Politik

Das Jahrhundert der Städte, Teil 2: Die „Smart City“: Ideale Gesellschaftsordnung oder totale Überwachung?

Lesezeit: 4 min
29.12.2019 09:31
Die Städteplaner vergangener Jahrhunderte verfolgten ehrgeizige Ziele: Sie wollten die ideale Stadt schaffen. Die Planer von heute wollen das auch - und kreieren Alpträume.
Das Jahrhundert der Städte, Teil 2: Die „Smart City“: Ideale Gesellschaftsordnung oder totale Überwachung?
Dubai: Die oberen Stockwerke des Luxushotels "The Address Hotel" stehen in Flammen. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Schon Platon (427 bis 347 v. Chr.) lieferte in seinen berühmten philosophischen Dialogen das Modell einer idealen Stadt: Atlantis. Der erste wirkliche Theoretiker der Stadtplanung war jedoch der Italiener Filarete („Tugendfreund“). Der Renaissance-Architekt beschrieb in seinem zwischen 1460 und 1464 erschienenen, 25-bändigen „Architektur-Traktat“ (der Titel lässt erahnen, dass es sich um ein umfassendes Werk handelt) seine Version von einer Stadt, deren Gestaltung und Architektur sich mit der in ihr herrschenden Gesellschaftsordnung auf perfekte Weise ergänzen. Filarete kann als Vorläufer aller urbanen Idealisten und Utopisten gesehen werden. Egal, ob der Staatsmann und Autor Thomas Morus (1478 – 1535) mit seiner Insel „Utopia“, der französische Architekt Claude-Nicholas Ledoux (1736 – 1806) mit seiner Arbeiter-Stadt „Chaux“, der britische Stadtplaner Ebenezer Howard (1850 – 1928) mit seinen „Gartenstädten von morgen“ sowie das Pekinger Architekturbüro „MAD“ mit seinem 2008 entworfenem CO2-neutralen dreidimensionalen Sternen-Gebäude „Super Star“, in dem (theoretisch, denn das Projekt ist in der Praxis nicht umsetzbar) 1,5 Millionen Menschen leben könnten: Alle suchen sie nicht nur die planerisch und architektonisch optimale Stadt zu erschaffen, sondern die ideale Gesellschaftsordnung gleich mit.

Metropolen á la George Orwell

Wer nun glaubt, solche Versuche seien vor allem Philosophen, Autoren und theoretischen Architekten vorbehalten, der irrt. Einen ersten großangelegten (gescheiterten) Versuch der Schaffung einer idealen Stadt haben wir bereits weiter oben betrachtet (Brasilia). Aber in den letzten Jahren ist eine Häufung solcher Versuche zu beobachten. Aus dem Nichts werden sie hochgezogen, die futuristischen Metropolen von morgen. In Saudi-Arabien heißen sie „King Abdullah Economic City“, in China „Sino-Singapore Tianjin Eco-City” (ein gemeinschaftliches Projekt zwischen dem Reich der Mitte und Singapur), in Russland „Innopolis“, in Indien „Sobha Hi-Tech City“ und in Südkorea „Songdo City“. Letztere ist das wohl frappierendste Beispiel eines real gewordenen (Alb)Traums von der voll vernetzten, ökologisch vollkommen unbedenklichen, komplett durchorganisierten und total überwachten „Super Smart City“. Dem Zufall bleibt in dem 40 Kilometer südwestlich von Seoul gelegenen rund 50 Quadratkilometer großen Areal nichts überlassen – dafür sorgt schon allein die Tatsache, dass alle Einwohner (70.000 sollen es sein, wenn die Stadt im Jahr 2020 endgültig fertiggestellt ist) und alle Arbeits-Pendler in ein System der unablässigen Datenerhebung eingebunden sind, der gesamte öffentliche Raum videoüberwacht ist und jeder Bürger über eine Chip-Karte mit Multi-Funktion verfügt (unter anderem Nahverkehr, Gesundheitsfürsorge und Geldverkehr), wobei die gesammelten Daten selbstverständlich zur Optimierung der jeweiligen Dienste von den zuständigen Anbietern jederzeit abgerufen werden können.

