Politik

Treffen mit Erdoğan: Putin könnte sich Assads entledigen

Es gibt Hinweise darauf, dass nicht der Westen, sondern Russlands Präsident Putin den "sanften" Sturz von Baschar al-Assad herbeiführen könnte. Entscheidend sind die Ergebnisse des morgigen Treffens zwischen Erdoğan und Putin.
04.03.2020 16:47
Aktualisiert: 04.03.2020 16:47
Lesezeit: 4 min
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Treffen mit Erdoğan: Putin könnte sich Assads entledigen
Russlands Präsident Putin und sein türkischer Amtskollege Erdoğan. (Foto: dpa) Foto: Anatoly Maltsev

Am 4. März 2020 ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach Moskau geflogen, um mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin die Lage in der syrischen Provinz Idlib zu besprechen.

Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar hat heute nach Angaben der Zeitung Milliyet gesagt: “Von Beginn an gab es einige Übereinkünfte. In der Umsetzung dieser Übereinkünfte sind wir aktuell mit einigen Problemen konfrontiert. Auf der höchsten Ebene werden unsere Ansichten, Vorschläge und Forderungen von unserem verehrten Präsidenten an den verehrten Herrn Putin übermittelt werden. Es soll versucht werden, eine Lösung zu finden. Unsere Ziele umfassen eine politische Lösung mit friedlichen Methoden. In diesem Zusammenhang haben wir von Beginn an unsere Ansichten und Forderungen übermittelt.”

Auf Nachfrage eines Reporters, was sich Erdoğan von dem Treffen mit Putin erhofft, antwortete der türkische Präsident der Nachrichtenagentur Ihlas zufolge: “Die schnelle Umsetzung eines Waffenstillstands in der Region."

Es ist durchaus denkbar, dass Moskau im Verlauf der Verhandlungen mit Ankara sich dazu bereit erklärt, sich vom syrischen Präsidenten Baschar al-Assad abzuwenden, um der Türkei eine Machtkonsolidierung in Idlib zuzubilligen. Moskau hat erkannt, dass sich die Türkei unter keinen Umständen aus Idlib zurückzuziehen wird, da Ankara die türkischen Grenzen sichern und das Flüchtlingsproblem lösen möchte und muss. Wenn Moskau auf Konfrontationskurs geht, könnte sich der Konflikt in die Länge ziehen, was aus militärisch-finanzieller Perspektive negative Folgen für Russland hätte. Wobei an dieser Stelle die Entwicklung der Ölpreise eine wichtige Rolle spielen. Moskau will kein zweites Afghanistan.

Russlands Präsident Putin versteht, dass er Erdoğan zufriedenstellen muss, damit die Türkei nicht komplett in den westlichen Block umschwenkt. Denn bisher rührte Russlands Stärke aus der Uneinigkeit innerhalb des westlichen Blocks. Wenn die Türkei umsschwenkt, könnte sie Russland im Schwarzen Meer, im Kaukasus, aber auch auf dem Balkan und Zentralasien mittel- und langfristig gefährlich werden.

Worauf Putin während der Verhandlungen mit Erdoğan bestehen könnte, ist die Kontrolle über die Autobahn M5, die Aleppo mit Damaskus verbindet. Die Autobahn M5 befindet sich im Bereich der Deeskalations-Zone im Rahmen des Abkommens von Sotschi. Es ist noch unklar, ob Erdogan Putin die Kontrolle über die Autobahn M5 überlassen wird.

Putin ist scheinbar davon ausgegangen, dass sich die Türkei früher oder später aus Idlib zurückziehen wird, insbesondere nach dem syrisch-russischen Luftschlag vom 27. Februar, bei dem 33 türkische Soldaten ums Leben kamen. Doch der Luftschlag hat genau das Gegenteil von dem bewirkt, was es bewirken sollte. Die Regierung in Ankara fuhr mit ihrer Operation in Idlib noch erbitterter fort und schickte zusätzliche Truppen nach Idlib. Die türkische Bevölkerung rückte enger zusammen. Moskaus Rechnung war nicht aufgegangen.

