Politik

Putin und Erdogan teilen den Balkan unter sich auf

Lesezeit: 5 min
03.04.2020 15:33  Aktualisiert: 03.04.2020 15:33
Russland und die Türkei teilen den Balkan unter sich in Einflusssphären auf. Was wie eine Kooperation unter Freunden ausschaut, könnte zu Spannungen zwischen beiden Mächten führen. Dreh- und Angelpunkt ist der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo.
Putin und Erdogan teilen den Balkan unter sich auf
Eine dramatische Hassliebe: Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan. (Foto: dpa)
Foto: Alexey Nikolsky / Sputnik / Krem

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Die politischen Spannungen zwischen dem Kosovo und Serbien schaffen ein perfektes Umfeld für die Türkei und Russland. Die beiden Länder wetteifern darum, die beiden Balkan-Nachbarn in ihre jeweiligen Einflussbereiche zu locken, führt der US-Analyst Alon Ben Meir in einem Beitrag von Emerging Europe aus.

In der Zwischenzeit versuchen hochrangige US- und EU-Gesandte, den langjährigen Streit beizulegen. Sie fordern Serbien und das Kosovo auf, die Beziehungen zu normalisieren. Die Weigerung Serbiens, die Grenzen des Kosovo anzuerkennen, hindert die Regierung in Priština daran, sich internationalen Organisationen wie Interpol und der UNESCO anzuschließen.

Darüber hinaus veranlasste die Nichteinhaltung eines Freizügigkeitsabkommens von 2011 das Kosovo, direkte Maßnahmen gegen Serbien zu ergreifen, indem Waren aus Serbien zu 100 Prozent verzollt wurden. Doch nach starkem Druck aus Washington hat die Regierung Kosovos am 1. April die Strafzölle für Importe aus Serbien vorläufig aufgehoben. Diese Ausnahmeregelung gilt zunächst bis zum 15. Juni.

Der Konflikt zwischen Serben und den Kosovaren ist auch als Stellvertreter-Konflikt Russlands und der Türkei - ehemaliges Zarenreich und ehemaliges Osmanisches Reich - einzustufen. Moskau und Ankara wollen ihre traditionellen Einflusssphären auf dem Balkan nicht nur halten, sondern sogar erweitern, was sie zu Kontrahenten auf dem Balkan macht. Die aktuelle Balkan-Politik Moskaus und Ankaras könnte nach hinten losgehen.

Russland und die Türkei als imperiale Mächte

Die “Strongmen” Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan haben hart daran gearbeitet, ihre eigenen Beziehungen zum Balkan zu stärken, und investieren weiterhin in große nationale Projekte, die strategisch darauf ausgerichtet sind, die größten wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen in der gesamten Region zu erzielen, so Alon Ben Meir. Der Handel zwischen der Türkei und dem westlichen Balkan hat dramatisch zugenommen, von 430 Millionen US-Dollar im Jahr 2002 auf drei Milliarden US-Dollar im Jahr 2016. Etwa ein Drittel dieses Handels wurde mit Serbien abgewickelt. Auch den serbischen Rüstungsmarkt hat Ankara für sich entdeckt.

Meir wörtlich: “Währenddessen investiert die Türkei im Kosovo kontinuierlich in die wichtigsten Sektoren und privatisiert die strategischen Vermögenswerte des Kosovo. Die türkische staatliche Entwicklungsagentur TIKA hat Hunderte historischer Denkmäler im Kosovo renoviert, lokale Projekte finanziert und Großveranstaltungen organisiert, um die Beziehungen zur Türkei zu stärken.”

Darüber hinaus erteilte die serbische Energieagentur die endgültige Genehmigung für den Bau eines Zweigs Pipeline TurkStream, die russisches Erdgas in die Türkei und nach Südeuropa liefern wird.

Es ist deutlich zu erkennen, dass die Türkei und Russland zwar Kontrahenten sind, doch den Balkan wirtschaftlich und politisch unter sich aufteilen wollen. Russland hat geostrategische Interessen sowohl auf dem westlichen Balkan als auch in den Mittelmeerländern.

In den Balkanstaaten beruht das Interesse Russlands auf zwei Überlegungen. Erstens hat die westliche Balkan-Region eine strategische Bedeutung als Transitroute für Russlands Gas. Zweitens möchte Moskau die slawischen Wurzeln und die orthodoxe Religion in der Region sowie die bilateralen kulturellen und traditionellen Werte bewahren, meint Meir.

Darüber hinaus bieten die westlichen Balkanstaaten Russland kostengünstige Möglichkeiten, eine Kombination aus politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die geostrategischen Interessen der EU zu untergraben.

Nun ist das Augenmerk darauf zu richten, wie der Einfluss der Türkei und Russlands auf dem Balkan nachhaltig zurückgedrängt werden, oder aber komplett disqualifiziert werden kann. Aus europäischer und US-amerikanischer Sicht wäre es wünschenswerter, wenn die Balkan-Staaten sich unter einem Schirm versammeln - entweder unter dem Schirm der Nato, oder aber unter dem Schirm der EU. Sollten diese Staaten sich unter den Schirm der Nato - aber nicht der EU - begeben, würden sie sich vor allem in Richtung der USA ausrichten.

