Nach einem Telefonat von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem britischen Premierminister Boris Johnson wurde in der britischen Regierung die Darstellung verbreitet, Merkel habe ein Brexit-Abkommen als überaus unwahrscheinlich bezeichnet, sollte Nordirland nicht in der Zollunion mit der Europäischen Union (EU) bleiben. Jüngste Vorschläge von Johnson laufen aber darauf hinaus, dass die britische Provinz das EU-Zollgebiet verlassen müsste.
EU-Ratspräsident Donald Tusk warf dem britischen Premier vor, nur noch ein Spiel um den Schwarzen Peter zu betreiben. Es gehe aber um die Zukunft der EU und des Vereinigten Königreichs.
Merkel telefonierte am Dienstagvormittag mit Johnson, wie ein Sprecher der Bundesregierung bestätigte. Das Gespräch sei aber vertraulich gewesen. In britischen Regierungskreisen hieß es, wenn die von Merkel in dem Gespräch geäußerte Position zum Verbleib Nordirlands in der Zollunion einen neuen Standpunkt wiedergebe, könne man einen Deal mit der EU praktisch vergessen: "Nicht nur jetzt, sondern immer", hieß es in den Kreisen.
Ein Sprecher von Premier Johnson sagte in London, die EU habe bislang keine Kompromissbereitschaft erkennen lassen. In dem Telefonat mit Merkel habe Johnson erneut deutlich gemacht, dass die EU einen Kompromiss eingehen müsse, wenn es ein Abkommen zur Regelung des Brexit geben solle. Für Johnson sei es nicht akzeptabel, wenn Nordirland in der Zollunion bliebe.
Auf Arbeitsebene laufen laut einem britischem Regierungssprecher weiter Gespräche mit der EU. "Diese Gespräche erreichen einen kritischen Punkt." Großbritannien habe sich weit bewegt. "Jetzt müssen wir Bewegung von der EU-Seite sehen." Auf Vorwürfe von EU-Ratspräsident Tusk wollte der Sprecher nicht eingehen. Tusk hatte per Twitter an die Adresse von Johnson erklärt, es gehe nicht darum, ein dummes Schwarze-Peter-Spiel zu gewinnen. Johnson wolle kein Abkommen, keinen Widerruf des Austritts, keine erneute Verschiebung des Austrittsdatums - wo wolle Johnson also hin?
Tusk traf am Dienstag in Berlin mit Merkel zusammen, ebenso wie EU-Parlamentspräsident David Sassoli. Bei beiden Treffen dürfte der Brexit zur Sprache gekommen sein, ohne dass Details bekanntwurden. Sassoli wurde am Abend in London erwartet.
Johnson hatte vorige Woche vorgeschlagen, auf der gesamten irischen Insel in bestimmten Bereichen des Handels einheitliche Regeln zu schaffen. Praktisch würde das bedeuten, dass Lebensmittel, Agrarprodukte und Nutztiere aus Nordirland weiter EU-Regeln unterliegen. Gleiches soll für verarbeitete Güter gelten. Das Problem aus Brüsseler Sicht dürfte sein, dass Nordirland das Zollgebiet der EU verlassen würde. Die EU will eine harte Grenze dort auch verhindern, um die Gefahr eines Wiederaufflammens des Nordirland-Konflikts zu bannen.