Der US-Analyst Bruno Maçães, der derzeit am Hudson Institute tätig ist, führt in einem Bericht der Moscow Times aus: “Die Regierung in Moskau hat keine guten Optionen mehr, wenn sie mit dem Ziel weitermachen will, Assads Herrschaft über Idlib wiederherzustellen (...) Die Türkei hingegen hat am Ende des Tunnels etwas Licht gesehen. Assad wurde machtlos gemacht. Die Idee, dass er jemals die unbezwingbare Bevölkerung von Idlib kontrollieren könne, wurde als Bluff entlarvt (...) Wenn Sie all diese Variablen zusammenfassen, erhalten Sie möglicherweise ein Szenario, in dem Russland widerwillig zu dem Schluss kommt, dass Assad entbehrlich ist (...) Ein sanfter Coup könnte arrangiert oder beschafft werden (...) Das Wichtigste (für Putin, Anm. d. Red) ist, die Westmächte von Syrien fernzuhalten. Dies kann nicht erreicht werden, indem die Türkei gegen die Wand gedrückt wird, was Putin allmählich versteht. Assad gehen zu lassen, hätte den zusätzlichen Vorteil, die Quelle des iranischen Einflusses in Syrien zu beseitigen. Weder Moskau noch Ankara werden darüber allzu unglücklich sein.”

Die letzte Ausführung von Maçães ist besonders interessant. Denn im Jahr 2018 hatte Putins Syrien-Gesandter Alexander Lawrentjew angedeutet, dass Moskau sich eigentlich einen Abzug der iranischen und pro-iranischen Milizen aus Syrien wünscht. Als Antwort darauf erklärte das iranische Außenministerium, dass niemand die iranischen Streitkräfte aus Syrien herausdrängen könne und dass sie bleiben würden, bis Assad sie förmlich auffordert, zu gehen, berichtet Tasnim. Die Nachrichtenagentur Xinhua berichtete auch über eine Entscheidung der syrischen Regierung, wonach ein Rückzug iranischer Streitkräfte und alliierter schiitischer Milizen aus der Deeskalationszone nahe der israelischen und jordanischen Grenze geduldet werde. Für Teheran war Russlands Kehrtwende eine Überraschung gewesen, die heftige Reaktionen und eine Debatte darüber ausgelöst hat, ob man Moskau noch trauen kann, berichtet The Middle East Eye (MEE).

Am Ende könnte sich folgendes überraschende Bild ergeben: Russland beginnt, sich seines Verbündeten zu entledigen, um anschließend den Iran aus Syrien herauszudrängen. Zeitgleich versucht Moskau, seine engen Beziehungen zu den westlichen Verbündeten Türkei und Israel aufrechtzuerhalten, um sich in der Region halten zu können. Es erfolgen Absprachen mit Washington, um Syrien in “Besatzungszonen” aufzuteilen.

Dass die Luft für Baschar al-Assad dünner wird, hat offenbar auch die Regierung in Damaskus verstanden. Assad hat dem russischen Sender Rossiya 24 am 4. März 2020 gesagt, dass es keine Feindschaft zwischen den Völkern Syriens und der Türkei gebe. “Welche große oder kleine feindselige Haltung haben wir jemals gegen das türkischen Volk eingenommen? So etwas lag niemals vor. Wir haben gemeinsame und überlebenswichtige Interessen. Es gibt syrisch-türkische Ehen und Familien. Die Symbiose zwischen unseren Kulturen geht zurück auf alte Zeiten. Es macht keinen Sinn, dass wir ernsthafte Meinungsverschiedenheiten haben. Wenn wir über die Türken sprechen, sprechen wir von einem Brudervolk. Nun frage ich das türkische Volk: ,Welches Problem habt ihr mit Syrien? Welches Problem ist derart wichtig, dass türkische Bürger dafür sterben müssen?”

Dass diese Aussagen Assads kurz vor dem russisch-türkischen Gipfel in Moskau gefallen sind, ist kein Zufall. Zuvor hatte Assad eine andere Rhetorik angewandt.

Am 4. März 2020 veröffentlichte die türkische Zeitung Aydınlık ein Interview mit dem syrischen Informationsminister Bessam Abu Abdullah. Der Informationsminister wörtlich: “Präsident al-Assad steht einem Gespräch positiv gegenüber, wenn dies für die nationalen Interessen Syriens erforderlich ist. Feindselige Haltungen sind für keine der beiden Seiten sehr hilfreich. Wir brauchen positive Ansätze (...) Das Abkommen von Astana sollte umgesetzt werden. Beide Länder (Türkei und Syrien, Anm. d. Red.) sollten das direkte Gespräch suchen.”

Welche Konturen sich in Syrien ergeben werden, wird sich nach dem Treffen zwischen Erdoğan und Putin am morgigen Donnerstag in Moskau zeigen. Es ist davon auszugehen, dass Moskau und Ankara anschließend mit Washington in Kontakt treten werden.

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