Putin und Erdoğan verfolgen imperiale Ziele. Eine Kollaboration auf dem Balkan ist deutlich zu erkennen. Es ist unmöglich, dass die Türkei sich Serbien derart annähert, ohne dass dies durch Russland gebilligt wird. Je mehr diese beiden Staaten ihren Einfluss auf dem Balkan erweitern, desto mehr wird der Einfluss der EU zurückgedrängt. Allerdings wird die Manövrierfähigkeit Moskaus und Ankaras durch die Geschichte der Balkan-Staaten eingeschränkt. Im schlimmsten Fall könnte es auf dem Balkan zu einer Eskalation kommen, was für Russland und die Türkei schlecht wäre, da sie in einen weiteren kostenintensiven Konflikt hineingezogen werden würden.

Pogrome, Unruhen und Tote sind vorprogrammiert

Die Serben sehen Russland als Schutzmacht an, während die Kosovaren nicht nur auf die USA, sondern auch auf die Türkei als historische Schutzmacht setzen. Früher oder später wird es zu einem Konflikt in der Region kommen. Eine Regierung in Belgrad, die die komplette Unabhängigkeit des Kosovo akzeptieren würde, könnte sich nicht halten. Also muss Serbien seinen aktuellen Kurs beibehalten. Die Kosovaren, die im Regelfall wie die Serben zur politischen Sturheit neigen, werden auf ihrer Unabhängigkeit bestehen.

Um die Serben aufzuhetzen bedarf es keiner großen Anstrengung, sondern lediglich einer religiös-nationalistischen Komponente, die in Gegnerschaft zu den Türken, den Muslimen und den USA steht. Denn die Türken sind für die serbisch-orthodoxe Kirche "der ewige Feind", der ausgelöscht werden muss. Als direkte Vertreter der Türken auf dem Balkan werden neben den slawischen Muslimen auch die Kosovaren und Albaner angesehen. Dabei könnten serbische Nationalisten unter dem Slogan “Kosovo polje”, der an die blamable Niederlage auf dem Amselfeld im Jahr 1389 gegen die Türken erinnert, ziemlich einfach mobilisiert werden, um eine Pogromstimmung zu schaffen. Die allgemeine anti-albanische Stimmung hätte durchaus das Potenzial, sich auch gegen die slawischen Muslime in der südwestlichen serbischen Provinz Novi Pazar zu richten. Dies würde dazu führen, einen Konflikt, der eigentlich auf das Kosovo gerichtet ist, nach Serbien zu tragen. Die Folgen würden dem Ereignis von Srebrenica, der zwischen dem 11. und 22. Juli 1995 stattgefunden hat, ähneln. Dann wäre theoretisch gemäß der UN-Charta - aber auch nur unter dem Nato-Schirm - eine Intervention möglich, wobei Russland sich dem widersetzen würde. Ob sich erneut Paramilitärs aus der serbischen Hooligan-Bewegung und Söldner aus Russland rekrutieren lassen könnten, um militärische Aktivitäten in Novi Pazar - aber vor allem im Kosovo und in Metochien - gegen die muslimische Zivilbevölkerung durchzuführen, bleibt zum aktuellen Zeitpunkt unklar. Doch die Geschichte in dieser Region war leider immer von rückständiger Gewalt und nicht von zivilisierter Diplomatie geprägt.

Im Gegenzug würden sich die kosovarischen Nationalisten mobilisieren, um Pogrome gegen ihre serbischen Nachbarn durchzuführen. Im Kosovo und Metochien leben nach diversen Schätzungen etwa 150.000 Serben. In folgenden Kommunen leben serbische Mehrheiten: Nord-Mitrovica, Leposavić, Zvečan, Zubin Potok und die sechs südlichen (Enklaven-) Gemeinden Gračanica, Štrpce, Novo Brdo, Ranilug, Parteš und Klokot. Diese Gebiete würden zu den Hotspots albanischer Übergriffe werden. Die Kosovo-Albaner, die sich durchgehend in einer Abwehr- und Angriffshaltung gegen das “serbische Joch” befinden, wären ebenfalls relativ leicht zu mobilisieren. Der albanische Nationalismus verfügt im Gegensatz zum serbischen Nationalismus über keine religiöse Komponente. Umso stärker ist die ethnisch-nationalistische Komponente. Im Rahmen eines derartigen Szenarios wäre es auch nicht ausgeschlossen, dass nationalistische Kosovaren Verbrechen gegen die Menschlichkeit an der serbischen Minderheit im Kosovo durchführen.

Derartige Entwicklungen würden die Türkei dazu zwingen, Partei für die Muslime in Novi Pazar und die Albaner im Kosovo zu ergreifen. Dies würde wiederum die Beziehungen zwischen Moskau und Ankara nachhaltig stören, weil die Russen zwangsläufig zu ihren “slawisch-christlichen Brüdern” halten würden. Denn Russland hätte auch Probleme damit, die serbischen Nationalisten unter Kontrolle zu bekommen. Die Serben gelten zwar als russophil, doch sie sind alles andere als hörig oder unterwürfig.

Am Ende könnte aus dem serbisch-kosovarischen Antagonismus, der historisch gewachsen und unüberbrückbar ist, ein türkisch-russischer Antagonismus entstehen, der zur finanziellen, moralischen und politischen Schwächung Russlands und der Türkei auf dem Balkan führen würde. Dies hätte enorme Auswirkungen auf den Wettbewerb dieser beiden Militärmächte im Kaukasus, im Nahen Osten und in Zentralasien.


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