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ERSTES DWN-INTERVIEW ZUR GEGENWÄRTIGEN RECHTSLAGE: Der Staat ist jetzt rechtlich gefordert, mehr für die Unternehmen zu tun

Lesezeit: 5 min
19.03.2020 11:30  Aktualisiert: 19.03.2020 11:30
Eine Situation wie die Corona-Krise, hat es in der Bundesrepublik bislang noch nicht gegeben. Es tun sich rechtliche Fragen auf, die äußerst schwierig zu beurteilen sind. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten werden daher eine Reihe von Interviews mit Rechtsexperten führen, um die dringendsten Fragen zu klären.
ERSTES DWN-INTERVIEW ZUR GEGENWÄRTIGEN RECHTSLAGE: Der Staat ist jetzt rechtlich gefordert, mehr für die Unternehmen zu tun
Geschäfte wie diese Parfümerie in München könnten durch die Corona-Krise insolvent gehen, wenn sie keine staatliche Hilfe erhalten. (Foto: dpa)

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Die aktuelle Krise stellt vor allem für Freiberufler und Gewerbetreibende eine außerordentliche Belastung dar. Aber darf der Staat seinen Bürgern überhaupt das Geldverdienen verbieten? Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten sprachen darüber mit Prof. Martin Schwab, Professor für Bürgerliches Recht sowie Verfahrens- und Unternehmensrecht an der Universität Bielefeld.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona- Krise werden immer restriktiver. Welche rechtsstaatlichen Prinzipien sollten den Entscheidungen des Staates zugrunde liegen?

Martin Schwab: In der aktuellen Situation ist das vor allem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es ist wichtig, dass der Staat seine Bürgerinnen und Bürger vor der Ausbreitung des Corona-Virus schützt. Aber er darf dafür die Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger nur in dem Maße einschränken, in dem es unbedingt sein muss.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Bereits die jetzigen Maßnahmen treffen große Teile der Bevölkerung hart, etwa Gewerbetreibende und Freiberufler. Spielt dies bei den Entscheidungen des Staates keine Rolle?

Martin Schwab: Da sind wir bereits bei der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten. Für die Händler, die jetzt ihre Geschäfte schließen müssen, bedeutet dies ein zeitweiliges Berufsverbot. Das gleiche gilt zum Beispiel auch für die Betreiber von Clubs, Diskotheken, Kneipen, Kinos und Fitness-Studios.

Die gegenwärtigen Aktivitäten der Politik zeigen, dass an diesen Aspekt sehr wohl gedacht wird. Man erleichtert den Unternehmen Anträge auf Kurzarbeit. Die Unternehmen können Liquiditätshilfen beantragen – sei es als Zuschuss (beispielsweise in Bayern), sei es als Darlehen (zum Beispiel in Berlin). Das bedeutet: Der Staat hilft seinen Unternehmen dabei, ihre Schulden zu bezahlen. Wenn die Vorgaben, die das Bundesfinanzministerium und das Bundeswirtschaftsministerium verkündet haben, von den Finanzämtern konsequent umgesetzt werden, wird es außerdem Steuerstundungen geben.

Im Klartext: Ja, es spielt bei den Entscheidungen des Staates eine Rolle, dass die Unternehmen hart getroffen werden. Mir gehen die Hilfen, die der Staat den Unternehmen derzeit anbietet, aber nicht weit genug. Denn ein Händler muss nicht nur seine Schulden zahlen. Er muss vor allem von den Früchten seiner Arbeit leben. Wenn der Staat einem Unternehmer verbietet, sein Gewerbe zu betreiben, muss er ihm gleichzeitig sagen, wo stattdessen das Geld für seinen Lebensunterhalt herkommt. Salopp gesprochen: Der Staat darf seine Unternehmer nicht verhungern lassen! An dieser Stelle muss die Politik noch nachlegen. Und zwar bald.

Und wenn wir eines Tages aus dem Gröbsten raus sind, müssen wir die rechtlichen Grundlagen nachbessern. Sämtliche aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung und der Landesregierungen sind auf das Infektionsschutzgesetz gestützt. Das Infektionsschutzgesetz weiß aber nichts von Geschäftsschließungen. In normalen Zeiten wäre es völlig undenkbar, dass eine an sich zulässige gewerbliche Tätigkeit vorübergehend komplett untersagt wird, ohne dass die Voraussetzungen eines solchen Verbots in einem Parlamentsgesetz ausdrücklich geregelt sind. Wir haben es immerhin mit einem gravierenden Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) zu tun. In normalen Zeiten ist es schwer vorstellbar, einen solchen Eingriff auf eine Vorschrift zu stützen, die es den Behörden nur ganz allgemein erlaubt, Maßnahmen gegen die Verbreitung von Krankheitserregern zu treffen (§ 28 Infektionsschutzgesetz). In normalen Zeiten gilt der Grundsatz: Je schwerer der Eingriff wiegt, desto präziser muss die rechtliche Grundlage formuliert sein. Wie gesagt: Das alles gilt in normalen Zeiten. Nun will ich unseren Regierungen eines zugestehen: Wir haben es hier gerade nicht mit normalen Zeiten zu tun! Wenn sich eine Krise, die plötzlich über uns hereinbricht und die wir nicht vorhersehen konnten, so rasch zuspitzt, wie dies aktuell in der Corona-Pandemie der Fall ist, muss schnell gehandelt werden. Und schnelles Handeln ist nun einmal Aufgabe von Regierung und Verwaltung. Diskussionen über einen Parlamentsvorbehalt sind gegenwärtig völlig fehl am Platz. Aber für die Zukunft müssen der Deutsche Bundestag und der Deutsche Bundesrat nachlegen. Das Infektionsschutzgesetz muss für Geschäftsschließungen in Zukunft klare Regeln vorsehen. Und diese Regeln müssen auch die Frage der Entschädigung umfassen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie verhält es sich hier mit Sportvereinen? Auch hier sind zahlreiche freiberufliche Kursleiter auf einmal arbeitslos.

