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Brexit: Der jahrelange Niedergang der britischen Autoindustrie gipfelt in einem Knall

31.08.2019 16:00
Lesezeit: 2 min

In knapp zwei Monaten wird Großbritannien die EU verlassen. Es sieht derzeit nicht danach aus, dass sich beide Seiten noch einigen werden, so dass ein Brexit ohne Vertrag immer wahrscheinlicher wird. Zu den Branchen auf der Insel, die sich am meisten davor fürchten, gehört die Autoindustrie.

So ist die Zahl der Investitionen bis Ende Juni des laufenden Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 70 Prozent gefallen. Wie die Branchenvertretung Society of Motor Manufacturers and Traders (SMMT) erklärte, betrug das Gesamtvolumen nur noch 90 Millionen Pfund – also etwa 100 Millionen Euro. Damit wurde der negative Trend vom Vorjahr fortgesetzt, als die Produzenten gegenüber 2017 ihre Investitionen bereits um 46 Prozent verringert hatten.

Diese Entwicklung ist seit dem Brexit-Referendum Mitte 2016 klar zu beobachten, weil die britische Autoindustrie sehr stark auf die reibungslosen Geschäfte mit der Gemeinschaft angewiesen ist. „Die Angst vor einem Brexit ohne Vertrag hat dazu geführt, dass sich die Investoren nicht gerührt haben“, sagte der Vorsitzende der SMMT, Mike Hawes. „Das wäre das denkbar schlechteste Szenario“, zitierte die Nachrichtenagentur „Reuters“ den Funktionär.

Dabei ist der Rückgang der Investitionen nicht das einzige Zeichen, dass die britischen Autounternehmen den Brexit ohne Vertrag fürchten. Zum einen ist die Produktion nach den ersten sechs Monaten massiv zurückgegangen – und zwar um ein Fünftel auf 666.000 Fahrzeuge.

Zum anderen haben die Firmen für insgesamt 330 Millionen Pfund (364 Millionen Euro) zusätzliche Lagerfläche angemietet, die sie mit Ersatzteilen und anderen Autokomponenten aufgefüllt haben, damit ihre Kunden beim EU-Austritt des Landes keine Verzögerungen und Verspätungen erleiden müssen.

Industrie exportiert 60 Prozent nach Europa

Hintergrund: Wohl kaum eine Industrie auf der Insel hängt so stark vom Export ab. Die Hersteller exportieren rund 80 Prozent der Fahrzeuge, allein 60 Prozent davon finden ihre Abnehmer in Europa. Andererseits importieren die Produzenten 80 Prozent der Zuliefererteile vom Kontinent. Davon müssen manche Produkte mehrfach hin- und her geschickt werden – beispielsweise, wenn sie veredelt werden.

Wenn sich London nun nicht mit Brüssel einigt, dann gelten die allgemeinen Regeln der Welthandelsorganisation (WTO), die Zölle in Höhe von zehn Prozent vorsehen. Damit würden sich die Exportautos so verteuern, dass die Branche im internationalen Vergleich einfach nicht mehr rentabel wäre.

„Ein harter Brexit ohne Freihandelsabkommen mit der EU macht dem Automobil-Standort Großbritannien den Garaus“, schreibt der Autokolumnist des Nachrichtensenders „n-tv“, Helmut Becker. „Englands Autoindustrie stirbt mit dem Brexit“, glaubt der Fachmann, der früher Chefvolkswirt bei BMW gewesen ist.

Japaner erwägen Rückzug

Dass es schon jetzt massiv bergab geht, sieht man an einigen Werken, die auf der Insel dicht gemacht oder die die Investoren möglicherweise schließen werden. So schließt Honda seine einzige Fabrik in Swindon und wird bis 2021 Großbritannien vollständig verlassen haben.

Dadurch gehen 3.500 Arbeitsplätze verloren und noch mal mehr als tausend in den angrenzenden Zulieferindustrien. Nissan ist gerade dabei, Teile seiner Herstellung nach Japan zu verlegen. Der Produzent beschäftigt 7.000 Mitarbeiter und ist in der Region Sunderland, wo sein Standort liegt, ein sehr wichtiger Arbeitgeber. Ursprünglich war der japanische Autohersteller auf die Insel gekommen, um Großbritannien als Sprungbrett für die EU zu nutzen.

Darüber hinaus wird Toyota als dritter großer japanischer Autokonzern seinen Standort bis Anfang 2020 überprüfen – also in den kommenden sechs Monaten. Allein diese drei japanischen Hersteller repräsentieren die Hälfte der britischen Produktion. Wenn sie abziehen, bricht ein gewichtiger Teil der gesamten Autoindustrie zusammen.

Branchen-Vertretung fordert besseres Investitionsklima

Deswegen fand die Branchenvertretung SMMT noch einmal klare Worte, die sie an ihre eigene Regierung richtete: „Wir brauchen wieder ein geschäftliches Umfeld, das uns international wettbewerbsfähig macht,“ sagte Vorsitzende der Vereinigung, Mike Hawes.„Das ist notwendig, damit wir erneut Investitionen und mehr Wachstum generieren“, so Hawes. „Dazu ist ein ambitionierter Brexit-Vertrag notwendig, der die reibungslose Fortsetzung des Handels ermöglicht“, sagte der Funktionär.

DWN
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