Politik

Schluss mit Solidarität: Wie ein Virus Europa zerlegt

Die Corona-Krise hat nicht nur wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen. Sie hat auch das Potential, die EU zu sprengen, schreibt der außenpolitische Korrespondent der Deutschen Wirtschaftsnachrichten, Bernd Brümmel.
21.03.2020 07:34
Lesezeit: 2 min
Schluss mit Solidarität: Wie ein Virus Europa zerlegt
Wegen Corona: Kontrollen an der österreichisch-ungarischen Grenze. (Foto: dpa)

Man sollte annehmen, die EU sei sich darüber im Klaren, dass sie angesichts der aktuellen Corona-Krise im Hinblick auf ihr weiteres Bestehen vor einer ernsten Bewährungsprobe steht. Aus EU-Kreisen ist dazu allerdings nicht viel zu hören oder zu lesen. Es scheint, als agiere jedes Mitglieds-Land völlig autonom bei der Verhängung und Durchsetzung immer restriktiverer Maßnahmen. Dies war zu Beginn etwa der Euro-Krise – ich schreibe "Zu Beginn", denn sie ist noch lange nicht vorüber – anders. Die Griechen können ein Lied davon singen.

Vor allem die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengen-Raum, die weitgehende Aushebelung der Reisefreiheit der EU-Bürger, ist symptomatisch für die Entwicklung der Gemeinschaft. Italien – dessen Gesundheitssystem vor allem im Norden des Landes überlastet ist – erhält mehr medizinische Hilfe aus China als aus Deutschland. Die europäische „Solidarität", die vor einigen Jahren noch zwecks Euro- und Griechenland-Rettung bemüht wurde (und in Südeuropa zu Austeritäts-programmen führte, während sie den Steuerzahlern in Nordeuropa unkalkulierbare Finanzrisiken aufbürdete), ist nun im Vergleich viel weniger stark erkennbar. Der Beliebtheit der EU dürfte dies nicht zuträglich sein.

Doch es geht nicht allein um Atmosphärisches. Die Corona-Krise hat das Potential, die gesamte EU in eine Rezession zu stürzen. Und eine weitere Öffnung der Geldschleusen durch die EZB, unbegrenzte Anleihe-Käufe oder Zinsen im Negativbereich würden die bereits vorhandenen strukturellen Probleme der meisten ihrer Mitgliedstaaten nur weiter verschärfen und das Weiterbestehen der EU noch weiter in Frage stellen. Gerade Italien mit einem Schuldenstand von weit über 130 Prozent gemessen an seinem Bruttosozialprodukt, könnte der Dominostein sein, der den Staatenbund zum Einsturz bringt. Denn das Land ist zu groß für einen Bail-Out durch seine europäischen Partner. Der Euro wäre als Gemeinschaftswährung in seiner jetzigen Form nicht mehr zu halten.

Das Diktum von Frau Merkel „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa", war zu Beginn der Eurokrise falsch – die permanenten Rettungsarien haben die EU eher gespalten als geeint und im Vergleich zu anderen Wirtschaftsräumen zurückgeworfen. Anstatt über Alternativen zur Währungsunion oder zumindest ihre Reform nachzudenken, hielt man an einem Projekt fest, das von Anfang an keine Erfolgsaussichten hatte. In der jetzigen Situation aber wäre ein unkontrolliertes Auseinanderbrechen des Euro fatal. Die EU gliche dann tatsächlich einem Scherbenhaufen. Und dies in einer Zeit des Übergangs von einer uni- zu einer multipolaren Weltordnung, in der sich der Machtkampf zwischen den USA und der VR China immer weiter zuspitzt. Die EU droht dabei, zwischen den beiden Blöcken zerrieben zu werden. Insofern hat die Corona-Krise eine starke geopolitische Komponente. Sie könnte die Machtbalance auf dem Globus ein weiteres Mal verschieben, indem es die EU als potentielles Machtzentrum aus dem Spiel nimmt. Schon jetzt gehört sie auf die Intensivstation.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Globale Wirtschaft: Fed-Zurückhaltung bremst Wachstum und Aktienmärkte weltweit
22.12.2025

Nach der starken Rally an den Aktienmärkten mehren sich die Zweifel, ob das globale Wachstum ohne neue geldpolitische Impulse tragfähig...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bundeskartellamt verhängt zehn Millionen Euro Bußgeld
22.12.2025

Zehn Millionen Euro Bußgeld – das klingt nach wenig für Deutschlands oberste Wettbewerbshüter. Tatsächlich ist es ein deutlicher...

DWN
Finanzen
Finanzen Persönliche Daten bei Banken: Was Sie preisgeben müssen - und was nicht
22.12.2025

Bevor Banken Konten, Kredite oder Depots freigeben, sammeln sie umfangreiche Daten. Doch nicht jede Auskunft ist verpflichtend – viele...

DWN
Finanzen
Finanzen Schaeffler-Aktie vor dem Ausbruch: Zehn Prozent Umsatz aus neuen Geschäften
22.12.2025

Während andere Rüstungsaktien nach ihrer Rally ins Stocken geraten, schiebt sich ein Industriekonzern überraschend nach vorn. Die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Fallender Ölpreis hält Kraftstoffpreise vor den Feiertagen niedrig
22.12.2025

Der Ölpreis ist erstmals seit Beginn des Ukrainekriegs unter 60 US-Dollar gefallen. Für Verbraucher bedeutet das niedrige...

DWN
Technologie
Technologie Smart Cities: Fluch oder Segen?
22.12.2025

Smart Cities sind längst keine Zukunftsmusik mehr. In Städten wie Grevenbroich testen Sensoren, Kameras und KI das urbane Leben der...

DWN
Politik
Politik EU-Ukraine-Finanzierung: Milliardenkredit ohne Zugriff auf russisches Vermögen – die Hintergründe
22.12.2025

Die EU sucht nach Wegen, die Ukraine finanziell zu stützen, ohne neue politische Bruchlinien in der Union zu erzeugen. Doch welche Folgen...

DWN
Finanzen
Finanzen DroneShield-Aktie: Drohnenabwehr boomt durch steigende Bedrohungslage
22.12.2025

Die DroneShield-Aktie legt nach starken Zuwächsen weiter zu. Neue Governance-Regeln stärken das Vertrauen der Anleger, während der Markt...