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Deutsche wollen neues System, aber: Österreichs paradiesische Renten sind teuer erkauft

Lesezeit: 6 min
15.02.2020 12:39  Aktualisiert: 15.02.2020 12:39
DWN-Kolumnist Roland Barazon vergleicht die Renten-Situation in Deutschland und Österreich. Er präsentiert seine Sicht der Dinge und kommt dabei zu einem überraschenden Ergebnis.
Deutsche wollen neues System, aber: Österreichs paradiesische Renten sind teuer erkauft
Seine Rente ist sicher: Der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm. (Foto: dpa)

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In diesen Tagen müht sich die Bundesregierung nach vielen Jahren der Diskussion, eine „Grundrente“ zu beschließen. Kommenden Mittwoch soll die Regierung die entsprechenden Beschlüsse fassen, und für den 1. Januar 2021 ist der Start vorgesehen, wobei letzterer Termin allerdings an Verwaltungsproblemen scheitern dürfte. Im Zusammenhang mit der Grundrente flammt erneut die Diskussion über die Höhe der Renten in Deutschland insgesamt auf. Man blickt neidvoll nach Österreich, wo weit höhere Renten gezahlt werden. Reiches Österreich, armes Deutschland? Nein. In der Alpenrepublik gehen fast 50 Prozent der Wirtschaftsleistung an den Staat und die Sozialversicherung, in Deutschland sind es 45 Prozent. Fünf Prozent Differenz, das klingt nicht nach viel. Nur: Fünf Prozent der Wirtschaftsleistung in Deutschland sind rund 200 Milliarden Euro. Müssten die Arbeitnehmer diese 200 Milliarden mehr einzahlen, würde eine riesige Summe für Konsum (und damit die Erhaltung von Arbeitsplätzen) sowie für Investitionen in die Zukunft fehlen. Zur Orientierung: Derzeit betragen die Jahreseinnahmen der Rentenversicherung aus Beiträgen – ohne Staatszuschuss – 240 Milliarden Euro im Jahr. Um österreichische Verhältnisse zu schaffen, müssten die deutschen Beitragszahler also fast das Doppelte dessen zahlen, was sie jetzt aufbringen.

Die neue Grundrente soll die Renten über die Armutsgrenze anheben

Die neue Grundrente in Deutschland soll künftig niedrige Bezüge anheben, sodass die Durchschnittsrente etwa 900 Euro betragen würde. Genaue Daten sind noch nicht verfügbar. Eine Faustformel besagt, dass die Bezüge um 10 Prozent über der Grundsicherung liegen dürften.

Zur Orientierung:

  • Im Schnitt aller Altersrenten liegen die Auszahlungen in Deutschland nach Abzug des Krankenversicherungsbeitrags, aber vor eventuellen Steuern, in der Größenordnung von 900 Euro, bei langjährig Versicherten zwischen 1.100 und 1.200 Euro, bei den Renten wegen verminderter Arbeitsfähigkeit im Schnitt unter 800 Euro.
  • In Österreich betragen die Altersrenten im Schnitt knapp 1.500 Euro, das ergibt netto nach Abzug des Beitrags zur Krankenversicherung UND der Steuer etwa 1.350 Euro netto. Ein Sechstel der Jahresrente in Österreich – das so genannte Urlaubs- und Weihnachtsgeld – unterliegt fixen, niedrigen Steuersätzen. Bei verminderter Arbeitsfähigkeit sind die Beträge um etwa 15 Prozent niedriger. Bezieht man sonstige Einnahmen, dann müssen die Beträge mitversteuert werden.

