Weltwirtschaft

Brexit: Die ins Commonwealth gesetzten Hoffnungen der Briten werden enttäuscht

Lesezeit: 3 min
03.11.2019 07:03
Großbritanniens Premier Johnson glaubt, dass das Commonwealth die EU nach dem Brexit als gemeinsamen Wirtschaftsraum ersetzen kann. Doch diese Annahme ist lediglich ein Triumph der Hoffnung über die Realität.
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Foto: commonwealth.org

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Am 11. März 2018 schrieb der britische Premierminister Boris Johnson in einem Artikel mit dem Titel “Commonwealth spielt eine Schlüsselrolle für die glänzende Zukunft von Großbritannien nach dem Brexit”: “Als Ihre Majestät und Prinz Philip vom Flughafen Entebbe in die Hauptstadt Kampala fuhren, wurden sie von jubelnden Menschenmengen begrüßt, die jeden Zentimeter der 20-Meilen-Route säumten. Ich kann mir kein Staatsoberhaupt vorstellen, außer der Königin, und keine internationale Organisation mit Ausnahme des Commonwealth, die eine solche Begeisterung hervorrufen können. Wenn wir morgen den Commonwealth-Tag feiern, machen die 53 Mitglieder des Commonwealth ein Drittel der Menschheit aus. Von diesen 2,4 Milliarden Menschen auf sechs Kontinenten sind 60 Prozent jünger als 30 Jahre. Zu ihnen gesellen sich geschichtliche und freundschaftliche Beziehungen sowie die englische Sprache. Sie teilen unsere Werte Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Und unsere natürliche Affinität kommt durch die Einrichtung des Commonwealth zum Ausdruck.”

Das Commonwealth besteht aus 53 Mitgliedsstaaten, die sich größtenteils aus ehemaligen britischen Kolonien in verschiedenen Entwicklungsstadien zusammensetzen. Die Wurzeln der Organisation gehen somit auf das britische Empire zurück. Es hat seinen Hauptsitz in London und arbeitet über das Commonwealth-Sekretariat, das 1965 gegründet wurde.

Die Idee der Verfechter eines EU-Austritts, das Eingebundensein in der EU durch das Commonwealth zu ersetzen, hat zwei mögliche Dimensionen: eine wirtschaftliche und eine institutionelle. Während die institutionelle Dimension gegeben ist, sieht es mit der wirtschaftlichen Dimension etwas anders. Während auf die EU 48 Prozent der britischen Exporte entfallen, beziehen alle 53 Staaten des Commonwealth nur 9,5 Prozent der britischen Exporte. Im Bereich des Handels ist die Geographie wichtiger als die Geschichte. Denn globale Unternehmen mit Hauptsitz in Großbritannien sehen in dem Standort in erster Linie ein „Tor“ zum lukrativen EU-Binnenmarkt, argumentiert The New Statesman.

Das Projekt der Ausweitung des Handels mit dem Commonwealth ist weder irrational noch unedel. Aber der Glaube, dass die Commonwealth-Staaten die ausgefransten Verbindungen zu Europa ausgleichen können, ist eine wirtschaftliche Täuschung. Entscheidend für die Erreichung der Ziele der Johnson-Regierung ist, dass die Einrichtung des Commonwealth effizient, effektiv und verantwortungsbewusst arbeitet.

Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Am 13. Juni 2019 stellte die BBC fest: “Das Commonwealth-Sekretariat, das die internationale Organisation in London verwaltet, ist laut einem durchgesickerten internen Bericht der BBC dringend reformbedürftig.” Für das Commonwealth bestünden politische, rechtliche, finanzielle und operative Herausforderungen.

In den vergangenen Jahren waren einige Mitgliedstaaten weniger bereit, der Organisation Geld zu geben. Das Kernbudget ist jetzt auf nur noch 32 Millionen Pfund (rund 36 Millionen Euro) gesunken. Im Geschäftsjahr 2012/13 lag das Kernbudget noch bei 52 Millionen Pfund (58 Millionen Euro). Aufgrund der schlechten finanziellen Ausstattung musste das Sekretariat den Mietvertrag für ein Gebäude in der Pall Mall mit dem Namen “Commonwealth House” kündigen. Dabei wurde das “Commonwealth House” erst im Jahr 2016 feierlich von der Königin eröffnet, so die BBC.

Wenn das Commonwealth seine Ziele erreichen soll, müssen nicht nur dringende Reformen des Governance-Rahmens des durchgeführt werden, einschließlich einer erheblichen Aufstockung der Finanzmittel, sondern es muss auch überlegt werden, ob das Mandat des Commonwealth, das derzeit umfassend und vage ist, erweitert werden soll.

Zusätzlich zu den oben genannten institutionellen Mängeln in der Governance des Commonwealth gibt es weitere strukturelle Probleme, die die Effizienz der Organisation in Frage stellen. Eines der heiklen Themen ist das veränderte Kräfteverhältnis zwischen den Commonwealth-Staaten. Dies schließt insbesondere den Aufstieg Indiens ein. Darüber hinaus bestehen einige sehr bedeutende Spannungen zwischen bestimmten Mitgliedstaaten. Zum Beispiel gibt es Spannungen zwischen Indien und Pakistan, was in der Vergangenheit bereits zu mehreren bewaffneten Konflikten geführt hatte. Es gibt auch Spannungen zwischen Großbritannien und Mauritius. Der Internationale Gerichtshof kam nämlich im Mai 2019 zum Schluss, dass der “Prozess der Entkolonialisierung von Mauritius nicht rechtmäßig abgeschlossen wurde, als Mauritius 1968 unabhängig wurde.”

Dies macht es unwahrscheinlich, dass das Commonwealth als Institution jene Art von Konsensbildung und Zusammenarbeit erreichen kann, welche Mitgliedstaaten benötigen, um eine gemeinsame Agenda voranzutreiben.

Die Vorstellung, dass die Gewährleistung einer wirksamen und sinnvollen Zusammenarbeit von Staat zu Staat durch das Commonwealth die Art der Zusammenarbeit, die durch die relativ robusten Institutionen der Europäischen Union sichergestellt wird, ganz oder teilweise ersetzen wird, ist mit anderen Worten ein Triumph der Hoffnung über die Realität. Eine Zukunft, in der das Commonwealth als realistischer - insbesondere wirtschaftlicher - Ersatz für die EU vorgeschlagen wird, ist ein Wagnis in das große Unbekannte.


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