Bei dem Versuch, das offensichtlich in schwere Schieflage geratene Welt-Finanzsystem vor dem Kollaps zu retten, hat die US-Zentralbank Federal Reserve inzwischen nahezu sämtliche geldpolitische Schleusentore geöffnet.
Die vorerst letzte Maßnahme in einer Reihe extremer Notoperationen der vergangenen Monate stellte jüngst der Ankauf von Unternehmensanleihen mit schwacher Kreditwürdigkeit – im Jargon häufig als „junk bonds“ beziehungsweise Ramsch-Anleihen betitelte Finanzpapiere – dar. Am Donnerstag, den 9. April, gab die Zentralbank bekannt, künftig auch Anteile an börsengehandelten Fonds („exchange traded funds“ – ETFs) zu kaufen, welche sich auf Investitionen in besonders riskante Unternehmen spezialisiert haben.
Wie undenkbar dieser Schritt der Fed vielen Beobachtern noch bis vor Kurzem erschien, wird aus der Berichterstattung der Financial Times deutlich. Diese schreibt:
Die Maßnahme fügt dem Bestreben der Zentralbank, die US-Wirtschaft zu stützen, eine neue Dimension hinzu – im Zuge dessen bereits Unternehmensanleihen mit höherer Bonität und börsengehandelte Fonds gekauft werden. Es gleicht einem Schritt in riskantere Bereiche eines Marktes, welchen die meisten Beobachter bislang als außerhalb der Reichweite der US-Zentralbank gelegen einstuften, und er reflektiert die Tragweite der vom Coronavirus ausgehenden Gefahr für Märkte und Volkswirtschaften.
Als Reaktion auf die Intervention stiegen die Kurse von Junk Bond-ETFs deutlich an. Allen voran verzeichnete der größte Fonds dieser Art – ein Fonds des Finanzgiganten BlackRock – die größten Kursanstiege. Am Rande sei bemerkt: BlackRock ist auch jenes Unternehmen, welches im Auftrag der Federal Reserve deren Anleihekäufe tätigt – mit all den dabei entstehenden Interessenkonflikten.
Kurz zuvor hatte die Fed ein 2,3 Billionen Dollar schweres Programm für Firmen, Bundesstaaten und Bezirke aufgelegt. Präsident Jerome Powell versicherte, die Notenbank könne die Wirtschaft so lange wie nötig über Wasser halten: Zeitlich gebe es dafür keine Grenzen.
Darüber hinaus hat die Fed in den Wochen zuvor ihren Leitzins auf fast null Prozent reduziert und den unbegrenzten Ankauf von US-Staatsanleihen und hypothekenbesicherten Wertpapieren angekündigt. Experten bewerteten auch diese Maßnahmen dem Umfang nach als beispiellos. Fed-Beobachter Bernd Weidensteiner von der Commerzbank sagte zur dpa, die Bilanz der Notenbank befinde sich auf dem Weg in Richtung 10 Billionen US-Dollar. Zum Vergleich: Der bisherige Höchstwert - auch ein Erbe der Finanzkrise 2008 - belief sich vor der Corona-Pandemie auf etwa 4,5 Billionen Dollar.
Zur Erinnerung: Es waren nicht zuletzt jene hypothekenbesicherten Wertpapiere, welche vor Ausbruch der Finanzkrise 2008 gebündelt und in alle Welt verkauft worden waren, welche die Krise schließlich auslösten als herauskam, dass viele der den Wertpapieren unterlegten Hypotheken praktisch wertlos oder weit weniger wert als angegeben waren. Die drei großen Ratingagenturen Fitch, Standard&Poor's und Moody's hatten diesen Paketen die Bestnote „AAA“ gegeben.