Die Zusatzleistung „Grundrente“ in Deutschland soll nur unter bestimmten, zum Teil problematischen Bedingungen gewährt werden:

  • Nur, wenn die Betroffenen tatsächlich auf eine geringe Rente angewiesen sind, bekommen sie die Grundrente. Stehen andere Einkünfte, welcher Art auch immer, zur Verfügung, gibt es – unter Berücksichtigung von Freibeträgen – keine Grundrente.
  • Diese „anderen“ Einkünfte muss das Finanzamt der Rentenversicherung melden, doch gibt es bisher keinen Datenaustauch zwischen dem Fiskus und der Rentenanstalt und der Aufbau wird kaum bis Jahresende 2020 kaum klappen.
  • Auch kann die Aufbesserung der Rente so manchen Mindestrentner schon allein mit der höheren Rente in die Steuerpflicht geraten lassen. Es deutet alles darauf hin, dass die Rentner und die Behörden in einen Verwaltungsstrudel stürzen.
  • Anspruch hat man zudem nur, wenn man mindestens 33 Beitragsjahre vorweisen kann, da gibt es eine geringere Grundrente, ab 35 Beitragsjahren soll hingegen die volle Grundrente bezahlt werden.
  • Viele Renten sind aber extrem niedrig, weil die Zahl der Beitragsjahre zu gering ist, diese Personen sind aber durch die 33/35 Jahre-Klausel von vornherein ausgeschlossen.

Somit empfiehlt sich auch hier der Blick nach Österreich, wo alle Renten höher sind als in Deutschland. Die nun angepeilte deutsche Grundrente ist mit der so genannten „Ausgleichszulage“ im südlichen Nachbarland vergleichbar.

  • Hat eine allein stehende Person in Österreich eine Pension, die geringer ist als 966,65 Euro, so wird der Differenzbetrag zwischen dem Bezug und diesem Richtsatz hinzugezahlt. Bei im gemeinsamen Haushalt lebenden Paaren erhöht sich der Satz auf 1.472 Euro, für Kinder, Witwen und Waisen gibt es eigene Rahmenbeträge.
  • Allerdings gilt auch in Österreich, die Ausgleichszulage wird nur bezahlt, wenn keine sonstigen Einnahmen verfügbar sind.

In den internationalen Statistiken wird Altersarmut unterschiedlich definiert. Man kann aber schlussfolgern, dass die Grenze etwa bei 900 Euro pro Person und Monat liegt. Somit würde Deutschland, wenn das Projekt „Grundrente“ nach jahrelangen Diskussionen realisiert wird, einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Bekämpfung der Altersarmut setzen. Österreich hätte das Problem schon länger gelöst. Allerdings darf man nie übersehen, dass trotz aller Sozialleistungen viele nicht zum Zug kommen, sei es, weil sie aufgrund von Detailregelungen keine Ansprüche haben, oder weil sie selbst den Umgang mit den zuständigen Behörden nicht beherrschen und bestehende Rechte nicht kennen und nicht nützen.

Die Altersvorsorge wird von den Unternehmen zwei Mal finanziert

Aus der aktuellen Sicht ist die weit verbreitete Empörung über die niedrigen deutschen Renten sehr verständlich. Allerdings muss man mit Nachdruck betonen, dass das deutsche System richtig konzipiert ist, aber aufgrund von besonderen Umständen nicht wirken kann. Dass die Betroffenen für diese Umstände kein Verständnis zeigen, ist nicht erstaunlich, doch sollten doch einige Punkte beachtet werden.

Vor allem ist auf den engen Zusammenhang zwischen Beiträgen zur Sozialversicherung und der Finanzierung von Unternehmen und Staaten zu verweisen, der in der Wirtschaftspolitik in Mitteleuropa nicht zur Kenntnis genommen wird.

