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Inspekteur der Deutschen Marine: Um abzuschrecken, müssen wir kämpfen können

Lesezeit: 6 min
13.11.2019 09:40  Aktualisiert: 13.11.2019 09:40
Die Deutsche Marine hat entbehrungsreiche Zeiten hinter sich: Jahrzehntelang wurde sie in hohem Maße vernachlässigt und finanziell sowie personell systematisch abgerüstet. Doch die Zeiten haben sich geändert - die Politik erkennt wieder die Bedeutung einer schlagkräftigen Flotte und die Marine ist dabei, ihren Kurs wiederzufinden. Im großen DWN-Interview berichtet der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause, ausführlich über die Entwicklungen der letzten Jahre, gibt einen aktuellen Lagebericht und stellt die Zukunftspläne vor.
Inspekteur der Deutschen Marine: Um abzuschrecken, müssen wir kämpfen können
Elitesoldaten im Einsatz: Kampfschwimmer des "Kommando Spezialkräfte der Marine" (KSM). (Foto: dpa)

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Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Bevor wir ins Detail gehen: Können Sie uns zu Beginn dieses Interviews eine allgemeine Einschätzung der Verfassung geben, in der sich die Deutsche Marine derzeit befindet?

Inspekteur Andreas Krause: Natürlich. Die Deutsche Marine befindet sich in einer guten Verfassung. Wie in den vergangenen Jahren auch, sind wir in der Lage, alle unsere Aufträge zu erfüllen. Um es scherzhaft auszudrücken: Unsere Schiffe fahren zur See, unsere U-Boote tauchen, unsere Hubschrauber fliegen. Aber im Ernst: Von unseren insgesamt 46 Schiffen und Booten sind circa 20 täglich auf See. Das entspricht fast 45 Prozent - eine gute Quote.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In der Presse wird die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, speziell der Marine, oft in Zweifel gezogen.

Inspekteur Andreas Krause: So ist es - aber es ist nicht wahr. Auch wenn wir natürlich immer noch Probleme haben: Wir sind zweifellos einsatzbereit, das demonstrieren wir jeden Tag aufs Neue.

Lassen Sie mich einen Blick zurückwerfen: Nach 1990 herrschte in Deutschland allgemein die Auffassung, nur noch von Freunden umgeben zu sein. Als Konsequenz wurde bei der Marine, wie überhaupt bei der gesamten Bundeswehr, der Rotstift angesetzt und kräftig gespart. Das ging rund ein Vierteljahrhundert so.

Erst 2014, nach der Annexion der Ukraine durch Russland, änderte sich die Lagebeurteilung. „Wir müssen wieder wachsen“: Mit diesen Worten leitete die damalige Verteidigungsministerin, Ursula von der Leyen, eine Trendwende ein. Seitdem verfolgt die Politik das Ziel, die Marine materiell, personell und finanziell besser auszustatten. Diese Neuausrichtung hat bereits eine spürbare Verbesserung bewirkt, auch wenn wir noch lange nicht am Ende unseres Weges angekommen sind. Das wird allein schon daran deutlich, dass die Zahl der Schiffe, über die die Marine derzeit verfügt, die geringste ist seit Gründung der Bundesrepublik. Man sieht, wir benötigen einen langen Atem. Aber wie gesagt, es geht voran: Seit 2014 haben sich die Verteidigungsausgaben um 40 Prozent erhöht.

Darüber hinaus hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärt, dass sie das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen will. Das ist eine sehr gute Entwicklung. Ich möchte folgendes Fazit ziehen: Die Marine muss wachsen - und sie wird wachsen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Können Sie uns die Einsatzbereitschaft der Deutschen Marine anhand von ein paar konkreten Beispielen veranschaulichen?

Inspekteur Andreas Krause: Wir nehmen derzeit an drei Auslandseinsätzen teil. Erstens an der Anti-Piraterie-Operation „Atalanta“, an

der wir mit den Flotten anderer EU-Staaten seit Dezember 2008 kontinuierlich am Horn von Afrika beteiligt sind. Zweitens seit 2006 an der Mission „Unifil“ („Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon“), übrigens der ersten und bisher einzigen maritimen Mission der UN. Drittens seit 2016 an der Nato-geführten Operation „Sea Guardian“ im Mittelmeer.

