Auf dem Sondergipfel zu den EU-Finanzen ab 2021 hat sich am Donnerstagabend keine Kompromissbereitschaft unter den 27 Mitgliedstaaten abgezeichnet. EU-Ratspräsident Charles Michel erntete nach Teilnehmerangaben Kritik etlicher Länder für seinen zuletzt vorgelegten Kompromissvorschlag. Nettozahlerstaaten wie die Niederlande, Dänemark, Finnland und Österreich warnten vor zu hohen Beiträgen der einzelnen Länder. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der Präsident des europäischen Parlaments, David Maria Sassoli, betonten dagegen in den Verhandlungen, es sei mehr Geld nötig, damit die EU ihre selbst gesteckten Ziele auch erreichen könne.
Schon vor Beginn des Gipfels in Brüssel hatten mehrere Regierungschefs die Erwartungen gedämpft. "Ob es eine Einigung gibt, steht in den Sternen", sagte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz. Sein schwedischer Kollege Stefan Löfven betonte, die Positionen lägen sehr weit auseinander. Kanzlerin Angela Merkel betonte zwar, dass Deutschland "mit großer Entschlossenheit" für eine Einigung arbeiten werde. Aber ein Erfolg sei unsicher. Merkel traf sich unmittelbar vor dem Gipfel mit Michel und Macron zu Vier- und Sechs-Augengesprächen. Erwartet wurde, dass Michel am Abend mit einzelnen Ländern oder Gruppen von Ländern gesonderte Gespräche führt, um Kompromissmöglichkeiten auszuloten. Spekuliert wurde bereits, dass es im Falle eines Scheiterns einen weiteren Sondergipfel im März geben könnte.
Der Streit über den siebenjährigen Finanzrahmen von 2021 bis 2027 in Höhe von rund einer Billion Euro tobt seit zwei Jahren und hat sich durch den EU-Austritt Großbritanniens verschärft. Die Regierungschefs Österreichs, der Niederlande, Schwedens und Dänemarks verabredeten in Brüssel, gemeinsam darauf zu pochen, dass die Staaten auch künftig nicht mehr als ein Prozent ihrer jeweiligen Wirtschaftsleistung nach Brüssel abführen. Ein Anteil von einem Prozent würde Merkel zufolge für Deutschland nach dem Brexit eine Mehrzahlung von zehn Milliarden Euro pro Jahr bedeuten. Macron will aber wie der Belgier Michel eine Grenze von 1,07 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einführen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte anders als die Bundesregierung die Vorschläge. Die EU müsse den Spagat schaffen, auch Zukunftsaufgaben zu finanzieren. Die Kommission hatte vorgeschlagen, die nationalen Beiträge sogar auf 1,11 Prozent des BIP zu erhöhen.
Merkel kritisierte, dass Michels Vorschläge keine faire Lastenteilung zwischen den Nettozahlern ergäben. Dies betrifft vor allem Frankreich, das wegen der hohen Agrarsubventionen aus der EU-Kasse den größten Teil seiner Überweisungen nach Brüssel wieder zurückbekäme. Deutschland und andere Staaten würden dagegen nach den Michel-Plänen massiv belastet. Österreichs Kanzler Kurz forderte wie Merkel deshalb einen Rabatt bei den eigenen Zahlungen. Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin kritisierte, dass Michel den Plan verwässert habe, dass EU-Strukturhilfen künftig an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in den Empfängerländern geknüpft werden sollen.
"Wenn die EU Ambitionen hat, muss sie diese auch mit Geld unterlegen", forderte Macron. Die geplanten weiterhin hohen EU-Subventionen für den Landwirtschaftsbereich begründete er damit, dass Europa seine "Souveränität der Ernährung" bewahren müsse und die Landwirte Hilfen bei der Umstellung auf mehr Klimaschutz bräuchten. Dagegen sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte: "Ein Drittel (des Etats) ist immer noch für Landwirtschaft vorgesehen, ein Drittel für die Kohäsionspolitik. Ich kann diesem Vorschlag einfach nicht zustimmen."
Strittig war in Brüssel unter anderem, dass die EU erstmals eigene Einnahmequellen bekommen soll. Macron unterstützte die Kommissionsidee, dass die EU eine Plastiksteuer einführen und die Einnahmen aus dem CO2-Emissionshandelssystem in die EU-Kassen fließen sollten. Dies lehnt etwa Deutschland ab.