  • Je mehr Mittel an die Sozialversicherung überwiesen werden, umso weniger steht für die Finanzierung der Unternehmen zur Verfügung.
  • An dieser Stelle sagen Sozialpolitiker: Was soll dieser Hinweis, das ist doch selbstverständlich und notwendig. Hier müsste man aber differenzieren.
  • Außer der Finanzierung der Sozialleistungen müssen die Unternehmen das Kapital, mit dem sie arbeiten, verzinsen, über Dividenden und Ausschüttungen an Aktionäre und Gesellschafter, über Zinsen an Kreditgeber.
  • In einer entwickelten Volkswirtschaft sollten diese Dividenden und Zinsen entscheidend die Altersvorsorge mitfinanzieren: Über direkte Beteiligungen oder über Fonds müssten die Einzelnen Ansprüche haben, die aus den Ausschüttungen der Firmen bedient werden.
  • Geschieht dies nicht, so erfolgt eine doppelte Finanzierung, die die Volkswirtschaft schwächt: Die Unternehmen müssen die Sozialbeiträge und die Kapitalverzinsung erwirtschaften.
  • Nie sind alle Personen in der Lage, eine kapitalgedeckte Vorsorge aufzubauen. Personen mit niedrigen Einkommen müssen jedenfalls über staatliche und soziale Einrichtungen abgesichert werden.
  • Aber ein großer Teil der Bevölkerung wäre über die Verzinsung des Kapitals zu versorgen.
  • Derzeit gehen die Sozialversicherungen in Europa davon aus, dass sie die Vollversorgung der gesamten Bevölkerung zu leisten haben. Deutschland hat sich von diesem Prinzip zu Beginn des Jahrtausends verabschiedet und ist an europäischen Rahmenbedingungen und eigenen Versäumnissen gescheitert.

Die Staaten müssten als solide Schuldner entscheidende Partner der Anleger sein

Die Problematik wird noch durch Mängel im staatlichen Bereich verschärft.

  • Staaten spielen in jedem Vermögen eine entscheidende Rolle als sichere und langfristig agierende Schuldner.
  • Diese Aufgabe ist aber nur unter Wahrung bestimmter Regeln erfüllt:
    • Die laufenden Ausgaben eines Staates sind in der Regel aus dem Steueraufkommen zu decken. Ausnahmen sind nur in wirtschaftlich kritischen Phasen zur kurzfristigen Absicherung der Nachfrage vertretbar.
    • Über Anleihen zu finanzieren sind Investitionen, die langfristig die Infrastruktur stärken und daher auch eine langfristige Fremdfinanzierung rechtfertigen.
  • Somit ist der Ruf nach einem Null-Defizit zu relativieren: Die Finanzierung des Konsums – Gehälter, Renten – über Schulden führt in einer Schuldenfalle. Investitionsfinanzierungen sind hingegen ein wichtiges und attraktives Angebot an die Anleger.

Europa hat keine breit aufgestellte Börse für Beteiligungskapital, aber dafür viele überschuldete Staaten

Beide Elemente einer kapitalgedeckten Altersvorsorge funktionieren in Europa und auch in Deutschland nicht.

  • Der Markt für Beteiligungskapital ist nicht ausreichend entwickelt. Dominant sind die Großunternehmen, die große Zahl der entscheidenden mittelständischen Unternehmen wird nicht über die Börse finanziert.
  • Ein entsprechender Aufbau hat aus vielen Gründen nicht funktioniert:
    • Die Kreditfinanzierung wurde und wird zum Teil immer noch durch steuerliche Regeln begünstigt.
    • Auch wird diese Finanzierungsform vielfach bevorzugt, weil die Firmeninhaber keine Mitgesellschafter wollen.
    • Die Behinderung der Kreditfinanzierung durch Basel II und III hat viele Unternehmen gelehrt, möglichst mit der Eigenfinanzierung aus Gewinnen das Auslangen zu finden.
    • Viele Anleger interessieren sich nur für große, bekannte Unternehmen und übersehen die attraktiven Chancen in den weniger prominenten Betrieben.
  • Die Staaten haben die Regel – Laufendes aus Steuern, Langfristiges über Anleihen – über Bord geworfen. Die meisten haben die Investitionstätigkeit ausgelagert und versuchen in den Budgets die übrigen Ausgaben notdürftig zu decken. Die Anleihen finanzieren daher den laufenden Betrieb, sodass bei realistischer Bewertung die Bonität der Staaten in Frage zu stellen ist.

