Politik

Der Pokerspieler von London: Johnson führt EU und Brexit-Unterstützer an der Nase herum

Lesezeit: 2 min
17.12.2019 11:29  Aktualisiert: 17.12.2019 11:29
Nach seinem Wahlsieg kündigt Boris Johnson nun an, er wolle ein Freihandelsabkommen mit der EU bis Ende 2020 verhandeln. Die Zeit dürfte dazu nicht ausreichen. Ohnehin wird man den Eindruck nicht los, dass die Briten Theater spielen, um den Austritt des Landes immer weiter herauszuzögern.
Der Pokerspieler von London: Johnson führt EU und Brexit-Unterstützer an der Nase herum
Boris Johnson. (Foto: dpa)
Foto: Mary Turner

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Nach seinem Wahlsieg kündigt Boris Johnson nun an, er wolle ein Freihandelsabkommen mit der EU bis Ende 2020 verhandeln. Die Zeit dürfte dazu nicht ausreichen. Ohnehin wird man den Eindruck nicht los, dass die Briten ein großes Theater aufführen, um den Austritt des Landes immer weiter herauszuzögern - ein These, die beispielsweise auch der Ökonom Anatole Kaletsky vertritt.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet:

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson pocht auf den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit der EU bis spätestens Ende 2020. Nach seinem deutlichen Wahlsieg erhöht der konservative Politiker damit den Druck auf die EU. Ein harter Brexit ist plötzlich wieder auf dem Tisch, was Anleger an der Börse am Dienstag verunsicherte. Europa-Politiker sind skeptisch. Sie halten die Zeit für nicht ausreichend.

Nach dem EU-Austritt, der für den 31. Januar geplant ist, beginnt die eigentlich mehrjährige Übergangsphase. Danach ist das Land zwar nicht mehr offiziell in der Europäischen Union, wendet aber deren Regeln an - bis die Details der künftigen Beziehungen geklärt sind. Dabei wird es unter anderem um alle Regulierungen der Wirtschaft gehen, etwa den Umgang mit Finanzdienstleistungen, Zöllen, Staatshilfen für Unternehmen sowie Fischerei-Rechten.

Johnson wolle eine Frist Ende 2020, sagte ein Regierungsvertreter am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Eine Verlängerung solle gesetzlich ausgeschlossen werden. Über Johnsons Vorhaben hatten zuerst der Sender ITV und die Zeitungen "The Times" und "Financial Times" übereinstimmend berichtet. "Wir werden sicherstellen, dass wir rechtzeitig diesen Deal hinbekommen", sagte Michael Gove, Johnsons rechte Hand im Kabinett, der BBC.

KÖNNEN ELF MONATE REICHEN?

Theoretisch haben beide Seiten also elf Monate Zeit. Die EU war bislang aber erst im März von Verhandlungen ausgegangen, so dass es dann nur zehn Monate wären. Eine Einigung müsste am Ende von London und der EU noch abgesegnet werden, inklusive den Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten. "Ein umfassendes Abkommen mit sehr vielen Details wird man in dieser kurzen Zeit nicht verhandeln können", sagte der Europa-Politiker David McAllister (CDU) dem SWR. Johnson riskiere damit wieder einen harten Brexit. Auch EU-Unterhändler Michel Barnier hatte bereits gewarnt, dass elf Monate nicht genug seien für ein umfassendes Abkommen.

Sollten sich beide Seiten nicht verständigen können und es tatsächlich keine Verlängerung der Übergangsphase geben, würde Großbritannien für europäische Staaten wie ein gewöhnlicher Partner der Welthandelsorganisation WTO behandelt. Das würde für Unternehmen neue Hürden und höhere Kosten mit sich bringen. An der Börse reagierten Anleger nervös auf die ins Spiel gebrachte Frist. Das Pfund sackte um 1,2 Prozent auf 1,3173 Dollar ab. "Damit ist das Risiko eines harten Brexit nur aufgeschoben, nicht aufgehoben", sagte Commerzbank-Analystin Thu Lan Nguyen.

Das britische Parlament soll am Freitag über das von Johnson mit der EU ausgehandelte Brexit-Ausstiegsabkommen abstimmen. Angesichts der neuen Mehrheiten im Unterhaus gilt grünes Licht für den Vertrag dieses Mal als sicher.

Parallel zu den Verhandlungen mit Brüssel dürfte es auch Gespräche mit Washington geben. US-Präsident Donald Trump will ein "ambitioniertes" Freihandelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich erreichen. Hier dürfte Johnson unter Druck stehen, laxere Vorgaben bei Lebensmitteln und anderen Agrarerzeugnissen zu akzeptieren. Das könnte aber wiederum die Verhandlungen mit der EU erschweren, die dann auf Maßnahmen zum Schutz europäischer Verbraucher dringen dürfte. In den Gesprächen mit der EU werden voraussichtlich auch Umwelt- und Arbeitsstandards eine wichtige Rolle spielen.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Technologie
Technologie Petrochemie: Rettungsleine der Ölindustrie - und Dorn im Auge von Umweltschützern
24.04.2024

Auf den ersten Blick sieht die Zukunft des Erdölmarktes nicht rosig aus, angesichts der Abkehr von fossilen Treibstoffen wie Benzin und...

DWN
Politik
Politik Sunaks Antrittsbesuch bei Kanzler Scholz - strategische Partnerschaft in Krisenzeiten
24.04.2024

Rishi Sunak besucht erstmals Berlin. Bundeskanzler Scholz empfängt den britischen Premierminister mit militärischen Ehren. Im Fokus...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank-Präsident: Zinssenkungspfad unklar, digitaler Euro erstrebenswert
24.04.2024

Spannende Aussagen von Bundesbank-Präsident Joachim Nagel: Ihm zufolge wird die EZB nach einer ersten Zinssenkung nicht unbedingt weitere...

DWN
Technologie
Technologie Habeck sieht großes Potenzial in umstrittener CO2-Einlagerung
24.04.2024

Die Technologie "Carbon Capture and Storage" (CO2-Abscheidung und -Speicherung) ist in Deutschland ein umstrittenes Thema. Inzwischen gibt...

DWN
Politik
Politik Chinesische Spionage: Verfassungsschutz mahnt Unternehmen zu mehr Vorsicht
24.04.2024

Der Verfassungsschutz warnt vor Wirtschaftsspionage und Einflussnahme aus China. Vor allem für deutsche Unternehmen wäre eine naive...

DWN
Panorama
Panorama Fahrraddiebe nehmen vermehrt teure E-Bikes und Rennräder ins Visier
24.04.2024

Teure E-Bikes und Rennräder sind seit Jahren immer häufiger auf den Straßen zu sehen - die Anzahl von Diebstählen und die...

DWN
Technologie
Technologie KI-Hype in Deutschland: Welle von neuen Startups formiert sich
24.04.2024

Obwohl die Finanzierung von Jungfirmen allgemein ins Stocken geraten ist, werden in Deutschland gerade unzählige KI-Startups gegründet....

DWN
Politik
Politik USA kündigen massive Waffenlieferungen in die Ukraine an - Selenskyj äußert Dank
24.04.2024

Der US-Kongress hat die milliardenschweren Ukraine-Hilfen gebilligt. Jetzt könnte es laut Pentagon bei der ersten Lieferung sehr schnell...