Der Flüchtlingszustrom über die Ägäis nimmt immer größere Dimensionen an: In den vergangenen 48 Stunden setzten 790 Migranten aus der Türkei nach Griechenland und damit in die EU über. Das berichteten am Mittwoch die staatliche griechische Nachrichtenagentur ANA-MPA und der staatlichen Rundfunk (ERT) unter Berufung auf die Küstenwache. Im April war die Zahl der auf den Ägäis-Inseln lebenden Migranten auf 14 000 zurückgegangen. Seitdem hat der Zustrom wieder deutlich zugenommen.
Auf den Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos harren zurzeit knapp 35 000 Migranten aus. Das ist die höchste Zahl seit Inkrafttreten des EU-Türkei-Flüchtlingspaktes im März 2016. Dramatisch sei die Lage im Registrierlager von Samos. Dort harren nach jüngsten Angaben des Ministeriums für Bürgerschutz in Athen fast zehnmal mehr Migranten aus (5999) als das Lager aufnehmen kann (648). Auch auf Lesbos ist die Lage schlimm. In und um das Registrierlager von Moria leben zurzeit 14 400 Menschen. Das Lager kann aber nur 2840 aufnehmen.
Der Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei sieht vor, dass die EU alle Flüchtlinge und Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückschicken kann. Die Bearbeitung der Asylanträge kommt jedoch wegen Personalmangels auf den griechischen Inseln nur mühsam voran. Zudem fühlt sich die türkische Regierung nicht mehr an den Pakt gebunden, wie die Deutschen Wirtschaftsnachrichten schon vor Monaten berichteten.
Die EU hatte am Mittwoch zwar den Ausbau der EU-Grenz- und Küstenschutzbehörde Frontex auf 10.000 Beamte bis 2027 beschlossen - die EU-Grenzschützer sollen demnach auch vermehrt die nationalen Behörden bei Abschiebungen unterstützen und in Drittstaaten zum Einsatz kommen - sie hat bis heute aber keinen funktionierenden Grenzschutz beziehungsweise eine kontrollierte Einwanderungspolitik aufbauen können.
Stattdessen behilft man sich mit Improvisationen. So nehmen eine Hand voll Staaten nun praktisch alle über das Mittelmeer in die EU kommenden Migranten auf - die Bundesregierung hat zugesagt, jeden vierten zu versorgen. So auch wieder beim Rettungsschiff «Ocean Viking» mit 104 Migranten an Bord, welches am Mittwoch in den italienischen Hafen Pozzallo auf Sizilien eingelaufen war. Das von den privaten Organisationen SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen betriebene Schiff hatte die Menschen am 18. Oktober vor der libyschen Küste aufgenommen. Deutschland und Frankreich werden laut Innenministerium in Rom zusammen 70 der Menschen aufnehmen.