Zu diesen fundamentalen Fehlentwicklungen kam und kommt die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank, die mit Null- und Niedrigzinsen vor allem die Staaten vor dem Bankrott bewahren will. Länder mit gesunden Staatsfinanzen finden sich neben den überschuldeten Nachbarn in einer komfortablen Lage. Deutschland erwirtschaftet sogar Überschüsse, wozu neben den niedrigen Zinsen für Schulden aus Perioden, in denen man auf die Ausgabe von Anleihen angewiesen war, auch die niedrigen Renten beitragen. Österreich weist einen ausgeglichenen Haushalt aus, ohne die Zuschüsse zu den großzügigen Renten wäre man auch im Plus.

Die Vorteile der Riester-Rente werden wegen der niedrigen Renten nicht mehr gesehen

Das Kernstück der Verlagerung des Schwergewichts der Altersvorsorge von der Sozialversicherung zur kapitalgedeckten Vorsorge bildete und bildet die „Riester-Rente“, die durch die niedrigen Zinsen und das Fehlen einer breit aufgestellten Börse unter Druck geraten ist. In der Öffentlichkeit wird vor allem die bescheidene Höhe der Auszahlungen beklagt: Im Schnitt sollen 2020 monatlich 113 Euro zur Auszahlung kommen, die zudem versteuert werden müssen. Aktuell gibt es etwa 350.00 Riester-Renten.

Auffallend ist, dass unter diesen Umständen die großzügige staatliche Förderung über Zulagen und Steuernachlässe in den Hintergrund getreten ist. Bis zu 2.100 Euro im Jahr können gespart werden, die Förderung entspricht etwa 30 Prozent und ergibt somit eine attraktive Verzinsung, vor allem, wenn man die derzeit üblichen Bedingungen auf dem Markt betrachtet. Ursprünglich haben 16 Millionen abgeschlossen, mittlerweile wird aber nur mehr auf rund 10,5 Millionen Verträge eingezahlt. Die durchschnittliche Sparleistung liegt bei etwa 1.000 Euro, also bei der Hälfte der Summe, für die die Förderung bezahlt wird. 10,5 Millionen Verträge, 30 Prozent Förderung ergibt einen staatlichen Beitrag von über drei Milliarden Euro, genau sind es nach Berechnungen des Finanzministeriums sogar jährlich 3,8 Milliarden Euro, die aus der Staatskasse jährlich an die Riester-Sparer fließen. Einen mindestens so hohen Betrag lassen die deutschen Steuerzahler liegen, weil sie den Sparrahmen nicht ausnützen und sich über die niedrigen Riester-Renten ärgern.

Kaum jemand über 60 arbeitet in Österreich, in Deutschland mehr als jeder Dritte

Vergleichbares gibt es in Österreich nicht. Die Dominanz der Sozialversicherung ist unbestritten, wie man auch an den hohen Renten ablesen kann. Auf die finanzielle Dimension war schon eingangs zu verweisen. Die problematische, gesamtwirtschaftliche Effektivität der eingesetzten Mittel konnte bereits aufgezeigt werden. Abschließend ist auf ein Phänomen zu verweisen, das ebenfalls von volkswirtschaftlicher Bedeutung ist: Der frühe Renteneintritt sorgt durch die mittlerweile lange Lebensdauer zu hohen Belastungen der Aktivbevölkerung. Die nun in das Pensionsalter kommenden Baby-Boomer verschärfen das Problem. Wie sehen nun die Verhältnisse in den beiden Ländern aus: In Deutschland haben 38,3 Prozent der 60 bis 64jährigen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, in Österreich sind es nur fünf Prozent, von den 60-Jährigen arbeiten noch zehn Prozent, von den über 63-Jährigen sind es nur 1,8 Prozent, die zur Wirtschaftsleistung beitragen.

Wenn man den deutschen Kontoauszug mit dem österreichischen vergleicht, ist der Schmerz der Deutschen verständlich. Volkswirtschaftlich ist man nördlich der Alpen besser unterwegs.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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