bundesregierung hat die Anfrage vergleichsweise offenherzig beantwortet. Dahinter steckt ein Kalkül: Der Bürger soll, wie schon bei der Veröffentlichung der sogenannten Offshore-Leaks (hier), daran erinnert werden, dass er sich gegenüber dem Staat prinzipiell im Unrecht befindet. Das schlechte Gewissen der Bürger, das im Zug der Hoeneß-Affäre zu einer Flut von Selbstanzeigen geführt hat (hier), soll es dem Schuldenstaat erleichtern, Einkünfte zu generieren.
Je mehr die Bürger an diesem Prozess „mitwirken“, desto weniger wird der Staat gezwungen, seine Ausgaben durch Spar-Disziplin zu reduzieren. Je mehr der Staat über die Finanzen des Bürgers weiß, desto effizienter kann er zugreifen, wenn er es braucht - etwa bei Bankenrettungen (hier ist die Planung schon weit gediehen).
Daher haben die Banken keinen Grund, bei der anlasslosen Durchleuchtung der Bürger Schwierigkeiten zu machen. Schließlich könnte ja jedes Institut einmal in die Situation geraten, beim Staat um eine Rettung mit Steuermitteln vorstellig zu werden.
Für diesen Fall lohnt sich das Wohlverhalten in Friedenszeiten. Die genaue Kenntnis der wirtschaftlichen Verhältnisse der Bürger nutzt im Extremfall auch den Banken extrem.
So wäscht eine Hand die andere.
Der Steuerzahler hat die vornehme Pflicht, Behörden und Banken die Seife zu liefern.
Schließlich steht er im Mittelpunkt eines Systems, das er nicht mehr kontrollieren kann, sondern das eine immer vollständigere Kontrolle über ihn erlangt.
Wer sich darüber aufregt, sollte sich den Satz aus der Antwort merken, in dem die Regierung die Bürger daran erinnert, „dass ein Kontenabruf im Vergleich mit anderen Ermittlungsmöglichkeiten regelmäßig das mildere Mittel darstellt“.
George Orwell und Franz Kafka hätten ihre helle Freude am Deutschland im Jahr 2013.