Weiterhin sind unsere Schiffe derzeit Teil von zwei der insgesamt vier ständigen Marine-Einsatzverbänden der Nato. Wir nehmen seit 1971 an jedem BALTOPS-Manöver in der Ostsee teil. Und wir haben 2007 die Nato-Marine-Übung „Northern Coasts“ ins Leben gerufen, die seitdem jeden Herbst ebenfalls in der Ostsee stattfindet, und zwar unter deutscher Leitung.

Darüber hinaus nehmen wir regelmäßig an diversen Übungen im Rahmen der deutschen Nato-Mitgliedschaft teil. Dabei trainieren wir sowohl für Krisenreaktions-Einsätze als auch für Landesverteidigungs- und Bündnis-Einsätze.

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir über genügend Kapazitäten für all diese unterschiedlichen Einsätze verfügen. Aber: Wir sind nicht in der Lage, operative Reserven vorzuhalten. Kämen neue Aufgaben hinzu, müssten wir umdisponieren, müssten wir priorisieren.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sind denn neue Kapazitäten in Sicht?

Inspekteur Andreas Krause: Ja, das sind sie. Wir bekommen vier neue Fregatten vom Typ F125, fünf Korvetten vom Typ K130 sowie 18 Transporthubschrauber vom Typ NH90 „Sea Lion“. Außerdem erhalten wir weitere zwei U-Boote, mindestens vier Mehrzweckkampfschiffe 180 (MKS 180) mit einer Option auf weitere zwei, und der Ersatz der Lynx-Hubschrauber - also der Bordhubschrauber unserer Fregatten - ist ebenfalls beschlossen. Man kann sagen, die Marine erhält bis 2030 jedes Jahr mindestens ein neues Schiff oder Boot und ist dann rund ein Drittel größer als heute. Die Idee für die Beschaffung der Korvetten wurde bemerkenswerterweise im Parlament geboren. Dafür, und für die Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel, möchte ich dem Bundestag ausdrücklich danken.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Kommen wir noch einmal auf die von Ihnen hoch gelobte Einsatzfähigkeit der Deutschen Marine zurück. Wo steht sie im internationalen Vergleich?

Inspekteur Andreas Krause: Sie steht gut da. Wobei sie in punkto Größe als mittlere Marine einzustufen ist, das heißt sie ist zahlenmäßig kleiner als beispielsweise die amerikanische, die britische, die französische. Aber sie spielt innerhalb der Nato eine imminent wichtige Rolle. Sie ist in der Lage, aus dem Stand heraus mit den Flotten aller anderen Nato-Mitglieder gemeinsam zu agieren. Ihre Kooperations- und Bündnisfähigkeit ist äußerst hoch, und das ist das Entscheidende. Keine Flotte der Welt - selbst nicht die der USA - ist in der Lage, alle Aufgaben im Spektrum der maritimen Sicherheit abzudecken. Der ehemalige Admiralstabs-Chef der US-Navy und Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff, Admiral Michael Mullen, hat einmal die Flotten aller Nato-Mitglieder als 1000-Schiffe-Marine bezeichnet. Wir sind ein integraler Bestandteil dieser 1000-Schiffe-Marine.

Ich möchte dies anhand eines konkreten Beispiels illustrieren. Wenn sich mitten im Atlantik je eine amerikanische, britische, französische und deutsche Fregatte träfen, könnten sie auf der Stelle, ohne jede Verzögerung, absolut kooperativ agieren. Sie könnten sogar kryptiert miteinander kommunizieren - das zeigt, wie gut alle aufeinander abgestimmt sind.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sie haben die Flotten dreier großer Nato-Länder erwähnt. Alle verfügen sie über Flugzeugträger. Auch hierzulande wurde vor noch gar nicht langer Zeit über den möglichen Bau eines solchen Schiffes diskutiert. Was meinen Sie - sollte Deutschland einen Flugzeugträger bauen?

Inspekteur Andreas Krause: Nein, eine solch gewaltige nationale Beschaffungsmaßnahme ist definitiv nicht notwendig. Derzeit verfügen die Nato-Streitkräfte über 32 Flugzeugträger - das ist vollkommen ausreichend.

