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Europa arbeitet an einer unabhängigen IT-Infrastruktur

Lesezeit: 4 min
05.11.2019 16:00
Deutschland und Frankreich treiben die Schaffung einer europäischen Cloud voran, um gegen die technologische Abhängigkeit der EU von den USA vorzugehen. Doch offenbar gibt es dafür weder eine Nachfrage, noch scheint Europa dazu in der Lage zu sein.
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Ein Serverzentrum von Google. (Foto: dpa)
Foto: Google Handout

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Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier wollte letzte Woche auf dem Digitalgipfel in Dortmund für Gaia-X werben, ein Gemeinschaftsprojekt mit Frankreich für eine sichere und vertrauenswürdige Dateninfrastruktur in Europa. Doch dann stürzte der Minister schon nach seiner Auftaktrede von der Bühne und musste umgehend mit einem gebrochenen Nasenbein ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Das deutsch-französische Projekt soll als Grundlage für eine künftige breitere europäische Zusammenarbeit dienen. Mitte Oktober hatten Peter Altmaier (CDU) und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire in einer Roadmap ankündigen lassen, dass sie die Ergebnisse ihrer Zusammenarbeit schon bis Frühjahr 2020 vorstellen wollen.

"Diese Infrastruktur wird dazu beitragen, dass wir unsere digitale Souveränität wiederherstellen", sagte Altmaier. Sie könne als Grundlage für ein digitales Ökosystem dienen, in dem Daten zur Verfügung gestellt, zusammengeführt und ausgetauscht werden können. Man werde dann "rasch an Regierungen und Unternehmen anderer europäischer Länder herantreten, damit auch sie Teil dieser Initiative werden".

"Wir wollen eine sichere und unabhängige europäische Dateninfrastruktur aufbauen, mit universellen Datenbanken, Datenpooling und Daten-Interoperabilität. Im Rahmen der Zusammenarbeit können europäische Unternehmen von einem größeren Datenpool profitieren, um ihre Algorithmen zu entwickeln und ihre Position auf einem von starkem Wettbewerb geprägten globalen Markt zu verbessern. Dies ist für die digitale und technologische Souveränität Europas wichtig", sagte Le Maire.

Welche konkreten Schritte sind geplant?

Frankreich und Deutschland wollen der gemeinsamen Roadmap zufolge noch bis Ende November einen Workshop abhalten, um interessierte Unternehmen beider Länder über das Projekt zu informieren. Zudem sollen Experten beider Regierungen noch in diesem Jahr eine organisatorische Strukturen für die Entwicklung des Projekts und zur Weiterentwicklung des technologischen Rahmens für eine sichere europäische Dateninfrastruktur festlegen.

Frankreich und Deutschland werden mit weiteren Mitgliedstaaten, die zu einer Teilnahme an dem Projekt bereit sind, sowie mit der EU-Kommission zusammenarbeiten, "deren Unterstützung und Rat für die Ausweitung des Projektes auf europäischer Ebene entscheidend sein werden". Auf einer Veranstaltung Anfang 2020 in Brüssel will man das Konzept den Regierungen weiterer EU-Staaten vorstellen.

Warum Europas Politiker eine eigene Cloud wollen

Anfang Oktober hatte Bruno Le Maire dem französischen Softwareunternehmen Dassault Systemes und dem Cloudunternehmen OVH den Auftrag erteilt, bis Dezember einen Plan zur Beseitigung der Dominanz ausländischer Unternehmen im Cloud Computing zu entwickeln, wie Reuters berichtete. Doch den Wunsch, sich von der technologischen Dominanz der USA zu befreien, hegt nicht nur die französische Regierung.

So sagte die neue Chefin der EU-Kommission Ursula von der Leyen in ihrer Agenda für Europa, dass es an der Zeit sei, in einigen Schlüsselbereichen "technologische Souveränität" zu erlangen. Und vor einigen Wochen warnte Sir John Sawyers, der ehemalige Chef des britischen Geheimdienstes MI6, dass Europa zunehmend von anderen Ländern abhängig wird, vor allem von den USA, wie The New Statesman berichtete.

So haben die USA im vergangenen Jahr ein Gesetz verabschiedet, demzufolge die US-Behörden von den Speicheranbietern des Landes verlangen können, ihnen Zugang zu Informationen auf ihren Servern zu gewähren, auch wenn sich diese Daten im Ausland befinden.

