Deutschland

Die Gelassenheit am deutschen Arbeitsmarkt gehört bald der Vergangenheit an

Noch verhindern Kurzarbeit und Notkredite, dass es zu einem starken Anstieg der Arbeitslosenzahlen kommt. Doch früher oder später wird die Rechnung der von der Bundesregierung betriebenen Stilllegung der Wirtschaft folgen.
29.04.2020 13:12
Aktualisiert: 29.04.2020 13:12
Lesezeit: 2 min
Die Gelassenheit am deutschen Arbeitsmarkt gehört bald der Vergangenheit an
Ein Arbeitsloser bittet in der Lübecker Innenstadt um Geld - Passanten, die ihm welches geben könnte, sind allerdings kaum unterwegs. (Foto: dpa) Foto: Markus Scholz

Dem deutschen Arbeitsmarkt droht in der Corona-Krise nach Einschätzung des Ifo-Instituts nach der Kurzarbeit ein deutlicher Stellenabbau. „Die Personalabteilungen der deutschen Unternehmen bereiten sich auf Entlassungen vor“, fasste das Münchener Forschungsinstitut am Dienstag das Ergebnis einer Umfrage zusammen. Das anhand der Erhebung ermittelte Ifo-Beschäftigungsbarometer sei im April auf ein Rekordtief von 86,3 Punkten abgestürzt, von 93,4 Punkten im März. Auch der Rückgang des Indexwertes war der stärkste, der vom Ifo-Institut jemals ermittelt wurde.

„Die Arbeitslosigkeit in Deutschland wird daher steigen“, lautet die Schlussfolgerung der Wirtschaftsforscher. Die Entwicklung dürfte alle Bereiche der deutschen Wirtschaft betreffen. Demnach sollte es auch im Dienstleistungssektor erstmals seit der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009 wieder zu Entlassungen kommen.

In der Industrie erwarten die Forscher, dass sich der Trend rückläufiger Mitarbeiterzahlen, der bereits vor der Corona-Krise eingesetzt habe, verstärkt fortsetzen werde. Auch im Handel dürfte die Zahl der Mitarbeiter sinken, wobei die Ifo-Forscher die Supermärkte als einzige Ausnahme bezeichneten. „Auch der zuletzt boomende Bausektor kann sich der negativen Beschäftigungsdynamik nicht mehr entziehen“, hieß es weiter in der Mitteilung. Das Ifo-Beschäftigungsbarometer basiert auf etwa 9000 monatlichen Meldungen von Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, der Baubranche, des Groß- und Einzelhandels sowie des Dienstleistungssektors.

Der deutsche Arbeitsmarkt hatte sich vor der Corona-Krise robust gezeigt. In den Jahren seit 2010 war die Arbeitslosenquote in der Tendenz gefallen. In diesem Zeitraum hat sich die Quote von etwa 8 Prozent auf zuletzt 5,1 Prozent im März verringert.

Noch verhindern Kurzarbeiterregelungen sowie die von der Staatsbank KfW ausgegebenen Notkredite, dass Unternehmen pleitegehen und es zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit kommt. Doch die schweren Schäden, welche im Zuge der Stilllegung großer Teile der Wirtschaft zur Bekämpfung des Coronavirus entstanden sind, dürften nicht so einfach abgefedert werden können.

Die Bundesregierung rechnet laut einem Medienbericht in diesem Jahr mit dem größten Einbruch des Wirtschaftswachstums seit Gründung der Bundesrepublik. In der Frühjahrsprognose, die am Mittwoch vorgestellt werden soll, gehe die Bundesregierung davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2020 um 6,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr schrumpfen wird, berichtet die Süddeutsche Zeitung am Montag. 2021 soll es dann wieder bergauf gehen. Die Verluste könnten aber nicht komplett aufgeholt werden.

Trotz des riesigen Rettungspakets werden größere Pleitewellen und drei Millionen Arbeitslose erwartet. Auch die Steuereinnahmen dürften deutlich zurückgehen: Bislang rechnet die Regierung mit einem Steuerminus von rund 82 Milliarden Euro - und maximal 356 Milliarden Euro an neuen Schulden.

Für den stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Bundestag, Michael Theurer, beruht die Prognose eher noch auf optimistischen Annahmen. „Das Durcheinanderwirbeln des Wirtschaftskreislaufs könnte kolossale Kollateralschäden nach sich ziehen“, warnte er. Es räche sich, dass die Bundesregierung zögerlich und inkonsequent auf die Corona-Krise reagiert habe.

Verschärft wird der bevorstehende Abschwung auch durch sogenannte „Zombie“-Unternehmen, also Firmen, welche sich in den vergangenen Jahren nur mithilfe stetiger Neuschuldenaufnahme einem Bankrott entziehen konnten. Deren Zahl war schon vor Ausbruch der Corona-Krise deutlich angestiegen und sie dürften zu den ersten gehören, welche die Brüche in den Lieferketten und die nachlassende Nachfrage spüren werden.

Welche Aussichten Deutschland erwarten, lässt sich derzeit bereits in den USA beobachten. Im Land des „Hire and Fire“ meldeten sich bereits in den ersten vier Wochen nach Beginn der Corona-Maßnahmen rund 26 Millionen Bürger arbeitslos.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Halbleiter-Aktien: Wie die ASML-Aktie zur europäischen Macht im Chipsektor wird
08.12.2025

Die US-Großbank Bank of America setzt in Europa auf einen Chipkonzern, der in einem neuen Wachstumszyklus steckt und die Branche unter...

DWN
Politik
Politik EU-Staaten beschließen schärfere Migrationspolitik
08.12.2025

Die EU zieht die Zügel in der Migrationspolitik an: Abschiebungen sollen leichter, Verteilung verpflichtender werden. Doch neue Regeln zu...

DWN
Politik
Politik Russland tobt nach Interview mit ehemaligen NATO-General Rob Bauer
08.12.2025

Ein explosiver Schlagabtausch zwischen Russland und einem früheren NATO-Spitzenoffizier schürt neue Ängste vor einer Eskalation. Moskau...

DWN
Politik
Politik EU-Kommission: Vorschläge zum Verbrenner-Aus nächste Woche
08.12.2025

Die EU-Kommission legt am 16.12. neue Vorschläge zum Verbrenner-Aus vor. Nach wachsender Kritik aus Industrie, Politik und Bevölkerung...

DWN
Finanzen
Finanzen Confluent-Aktie auf Höhenflug: IBM will Dateninfrastruktur-Spezialisten Confluent kaufen
08.12.2025

Ein Mega-Deal rückt die Confluent-Aktie schlagartig ins Rampenlicht: IBM bietet Milliarden für den Datenstreaming-Spezialisten Confluent....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft VDA rechnet 2026 mit rund 693.000 neuen E-Autos
08.12.2025

Deutschlands Autokäufer stehen vor einem elektrischen Wendepunkt: Verbände prognostizieren deutliche Zuwächse bei Elektroautos und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Machtwechsel im Arbeitsmarkt 2025: Arbeitgeber geben wieder den Ton an
08.12.2025

Der Wind am Arbeitsmarkt 2025 dreht sich offenbar: Nach Jahren der Bewerbermacht gewinnen Unternehmen wieder Spielraum. Jan-Niklas Hustedt,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Insolvenzzahlen 2025: Warum Firmenpleiten weiter steigen
08.12.2025

Deutschlands Insolvenzzahlen klettern auf den höchsten Stand seit Jahren. Besonders Mittelstand, Handel und Autozulieferer geraten unter...