Wie die Fed zudem Anfang April mitteilte, wird eine wichtige Verschuldungsregel für große US-Banken „übergangsweise“ gelockert. Demnach zählen US-Staatsanleihen nicht mehr zu den Vermögensgegenständen, die die großen Banken mit Kapital unterlegen müssen. Die Lockerung soll ein Jahr Bestand haben und werde den Kapitalbedarf der Banken um rechnerisch zwei Prozent verringern. Die jetzt gelockerte Verschuldungsregel ist Bestandteil eines großen Pakets, mit dem Regierung und Notenbank auf die Lehren der Finanzkrise von 2008 reagiert hatten. Die Regeln sollen den riskanteren Teil des Bankgeschäfts begrenzen und die möglichen Folgen unter Kontrolle halten.
Mit dem Schritt soll gegen Engpässe auf dem amerikanischen Markt für Staatsanleihen vorgegangen werden, erklärte die Zentralbank. Dieser Markt sei für den ordnungsgemäßen Ablauf des amerikanischen und auch des weltweiten Finanzsystems von hoher Bedeutung. US-Staatsanleihen sind eine äußerst begehrte und liquide Anlageform, gerade in ungewissen Zeiten wie der aktuellen Krise. Verspannungen auf diesem Markt schlagen in aller Regel schnell und direkt auf andere Segmente des Finanzsystems durch, beispielsweise auf die Kreditvergabe.
Ende März ergriff die Notenbank zusätzliche Schritte, um die Versorgung der Finanzmärkte mit der Weltleitwährung US-Dollar sicherzustellen. Dazu setzt sie übergangsweise so heißt es - ein neues Instrument ein, mit welchem große Notenbanken und andere internationale Finanzorganisationen Dollar abrufen können, indem sie der Fed zeitweise US-Staatsanleihen überlassen. Im Rahmen solcher Repo-Geschäfte erhalten die jeweiligen Notenbanken dann Dollar-Liquidität, die sie an Geschäftsbanken in ihrem Einflussbereich weitergeben können. Das Instrument ergänzt bestehende Kreditlinien (Swaps) mit zahlreichen Notenbanken der Welt, darunter der Europäischen Zentralbank. Die Swap-Linien wurden nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie eingerichtet.
Und nicht zuletzt pumpt die Federal Reserve (genauer: Die New Yorker Filiale der Fed) seit dem 17. September 2019 beinahe wöchentlich dutzende Milliarden Dollar in den Geldmarkt, um Banken und Hedgefonds mit Liquidität zu versorgen. Begründet wurde die überraschende Maßnahme (Eingriffe der Fed in den Repo-Geldmarkt hatte es seit 2009 nicht mehr gegeben) mit einem anstehenden Zahltag für eine Auktion von Staatsanleihen und einem Steuertermin. Die Begründung ist unlogisch: In den vergangenen Jahren fanden dutzende solcher Anleiheauktionen und Steuertermine statt, ohne dass die Zentralbank intervenieren musste. Es erklärt auch nicht, warum sie mehr als ein halbes Jahr nach September 2019 immer noch aktiv ist und war.
Das einzige nennenswerte Finanzpapier, welches die Fed noch nicht kauft, sind Aktien. Man darf gespannt sein, ob sie auch diese letzte Hürde im Falle neuer Abverkäufe an den Börsen nimmt. In der Konsequenz bedeuten die Interventionen schon jetzt den Anbruch eines Zeitalters des Finanzsozialismus – in welchem ein Überfluss an aus dem Nichts geschaffenen, virtuellen „Geldes“ dafür sorgen soll, dass es zu keinen nennenswerten Einbrüchen im Gefüge mehr kommt. Faktisch bedeutet es zudem auch eine beginnende Verschmelzung von digitaler Druckerpresse und US-Staatshaushalt in Form des Finanzministeriums. Wie innovativ das Ganze auch scheinen mag. Sollte irgendetwas schiefgehen, dann darf man fest damit rechnen, dass die „Bürger“ am Ende die Rechnung auf die eine oder andere Weise bezahlen werden.