Investoren und Ökonomen ahnen es schon lange: Die chinesischen Wirtschaftsdaten sind zu gut, um wahr zu sein. Nun erhält diese Vermutung ein solides Fundament in Form einer Studie, die von Christopher Balding an der Universität von Peking HSBC Business School erarbeitet wurde. Demnach sind die Inflationsdaten der chinesischen Wirtschaft hochgradig verfälscht. Von diesen Daten leiten sich wiederum weitere ökonomische Kennzahlen ab, wie etwa das Bruttoinlandsprodukt. Dieses wurde, den konservativen Schätzungen von Balding zufolge, um mindestens acht bis zwölf Prozent zu hoch bemessen. Das sagte Balding den Deutschen Wirtschafts Nachrichten (komplettes Interview hier).
Die Studie trägt den vielsagenden Titel: „Wie sehr sind chinesische Wirtschaftsdaten verzerrt? Das Eröffnungsgebot liegt bei einer Billion US-Dollar“. Darin konzentrierte sich Balding zunächst auf die offiziellen Zahlen der Nationalen Behörde für Statistik China (NBSC). Sein Fokus liegt dabei besonders auf den Wohnkosten, da diese im Allgemeinen den größten Faktor in vielen Warenkörben ausmachen. Balding kommt schnell zu dem Schluss, dass die Basisdaten der Inflationsrate für den Wohnungsmarkt im großen Stil manipuliert sind.
Offiziellen Daten zufolge kamen private Hausbesitzer in chinesischen Stadtgebieten zwischen 2001 und 2011 in den Genuss einer Inflationsrate von relativ geringen sechs Prozent. Gleichzeitig schlug die Inflation auf Mieter in Stadtgebieten mit über 50 Prozent nieder. Die NBSC aber klassifiziert die meisten Haushalte in China als private Hausbesitzer, wodurch sie unter die geringere Inflationsrate fallen. Den Daten der NBSC zufolge wohnen lediglich zwölf Prozent der Chinesen zur Miete.
Darüber hinaus setzt die Behörde eine geradezu absurde Quote zur Verteilung der Bevölkerung in städtischen und ländlichen Regionen an. Obwohl im Jahr 2000 noch mehr als zwei Drittel der chinesischen Bevölkerung auf dem Land lebten, gewichtet die NBSC die Verteilung urbane und rurale Bevölkerung mit 80 zu 20 und verzerrt die Statistik dadurch weiter zu ihren Gunsten. Erst seit dem Jahr 2011 leben mehr Chinesen in den Städten (51 Prozent) als auf dem Land. Weiterhin behauptet die Behörde, dass die Wohnkosten in urbanen Regionen langsamer gestiegen sind als in ruralen Gebieten. Angesichts der Tatsache, dass viele Chinesen in dieser Zeit in die Städte gezogen sind und die Nachfrage nach Wohnraum dort stark gestiegen ist, erscheint diese Behauptung mehr als fragwürdig. Zudem gewichtet die NBSC die Wohnkosten im Warenkorb geringer als die Kosten für Kultur und Bildung oder die Kosten für Kleidung. Demzufolge, geben Chinesen mehr Geld für Schulen, Universitäten, Theaterbesuche und Kleidung aus, als für das Wohnen.
Und schließlich behauptet die NBSC, dass die Lebensmittelpreise für 99 Prozent der Inflation zwischen 2003 und 2011 verantwortlich seien. Das würde bedeuten, dass die einzigen Preisanstiege in diesem Zeitraum im Lebensmittelbereich lagen.
Um der Wahrheit ein Stück näher zu kommen, bediente sich Balding der Daten der Abteilung für Bauwirtschaft an der Tsinghua Universität Peking und dem Institut für Immobilienstudien der Universität Singapur. Diesen Daten nach hat sich der Preis für Immobilien in 35 chinesischen Städten seit dem Jahr 2000 fast verdreifacht. Damit liegt der tatsächliche Anstieg von Immobilien-Preisen mit 300 Prozent deutlich höher als die offiziell angegebenen acht Prozent. Das bedeutet, dass auch die Zahlen des Consumer Price Index (CPI, vergleichbar mit dem Warenkorb) sowie das inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt drastisch verzehrt sind. Letzteres sei, nach Abgleich der verschieden Daten, um mindestens 8 bis zwölf Prozent zu hoch angesetzt. In US-Dollar ausgedrückt würde das einer Überbewertung von einer Billion US-Dollar entsprechen.
Die Implikationen einer solchen Statistikfälschung sind kaum abzusehen. Diverse Finanzprodukte, Ratings und Investitionsentscheidungen basieren auf den Daten der NBSC.
Die China-Blase platzt.
Und sie ist offenbar noch viel größer, als selbst die Pessimisten angenommen haben