Martin Schwab: Und nicht nur in Sportvereinen. Auf rbb-online wurde über eine freiberufliche Theaterspielerin berichtet, der jetzt die Aufträge wegbrechen und die bald nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll. Letztlich sind weite Teile der Kreativwirtschaft betroffen, zum Beispiel auch Musiker, die von ihren Auftritten leben. Die Politik muss auch auf dies alles reagieren. Sie muss sich sämtliche Wirtschaftszweige ansehen und überlegen, wie man den Menschen helfen kann, die bald nicht mehr wissen, wovon sie leben sollen. Überzeugendes Krisenmanagement kann auf die Dauer nur gelingen, wenn sich niemand im Stich gelassen fühlt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In einigen europäischen Nachbarländern gibt es bereits Ausgangssperren. Wäre das auch in Deutschland denkbar?

Martin Schwab: Ausgangssperren sind für mich eine absolute Horrorvorstellung. Sie bedeuten in weitem Umfang das Ende jeder bürgerlichen Freiheit. Wenn ich allerdings die Ansprache der Bundeskanzlerin, die gestern Abend ausgestrahlt wurde, richtig deute, möchte die Bundesregierung alles daransetzen, um diesen drastischen Schritt zu vermeiden. Die

Bundeskanzlerin hat aber ebenso deutlich gemacht, dass wir es jetzt alle selbst in der Hand haben, weitere Einschnitte zu verhindern – indem wir konsequent voneinander Abstand halten. Irritierend finde ich freilich, dass der Regierende Bürgermeister von Berlin und der Ministerpräsident von Brandenburg noch gestern Nachmittag verlauten ließen, man schließe Ausgangssperren nicht mehr aus. Ich würde mir wünschen, dass Bundesregierung und Landesregierungen ihre Außenkommunikation konsequent aufeinander abstimmen. Sonst verunsichert man die Menschen noch mehr.

Ob so ein scharfer Einschnitt in die persönliche Freiheit, wie sie eine Ausgangssperre verkörpert, noch durch das Infektionsschutzgesetz gedeckt ist, halte ich für zweifelhaft. Jetzt sind wir wieder beim Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Bevor man zu einer solch drastischen Maßnahme greift, sollte man erst einmal damit anfangen, Menschenansammlungen aufzulösen und insbesondere diese unsäglichen Corona-Partys zu unterbinden. Und eine Ausgangssperre würde auch Menschen treffen, die an der frischen Luft etwas für Ihre Gesundheit tun möchten – indem sie spazieren gehen, joggen oder Fahrrad fahren. Solche Aktivitäten sind, solange man keinen engen Kontakt zu anderen Menschen hat, ohne Risiko möglich – so steht es sogar in den offiziellen Informationen auf der Homepage der baden-württembergischen Landesregierung zum Thema Corona-Virus. Es wäre tragisch, wenn nun auch Aktivitäten untersagt würden, die der Gesundheit nützen.

Eine Botschaft ist mir in der aktuellen Situation aber extrem wichtig: Setzen Sie bitte nicht auf die Hilfe der Gerichte, wenn Sie eine Ausgangssperre verhindern möchten! Es hat bereits Eilanträge vor deutschen Verwaltungsgerichten gegeben, in denen es um Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus ging. Diese Anträge hatten keinen Erfolg. Auch wenn Maßnahmen, um die seinerzeit gestritten wurde, wesentlich weniger weit reichten als eine Ausgangssperre, so ist doch gleichwohl nicht zu verkennen, dass die Gerichte möglicherweise eher in der Stimmung sein könnten, die Regierungen und die Behörden in der aktuellen Situation gewähren zu lassen. Also: Besser Abstand zum Mitmenschen halten! Was die Politik in den nächsten Tagen und Wochen macht, hängt auch von unserem eigenen Verhalten ab!

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Über was für einen Zeitraum ließen sich die staatlichen Maßnahmen aufrechterhalten? Unbegrenzt?

Martin Schwab: Die Einschnitte, die jetzt beschlossen wurden, können kein Dauerzustand sein. Und nach dem Willen unserer Regierungen sollen sie es ja auch nicht sein. Es kann nur darum gehen, kurzfristig Freiheit zu opfern, um genau diese Freiheit langfristig zu sichern. Dauerhafte Freiheitsbeschränkungen führen dieses Ziel ad absurdum. Denn Sicherheit ist kein Selbstzweck. Nach Sicherheit sehnen wir uns deshalb, weil sie es uns wiederum ermöglicht, in Freiheit zu leben. Die Sicherheit ist nicht Herrin, sondern Dienerin der Freiheit.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Angenommen, es käme ein Impfstoff gegen das Corona-Virus auf den Markt. Könnten die Behörden Zwangsimpfungen durchsetzen? Oder gibt es ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit?

Martin Schwab: Es gibt ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG). Dieses Grundrecht kann aber durch Gesetz eingeschränkt werden. Diese Einschränkung ist möglich, wenn sie einem legitimen Zweck dient, geeignet und erforderlich ist, diesen Zweck zu erfüllen, und zu diesem Zweck nicht außer Verhältnis steht. Die Corona-Krise trifft uns alle so hart, dass sie sich nicht wiederholen darf. Deswegen wäre eine Zwangsimpfung aus meiner Sicht verfassungsrechtlich zulässig.





Info zur Person: Martin Schwab ist Professor für Bürgerliches Recht, Verfahrens- und Unternehmensrecht an der Universität Bielefeld.


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