Das heißt aber nicht, dass Flugzeugträger im Konzept der Deutschen Marine keine Rolle spielen - im Gegenteil: Wir leisten einen wichtigen Beitrag zu ihrer Verteidigung. So verfügen unsere Fregatten der Klasse 124 über äußerst leistungsfähige Luftraumüberwachungs- und Flugabwehrsysteme. Das sind Schiffe, die auf die Verbandflugabwehr spezialisiert sind und deswegen hervorragend in einen Trägerverband integriert werden können. Zuletzt haben wir die Fregatte „Hessen“ in die „Carrier Strike Group 8“ der US-Navy gegeben, die in diesem Verband dann ihren Beitrag zum Schutz des Flugzeugträgers geleistet hat. Im europäischen Rahmen sind wir Teil der „European Carrier Group Interoperability Initiative“ (Initiative zur Interoperabilität Europäischer Trägerkampfgruppen) - hier haben wir kürzlich eine Vereinbarung unterschrieben, noch enger zusammenzuarbeiten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Nach ihrer Gründung im Jahr 1956 war die Deutsche Marine rund 30 Jahre lang im Grunde eine reine Manöver-Flotte. Seit dem Krieg zwischen dem Iran und dem Irak - dem ersten Golfkrieg - Ende der 1980er Jahre beteiligt sie sich regelmäßig an unterschiedlichen Missionen. Aber an Kämpfen - nein. Ist es nicht so, dass die Bürger unseres Landes sich nur schwer an den Gedanken gewöhnen, dass deutsche Soldaten wieder in eine Lage geraten könnten, in der sie unter Umständen töten müssen und getötet werden?

Inspekteur Andreas Krause: Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass sich unsere Gesellschaft aufgrund des jahrzehntelangen Friedens vom Begriff des „Kämpfens“ ein Stück weit entfernt hatte beziehungsweise entfernt hat. Nicht kämpfen zu müssen, war sozusagen die Dividende der Friedenszeit. Darum ist es wichtig, offen über unsere Aufgabe zu sprechen. Die lautet „abschrecken“. Und um glaubhaft abschrecken zu können, müssen wir kämpfen können - das Kämpfen ist sozusagen der Kern unserer Profession. Den Bürgern das zu verdeutlichen, ist Teil der bereits erwähnten Trendwende.

Nun nimmt die Marine ja auch noch andere Aufgaben wahr, beispielsweise die Seenotrettung. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von „Abwärtskompatibilität“. Das heißt, aus der Fähigkeit zu kämpfen, ergeben sich dann weitere Fähigkeiten, beispielsweise die Seenotrettung. Aber wie gesagt: Die Fähigkeit, zu kämpfen, steht immer an erster Stelle, sie stellt die anspruchsvollste militärische Fähigkeit dar. Wobei wir von einer dreidimensionalen Fähigkeit sprechen: Die Bekämpfung von Zielen unter der Wasseroberfläche (U-Boote), auf dem Wasser (Schiffe) und über dem Wasser (Flugzeuge).

Das offen auszusprechen, ist auch deshalb notwendig, weil wir dem Steuerzahler Rechenschaft ablegen müssen. Er finanziert uns schließlich - also hat er das Recht, zu erfahren, wofür sein Geld ausgegeben wird. Eine Flotte zu unterhalten, die nicht kämpfen kann, ist sinnlos - dann könnte man sich die gesamte Beschaffung sparen und die Mittel anderweitig einsetzen.

Ich bin mir übrigens sicher, dass die Bundeswehr im Allgemeinen und die Marine im Speziellen in der Bevölkerung eine weitaus höhere Wertschätzung genießen als oftmals angenommen. Wir wissen aus repräsentativen Umfragen, dass die Wertschätzung der Bevölkerung für die Bundeswehr und die Marine hoch ist. Dieselben Bürgerinnen und Bürger schätzen allerdings die Anerkennung der Bundeswehr durch die Gesellschaft als eher gering ein. Davon sollten wir uns aber nicht irritieren lassen. Vielmehr sind wir dankbar für den Zuspruch und die Sympathie der Bevölkerung, wann und wo auch immer wir uns in der Öffentlichkeit bewegen.

Lesen Sie am Sonntag:

  • Was die Admiräle anderer Nato-Flotten von deutschen Kriegsschiffen halten
  • Wie die Marine Deutschlands Verbündete vor dem IS schützte
  • Was der Marine-Inspekteur zum Sanierungsfall Gorch Fock sagt


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