Deutschland

Deutsche Unternehmen fallen technologisch immer weiter zurück: Militärisches Forschungszentrum soll Abhilfe schaffen

Lesezeit: 3 min
10.02.2020 14:34  Aktualisiert: 10.02.2020 14:34
Im Software-Bereich ist Deutschland international in keiner Weise konkurrenzfähig, und auch bei der Künstlichen Intelligenz und der Industrie 4.0 droht der Abstieg in die Zweite Liga. Kann ein militärisches Forschungszentrum Abhilfe schaffen?
Deutsche Unternehmen fallen technologisch immer weiter zurück: Militärisches Forschungszentrum soll Abhilfe schaffen
Der Roboter-Gepard "Cheetah" hat mit 18 Meilen pro Stunde (knapp 30 Kilometer) einen neuen Geschwindigkeitsrekord für Laufroboter aufgestellt. Entwickelt wurde er im Forschungs-Center DARPA des US-Militärs. Benötigt Deutschland auch solch ein Technologiezentrum? (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Stimmung in Deutschland ist düster, und zwar nicht nur wegen des aktuellen Wirtschaftsabschwungs im Lande. Die deutsche Wirtschaft, lange berühmt für ihr geballtes technisches Know-how und ihre hochwertigen Industrieprodukte, läuft angesichts der zunehmenden Bedeutung von Software und Daten inzwischen Gefahr, abgehängt zu werden. Und die jüngste Nachricht, dass das US-Technologieunternehmen Apple inzwischen mehr wert ist als der gesamte DAX-Index der 30 führenden deutschen Unternehmen, hat die Niedergeschlagenheit bei Wirtschaftslenkern und Politikern zweifellos noch verstärkt. Wenn sich die deutschen Unternehmen nicht rasch anpassen, werden einige es womöglich schwer haben, zu überleb

Neue digitale Technologien, darunter das Internet der Dinge und die künstliche Intelligenz, könnten die traditionellen Geschäftsmodelle der deutschen Unternehmen in profunder Weise stören – insbesondere in Sektoren wie dem Maschinenbau, der Automobilindustrie und der chemischen Industrie. Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass die deutschen Unternehmen immer stärkerer Konkurrenz aus China ausgesetzt sind, das auf der Leiter der industriellen Wertschöpfung immer weiter nach oben klettert.

Um zum Beispiel selbstfahrende Autos zu entwickeln, werden die deutschen Autohersteller wie etwa VW mit Software-Unternehmen in Europa zusammenarbeiten müssen. Derzeit muss VW mit Google oder einem chinesischen Partner zusammenarbeiten, weil Deutschland keine nennenswerte Software-Industrie hat. Doch die Autos von morgen werden hochgradig vernetzte Supercomputer auf vier Rädern ein. Wenn Deutschland und Europa sich nicht schnell genug anpassen, laufen VW und andere deutsche Autohersteller Gefahr, dasselbe Schicksal zu erleiden wie Nokia, das seine dominante Stellung auf dem Handy-Markt an Apple verlor.

Kurz gesagt: Deutschland braucht eine industrielle Erneuerung von der Art, wie es sie im späten 19. Jahrhundert erlebte, als Unternehmen wie Daimler, Bayer, BASF und die Allianz aufkamen. Doch wird dies nur möglich sein, wenn der Staat deutschen Firmen technologische Unterstützung anbietet. Die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) der US-Regierung mit ihrer jahrzehntelangen Erfolgsbilanz bei Hightech-Innovationen sollte Deutschland und Europa dabei als Vorbild dienen.

Wie die Ökonomin Mariana Mazzucato festgestellt hat, waren die DARPA und andere staatliche Behörden der USA maßgeblich an der Entwicklung von neuen Technologien wie dem Internet, der GPS-Navigation, Touchscreen-Bildschirmen und sprachaktivierten Assistenten wie Apples Siri und Amazons Alexa beteiligt. Ohne diese staatlichen Forschungserfolge würde es die heutigen US-Technologieriesen nicht geben.

Die DARPA kauft zudem Innovationen. So gewann das Robotik-Unternehmen Boston Dynamics – eine Ausgründung des Massachusetts Institute of Technology (MIT), die später von Google erworben wurde und heute der japanischen SoftBank Group gehört – 2013 eine Ausschreibung zur Lieferung von Robotik-Systemen für die nächste DARPA Robotics Challenge. Im Rahmen dieses Vertrags wird das Unternehmen eine Palette autonomer humanoider Atlas-Roboter liefern, die bei Naturkatastrophen eingesetzt werden können.

Die US-Regierung spielt also eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Innovation. China, Israel und Südkorea haben ähnliche Ökosysteme staatlich geleiteter Forschungsförderung, die auf militärische und nachrichtendienstliche Anwendungen ausgerichtet sind, was teilweise erklärt, warum auch diese Länder weltweite Vorreiter im Bereich der digitalen Innovation geworden sind.