Die Konsequenzen dieses US-Gesetzes zeigt das Beispiel der deutschen Bundespolizei, die mit Motorola-Geräten ausgestattet ist, deren Aufnahmen direkt zum Amazon-eigenen Cloud-Anbieter AWS hochgeladen werden. Die dort gespeicherten Daten der Bundespolizei müssten also auf Verlangen an die US-Behörden herausgegeben werden.

Welche Aussichten hat Altmaiers Initiative?

Die jüngste Erklärung von Peter Altmaier und Bruno Le Maire verspricht, solche Probleme wie eine Überwachung durch die USA künftig auszuräumen. Doch nach Ansicht von Alistair Edwards, dem Chefanalysten des Technologieunternehmens Canalys, klingt das alles "eher nach einer Absichtserklärung". Gegenüber ZDNet nennt er die noch ungeklärten Fragen: "Wer wird der Anbieter in diesem Projekt sein? Wird die Regierung Geld in die Finanzierung investieren? Wird es eine neue Organisation geben, die es unterstützt?" Und weiter: "Es scheint eher ein Wunschtraum zu sein, und etwas, das wahrscheinlich nicht viel Zugkraft gewinnen wird."

Die Initiative von Altmaier und Le Maire ist nicht der erste Versuch europäische Länder, es mit den US-Giganten aufzunehmen, die Europa im Bereich Cloud-Dienste dominieren. Doch bisher haben diese Versuche nur sehr begrenzte Ergebnisse. So hat im Jahr 2012 die französische Regierung 101 Millionen Dollar für die Gründung der beiden Anbietern Numergy und Cloudwatt bereitgestellt. Doch sieben Jahre später wurde der erste mangels Kunden vom Unternehmen SFR übernommen und der zweite soll im nächsten Sommer geschlossen werden.

Edwards sagt, dass dieses Scheitern die mangelnde Nachfrage nach einer eigenen europäischen Cloud-Organisation widerspiegelt. "Die meisten Kunden sind nicht so politisch motiviert", sagt er. Die meisten Unternehmen hätten bei ihren Daten tatsächlich Vertrauen zu den von den USA kontrollierten Unternehmen Microsoft, AWS und Google Cloud.

Dies zeigt sich auch an der Wachstumsrate der drei großen US-Cloudanbieter. Im vergangenen Jahr wuchs AWS um 35 Prozent, Microsoft Azure um 59 Prozent und Google Cloud war mit einem beeindruckenden Wachstum von 69 Prozent der Spitzenreiter. Laut Edwards war die Ankündigung von Altmaier und Le Maire daher "überwiegend ein politischer Schritt", und nicht einer, der von einer ausreichenden Nachfrage getragen wird, um die zukünftige europäische Cloud in den nächsten Jahren zu einer ernsthaften Alternative zu AWS, Microsoft oder Google Cloud zu machen.

Zwar haben einige führende Unternehmenschefs an dem Konzept für Gaia-X mitgewirkt, darunter Bosch-Geschäftsführer Rolf Najork, SAP-Vorstandschef Christian Klein, Deutsche-Bank-Vorstand Bernd Leukert, Telekom-Vorstand Claudia Nemat und Siemens-Vorstand Roland Busch. Doch die schnell wachsende Nutzung der US-Dienste durch Europas Konzerne zeigt, dass diese offenbar nicht genug Angst davor haben, dass die US-Regierung auf ihre Kundendaten zugreifen wird, um stärkeres Interesse an Alternativen zu entwickeln.

Zudem wäre auch nicht garantiert, dass die Daten bei einer von der europäischen Politik vorangetriebenen Alternative wirklich sicherer wären, als bei den Amerikanern. "Vertrauen wird durch Datenschutz bestimmt, aber auch durch Stabilität", sagt Edwards. "Wenn ein Kunde entscheidet, wo seine Daten gespeichert werden, muss er sicher sein, dass der Support seines Providers nicht plötzlich verschwindet. Aber die Regierungen und ihre Politik ändern sich alle paar Jahre". Daher sollte eine europäische Alternative seiner Ansicht nach unabhängig von der EU und von den nationalen Regierungen sein.

Microsoft und AWS haben bereits auf die Ankündigung der von Altmaier und Le Maire reagiert. Beide sagten, dass eine Cloud in Europa nicht die Größe haben wird, um auf dem aktuellen Markt zu konkurrieren, wie Bloomberg berichtet. Edwards ist ebenfalls der Ansicht, dass die US-Tech-Giganten keine große Angst vor europäischer Konkurrenz haben dürften. "Sie werden das wahrscheinlich nicht als ernsthafte Bedrohung betrachten", sagte er.

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