Wirtschaft

Gazprom im Vormarsch: TurkStream hat dieselbe politische Funktion wie South Stream

Die Gazprom-Pipeline TurkStream unterscheidet sich nicht sonderlich von South Stream. Während die EU zuvor South Stream zu Erliegen gebracht hat, nimmt sie TurkStream billigend in Kauf.
08.03.2020 16:30
Lesezeit: 4 min
Gazprom im Vormarsch: TurkStream hat dieselbe politische Funktion wie South Stream
Der türkische Präsident Erdogan und sein russischer Amtskollege Putin sind die "Väter" von TurkStream. (Foto: dpa) Foto: -

Die Entwicklungen im Zusammenhang mit der TurkStream-Pipeline werden kaum beachtet. Dabei hat sie faktisch gesehen dieselbe Funktion wie die South Stream-Pipeline. TurkStream ist nicht nur ein notwendiger Beitrag zum türkischen Gasversorgungsportfolio, sondern ihr zweiter Strang hat auch praktisch den gleichen Zweck wie ihr einst umstrittener Vorgänger South Stream. TurkStream besteht aus zwei Leitungen, die jeweils 15,75 Milliarden Kubikmeter (bcm) Erdgas pro Jahr liefern können. Der erste Strang ist für den türkischen Markt bestimmt, während der zweite Strang für Europa bestimmt ist, so das Atlantic Council.

Daher kann TurkStream die Versorgungssituation in Südost- und Mitteleuropa beeinflussen und die Ukraine als Transitland für die Erdgasversorgung Europas umgehen. Der Hauptunterschied zwischen diesen beiden Projekten besteht darin, dass TurkStream ursprünglich nicht dazu gedacht war, Europa mit Erdgas zu versorgen. So sagte der Chef des ukrainischen Rates für Gasindustrie und Erdgasmarkt, Leonid Unigowski, dem TV-Sender 24. Kanal, dass TurkStream den Erdgastransport durch die Ukraine drastisch senken werde. Er rechnet mit einer Verringerung des Erdgastransports um etwa zwölf bis 13 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Dies würde zu jährlichen Einnahmeeinbußen zwischen 400 bis 500 Millionen US-Dollar führen.

TurkStream ist möglicherweise ein nicht so großes Projekt wie Nord Stream 1 und 2, aber es ist ein wesentlicher Bestandteil der umfassenderen Strategie von Gazprom, seine Position als wichtiger Energieversorger in Europa und der EU zu festigen, ohne von der Ukraine abhängig zu sein.

In Südosteuropa, einer Region, in der die Versorgungssicherheit von TurkStream nicht beeinträchtigt wird, wird Bulgarien erneut ein Pufferland sein. Bulgarien, Heimat der europäischen Landung des Projekts, wurde erstmals mit entsprechenden rechtlichen und politischen Problemen konfrontiert, als South Stream die europäischen Küsten erreichte. Im Dezember 2019 warf der russische Präsident Wladimir Putin Bulgarien vor, den Bau von TurkStream zu behindern. Infolgedessen sitzt Bulgarien - genau wie bei South Stream - zwischen zwei Stühlen und muss erneut zwischen den Interessen Russlands und der EU, die die Ukraine unterstützt, abwägen.

Bulgarien ist seit geraumer Zeit daran interessiert, ein Erdgasdrehkreuz zu werden, und TurkStream ist ein wesentlicher Bestandteil seines Plans. Der bulgarische Premierminister Boyko Borisov bekräftigte 2019 mutige Pläne für das Land, aber die Fortschritte erfolgten eher langsam. Darüber hinaus wurde den Plänen, Bulgarien zu einem Erdgasdrehkreuz zu machen, kürzlich ein Schlag versetzt, als die Europäische Kommission ihre Unterstützung zurückzog.

Unabhängig davon, ob Bulgariens Pläne, ein Erdgasdrehkreuz zu werden, verwirklicht werden oder nicht, macht TurkStream Fortschritte und liefert bereits ab 2020 Gas nach Bulgarien, Nordmakedonien und Griechenland. Und wie bei Nord Stream 2 rückt die Umsetzung des Projekts von Tag zu Tag näher und macht potenzielle Wettbewerber, sei es LNG-Terminals in Griechenland oder Kroatien und die East Med-Pipeline zu Außenseitern. Schließlich haben auch US-amerikanische Erdgasproduzenten ein Interesse daran, die europäischen LNG-Terminals zu beliefern.

Die EU gab im Februar 2019 eine Stellungnahme ab, wonach der Pipeline-Abschnitt von TurkStream durch Serbien nicht von den IEM-Regeln ausgenommen werden kann, insbesondere von den Grundsätzen für den Zugang Dritter und die Entflechtung. Dies ähnelt den Einwänden der Europäischen Kommission gegen South Stream. Darüber hinaus hat die EU bereits klargestellt, dass TurkStream sorgfältig geprüft wird, um sicherzustellen, dass es den IEM-Regeln entspricht. Die IEM-Regeln, die sich auf den “internen Energiebinnenmarkt” der EU beziehen, dienen der Schaffung einer vollständig integrierten Energiebinnenmarkts. Die EU-Kommission führt in Bezug auf die Ziele des IEM aus: “Die Weiterentwicklung der Binnenmarkt-Hardware unterstützen, die Energiebinnenmarkt-Software umsetzen und verbessern, die regionale Zusammenarbeit innerhalb eines gemeinsamen EU-Rahmens intensivieren, Standardisierung der Märkte und intelligente Netze zum Vorteil der Verbraucherinnen und Verbraucher, Zusammenarbeit mit nationalen Behörden zum Aufbau von Sozialsystemen gegen Energiearmut.”