Eine aktuelle Untersuchung über OECD-Volkswirtschaften von Enrico Moretti (University of California, Berkeley), Claudia Steinwender und John Van Reenen (beide MIT) stützt diese anekdotischen Belege. Die Verfasser haben die Auswirkungen staatlich finanzierter militärischer Forschung auf privat finanzierte Forschungsaktivitäten der Unternehmen sowie auf die Produktivitätszunahme untersucht. Sie haben dabei keine Verdrängung privater Investitionen festgestellt, wie sie gewöhnlich mit einer Steigerung öffentlicher Investitionen einhergeht, sondern im Gegenteil Belege für einen Sogeffekt gefunden, der die privaten Forschungsaufwendungen verstärkt. Konkret bewirkt eine zehnprozentige Steigerung öffentlich finanzierter Forschungsausgaben dabei eine zusätzliche 4,3-prozentige Zunahme der privat finanzierten Forschung. Die Verfasser schließen daraus, dass das in einigen OECD-Volkswirtschaften zu verzeichnende niedrige Niveau privater Forschungsausgaben auch mit dem Mangel an militärbezogener Forschung in diesen Ländern zusammenhängt.

Die klare Folgerung daraus ist, dass Europa eine europäische Forschungsagentur mit einem Budget ähnlich dem der DARPA braucht, um im sich verschärfenden weltweiten technologischen Wettbewerb Schritt zu halten. Die Bundesregierung sollte diese gründen. Dies hätte den zusätzlichen Vorteil, dass es Deutschlands jüngste Bemühungen zur Verfolgung einer selbstbewussteren Außen- und Verteidigungspolitik unterstützen würde. Zudem würde eine von Deutschland und anderen europäischen Regierungen finanzierte DARPA-artige Behörde Deutschland in die Lage versetzen, seiner Verpflichtung als NATO-Mitglied zur Aufwendung von zwei Prozes seines BIP für Verteidigungszwecke nachzukommen, so wie US-Präsident Donald Trump dies ständig fordert.

Deutschland und andere europäische Länder müssen ihre Volkswirtschaften dringend für das 21. Jahrhundert fit machen. Die Gründung einer Behörde wie der DARPA wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Dalia Marin ist Leiterin des „Seminars für internationale Wirtschaftsbeziehungen“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Research Fellow am „Centre for Economic Policy Research“, London.

Copyright: Project Syndicate, 2020.

www.project-syndicate.org

*****

Dalia Marin ist Professorin für Internationale Wirtschaftswissenschaften an der Managementschule der Technischen Universität München und Research Fellow am Centre for Economic Policy Research.


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Vor 20 Jahren: Größte Erweiterung der Nato - eine kritische Betachtung
29.03.2024

Am 29. März 2004 traten sieben osteuropäische Länder der Nato bei. Nicht bei allen sorgte dies für Begeisterung. Auch der russische...

DWN
Technologie
Technologie Viele Studierende rechnen mit KI-Erleichterungen im Joballtag
29.03.2024

Vielen Menschen macht Künstliche Intelligenz Angst, zum Beispiel weil KI Arbeitsplätze bedrohen könnte. In einer Umfrage stellte sich...

DWN
Politik
Politik Verfassungsgericht stärken: Mehrheit der Parteien auf dem Weg zur Einigung?
28.03.2024

Das Verfassungsgericht soll gestärkt werden - gegen etwaige knappe Mehrheiten im Bundestag in aller Zukunft. Eine Einigung zeichnet sich...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschlands maue Wirtschaftslage verhärtet sich
28.03.2024

Das DIW-Konjunkturbarometer enttäuscht und signalisiert dauerhafte wirtschaftliche Stagnation. Unterdessen blieb der erhoffte...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Lauterbach will RKI-Protokolle weitgehend entschwärzen
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brückeneinsturz in Baltimore trifft Importgeschäft der deutschen Autobauer
28.03.2024

Baltimore ist eine wichtige Drehscheibe für die deutschen Autobauer. Der Brückeneinsturz in einem der wichtigsten Häfen der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft „Made in Germany“ ist wieder gefragt - deutsche Exporte steigen deutlich
28.03.2024

Der Außenhandel in Deutschland hat wider Erwarten zu Jahresbeginn deutlich Fahrt aufgenommen. Insgesamt verließen Waren im Wert von 135,6...

DWN
Finanzen
Finanzen Der Ukraine-Krieg macht's möglich: Euro-Bonds durch die Hintertür
28.03.2024

Die EU-Kommission versucht, mehr Macht an sich zu ziehen. Das Mittel der Wahl hierfür könnten gemeinsame Anleihen, sogenannte Euro-Bonds,...