Die Zukunft unserer Städte

Selbstverständlich treffen sich Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und Jack Ma nicht in einem geheimen Hinterzimmer, wo sie mit einem Glas Whiskey in der Hand, umhüllt vom Rauch kubanischer Zigarren, die Erde unter sich aufteilen. Doch die Welt besser zu machen, haben alle drei Internet-Unternehmer als ihr Ziel ausgegeben. Wobei die Übersetzung von „besser machen“ zum einen lautet, darauf hinzuarbeiten, die globale Gesellschaft so zu organisieren, dass sie ohne die Produkte der marktbeherrschenden Digital-Konzerne nicht mehr auskommt. Zum anderen, diese Gesellschaft ausschließlich nach dem Gusto der Konzernlenker zu formen – die wissen schließlich am besten, was gut für uns alle ist.

Dessen müssen Stadtplaner, müssen Politiker und Verwaltungs-Experten sich bewusst sein. Bedeutend und wegweisend sind die heutigen Metropolen wie London, Paris, New York und Berlin nicht geworden, weil sie – mit dem Ziel der Perfektion und Überoptimierung – am Reißbrett entworfen wurden, sondern weil sie im Laufe ihrer jeweiligen wechselhaften Geschichte ihren ganz eigenen Charakter entwickelten, und sie im Laufe dieser Entwicklung zum Anziehungspunkt von Revolutionären, Reformern und Wegbereitern wurden. Um den weiter oben zitierten Ausspruch leicht abzuwandeln: Nobelpreise werden in Städten gewonnen – in seelenlosen, antiseptischen urbanen Einöden wie Songdo City jedoch ganz bestimmt nicht.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Technologie
Technologie 3D Spark: Ein Hamburger Start-up revolutioniert die Bahnbranche
25.04.2024

Die Schienenfahrzeugindustrie befindet sich in einem grundlegenden Wandel, in dessen Verlauf manuelle Fertigungsprozesse zunehmend...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Automesse China 2024: Deutsche Autohersteller im Preiskrieg mit BYD, Xiaomi und Co.
25.04.2024

Bei der Automesse in China steht der eskalierende Preiskrieg bei Elektroautos im Vordergrund. Mit hohen Rabatten kämpfen die Hersteller...

DWN
Politik
Politik Bericht: Habeck-Mitarbeiter sollen Kritik am Atom-Aus missachtet haben
25.04.2024

Wichtige Mitarbeiter von Bundesministern Habeck und Lemke sollen laut einem Bericht interne Zweifel am fristgerechten Atomausstieg...

DWN
Finanzen
Finanzen Feiertagszuschlag: Was Unternehmer an den Mai-Feiertagen beachten sollten
25.04.2024

Feiertagszuschläge sind ein bedeutendes Thema für Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen. Wir werfen einen genauen Blick auf die...

DWN
Finanzen
Finanzen Teurer Anlegerfehler: Wie der Blick in den Rückspiegel fehlgeht
25.04.2024

Anleger orientieren sich an den Renditen der vergangenen drei bis zehn Jahre, um Aktien oder Fonds auszuwählen. Doch laut Finanzexperten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kommunikation im Wandel – Was es für Unternehmen in Zukunft bedeutet
25.04.2024

In einer Ära schneller Veränderungen wird die Analyse von Trends in der Unternehmenskommunikation immer entscheidender. Die Akademische...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lieferdienste in Deutschland: Bei Flink, Wolt und anderen Lieferando-Konkurrenten geht es um alles oder nichts
25.04.2024

Getir, Lieferando, Wolt, UberEats - es fällt schwer, in deutschen Großstädten beim Angebot der Essenskuriere den Überblick zu...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Familienunternehmer in Sorge: Land verliert an Wettbewerbsfähigkeit
25.04.2024

In einer Umfrage kritisieren zahlreiche Familienunternehmer die Politik aufgrund von übermäßiger Bürokratie und Regulierung. Besonders...