Da Serbien kein EU-Mitglied ist und die IEM-Regeln noch nicht vollständig umgesetzt hat, ist die Situation dort wahrscheinlich anders gelagert als in anderen Staaten, die entlang der Route von TurkStream liegen. Dazu zählen unter anderem Ungarn und Bulgarien.

Die EU steht vor der schwierigen Aufgabe, ihre Importbedürfnisse und außenpolitischen Bedenken im Verhältnis zu Russland in Einklang zu bringen. Ihre derzeitige Methode lässt Gazprom Raum, jede Gelegenheit zu nutzen, um in den europäischen Markt einzudringen. Eine gemeinsame Haltung der EU liegt nicht vor. Während beispielsweise Deutschland aufgrund des Projekts Nord Stream 2 für eine Kooperation mit Gazprom offen gegenüber steht, ist Polen - aber auch die USA - strikt gegen Nord Stream 2 und den wachsenden Einfluss von Gazprom in Europa. Eine gemeinsame Linie auf europäischer Ebene wird es in absehbarer Zeit nicht geben, wobei an dieser Stelle auch entscheidend ist, wer die nächste Regierung in Deutschland stellt.

Was ist TurkStream?

Die Pipeline TurkStream besteht aus zwei Strängen: Die eine Röhre leitet Gas direkt in die Türkei, die andere verläuft bis zur bulgarischen Grenze und ist für Lieferungen nach Süd- und Südosteuropa bestimmt. Beide sollen gleich viel Gas transportieren - nämlich je 15,75 Milliarden Kubikmeter. Ab der Grenze baut Bulgarien die Pipeline als Balkan Stream weiter bis an die serbische Grenze. Von da soll das Gas nach Ungarn geleitet werden. Lieferungen sollen auch in andere Staaten der Region wie in die Slowakei und Österreich ermöglicht werden. Die Arbeiten in Bulgarien sollen nach den Worten von Regierungschef Boiko Borissow bis Ende Mai 2020 abgeschlossen sein.

Was ist Nord Stream 2?

Die geplante Pipeline Nord Stream 2 wird durch die Gewässer von Russland, Finnland, Schweden, Dänemark und Deutschland verlaufen. Die Anlandungsstellen sind in Russland und Deutschland. Aus diesem Grund ist eine Genehmigung für den Bau und den Betrieb der Pipeline von jedem dieser fünf Länder erforderlich. Polen, Litauen, Lettland und Estland werden in das internationale Espoo-Konsultationsverfahren einbezogen, da sie als Ostseeanrainer ebenfalls vom Projekt berührt sein könnten.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenzverwalter: „Enorme Geldverbrennung“ bei Wirecard
11.07.2025

Der Anwalt Jaffé ist seit fünf Jahren mit der Sicherung des übrig gebliebenen Vermögens beschäftigt. Er fand nach eigenen Angaben im...

DWN
Finanzen
Finanzen Kupferpreis explodiert: Was Trumps Zollfantasien auslösen
11.07.2025

Eine 50-Prozent-Zollandrohung von Trump lässt den Kupferpreis durch die Decke schießen – und sorgt für ein historisches Börsenchaos....

DWN
Politik
Politik Putins Imperium zerbröckelt: Aserbaidschan demütigt den Kreml – mit Hilfe der Türkei
10.07.2025

Aserbaidschan widersetzt sich offen Moskau, schließt russische Propagandakanäle und greift zur Verhaftung von Russen – ein Tabubruch in...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Neues Gasfeld vor Zypern könnte Europas Energiestrategie neu ausrichten
10.07.2025

Ein neues Erdgasfeld vor Zypern könnte zum Wendepunkt in Europas Energiepolitik werden.

DWN
Unternehmen
Unternehmen Baywa Milliardenverlust: Jahreszahlen zeigen das ganze Ausmaß der Krise beim Mischkonzern
10.07.2025

Jetzt ist der Milliardenverlust bei der Baywa amtlich: Das Minus von 1,6 Milliarden Euro ist vor allem auf Abschreibungen bei der...

DWN
Finanzen
Finanzen Trumps Rechnung für die Private-Equity-Branche: 79 Milliarden
10.07.2025

Donald Trumps Zollkurs und globale Kriege setzen der Private-Equity-Branche massiv zu. Was hinter dem dramatischen Kapitalschwund steckt...

DWN
Politik
Politik „Kleiner Lichtblick für die Ukraine“ nach Trumps Kehrtwende
10.07.2025

Der Kurswechsel der USA beim Waffenlieferprogramm für die Ukraine dürfte die Gespräche europäischer Staats- und Regierungschefs in...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Ostdeutsche Betriebsräte fordern Ende von Habecks Energiewende: Industriestandort gefährdet
10.07.2025

Nach dem Verlust von über 100.000 Industriearbeitsplätzen richten ostdeutsche Betriebsräte einen dramatischen Appell an Kanzler Merz....