Politik

Neuer Rettungsplan: EU-Billionen kommen lediglich den Finanzmärkten zugute

Lesezeit: 5 min
31.05.2020 11:30  Aktualisiert: 31.05.2020 11:30
Die EU weiß nicht mehr weiter. In Panik wirft sie mit den Milliarden einfach so um sich - die Lobbyisten bringen sich schon in Stellung, um möglichst viel abzuzweigen.
Neuer Rettungsplan: EU-Billionen kommen lediglich den Finanzmärkten zugute
Von r. nach l.: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Parlamentspräsident David Sassoli und der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel. (Foto: dpa)
Foto: Zheng Huansong

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Rezession, Ölpreissturz, Corona-Lockdown - das erste Quartal 2020 hat der Welt eine nie dagewesene Häufung wirtschaftlicher Katastrophen beschert, deren Auswirkungen die Europäische Union (EU) hart treffen – vor allem die südeuropäischen Staaten, die sich bis heute nicht von der Eurokrise erholt haben. d

Insbesondere die Folgen des Lockdowns werden Ländern wie Italien, Spanien und Griechenland enorm zusetzen. Sie werden die Arbeitslosenzahlen in die Höhe treiben, zu einer Welle von Betriebsschließungen im Mittelstand führen, das Bankensystem wegen ausfallender Kredite belasten und die Staatseinnahmen durch Steuerausfälle verringern.

Da hier ein Sturm aufzieht, dessen Ausmaß nicht abzusehen ist, hat Ursula von der Leyen, Chefin der EU-Kommission, am Mittwoch dieser Woche einen Plan mit dem Namen „Next Generation EU“ präsentiert. Insgesamt sollen 750 Milliarden Euro mobilisiert werden, von denen 500 Milliarden Euro als nicht rückzahlbare Zuwendungen und 250 Milliarden Euro als Kredite fließen sollen.

Das Programm, das einen in der vergangenen Woche von Deutschland und Frankreich vorgelegten Vorschlag bei weitem übertrifft, sieht vor, Spanien mit 140 Milliarden Euro und Italien mit 173 Milliarden Euro zu unterstützen. Für Deutschland sind knapp 29 Milliarden Euro, für Frankreich etwa 39 Milliarden Euro vorgesehen. Das Geld soll im Namen der EU an den Finanzmärkten aufgenommen und von seinen Empfängern zwischen 2028 und 2058 zurückgezahlt werden.

Insgesamt 2,4 Billionen Euro für den „Neustart“

Der Vorschlag der EU-Kommission kommt nur sieben Wochen nach dem EU-Rettungsfonds von Anfang April, der bereits 540 Milliarden Euro mobilisiert hat - zum großen Teil in Form von zinslosen Darlehen der Europäischen Investitionsbank und Krediten des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Er wird außerdem begleitet von einem überarbeiteten, weil im Februar abgelehnten langfristigen Gesamthaushalt von 1,1 Billionen Euro. Insgesamt sollen also 2,4 Billionen Euro eingesetzt werden.

Im Klartext heißt das: Die EU muss sich im Kampf gegen die Auswirkungen von Rezession und Lockdown in bisher nicht gekannter Höhe verschulden – und das, obwohl ihr das Schuldenmachen gemäß Grundlagenvertrag untersagt ist und sie mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof rechnen muss.

Einer juristischen Auseinandersetzung könnte sie nur durch eine Vertragsänderung entgehen, die allerdings die höchst unwahrscheinliche Zustimmung aller 27 Mitglieder erfordern würde. Hier bahnt sich eine weitere Zerreißprobe an, die jedoch nicht unlösbar erscheint. Da sich die EU-Kommission inzwischen offensichtlich daran gewöhnt hat, Schulden mit noch mehr Schulden zu bekämpfen, könnte sie sich die Zustimmung widerspenstiger Staaten durch großzügige Geldgeschenke sichern.

Gezahlt wird später

Was die Rückzahlung der Schulden betrifft - auch dafür hat die EU-Kommission inzwischen ein Patentrezept: Sie wird einfach in die ferne Zukunft verlagert und zum Teil der nachfolgenden Generation aufgebürdet. Auch die Geldquellen für die Rückzahlung entpuppen sich bei näherem Hinsehen als eine fadenscheinige Flucht in eine ungewisse Zukunft. So sollen nach 2027 entweder die Haushaltsbeiträge erhöht oder die Ausgaben bei gleichbleibenden nationalen Beiträgen gekürzt oder neue Einnahmequellen für die EU geschaffen werden.

An welcher Stelle die Beiträge erhöht oder die Ausgaben gekürzt werden sollen, bleibt im Dunkeln. Dafür aber werden einige der neuen Einnahmequellen genannt: Eine Digitalsteuer, eine CO2-Grenzabgabe, eine Plastikabgabe oder die Ausweitung des Emissionshandels auf den Schiffs- und Flugverkehr. Da all diese Abgaben letztendlich auf den Endverbraucher abgewälzt werden, heißt das im Klartext nichts anderes, als dass der Steuerzahler für ein Programm aufkommen muss, das ihm unter dem Namen „Next Generation EU“ als Aufbruch in eine neue Zukunft präsentiert wird.

Da es sich beim Steuerzahler auch um den Wähler handelt, dürfte sich der Ärger verdoppeln: Ursula von der Leyen, die die Gelder nun verteilen darf, stand ja bei der letzten Europawahl auf keinem Wahlzettel, sondern wurde erst danach als Chefin der EU-Kommission eingesetzt – ein Vorgang, der einmal mehr unterstrich, dass es sich bei der mächtigsten Institution Europas nicht um ein demokratisch legitimiertes Gremium, sondern um eine Ansammlung nicht gewählter Bürokraten handelt, die sich jeder Kontrolle durch den Bürger entziehen.

"Next Generation EU" - ein Lobbyisten-Traum

Dass diese Bürokraten nun über die Vergabe von Hunderten von Milliarden Euro entscheiden dürfen, hat an sich schon einen unangenehmen Beigeschmack. Noch anrüchiger wird das Ganze, wenn man bedenkt, dass 500 Milliarden als nicht rückzahlbare Zuwendungen vergeben werden – es sich also de facto um nichts anderes als ein Geldgeschenk handelt.

Man braucht nicht über besonders viel Phantasie zu verfügen, um sich auszumalen, was sich in den kommenden Wochen und Monaten in den Brüsseler Hinterzimmern abspielen wird. Immerhin handelt es sich bei der belgischen Hauptstadt um das europäische Eldorado des Lobbyismus. Im Jahr 2019 wurde die Zahl der Lobbyisten vom gemeinnützigen Verein Lobbycontrol mit 25.000 angegeben. Weltweit bringt es nur die US-Hauptstadt Washington auf eine höhere Zahl.

Fast schon grotesk wird es, wenn man einen Blick darauf wirft, welche Auswirkungen „Next Generation EU“ auf die wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden Jahren haben wird. Bei realistischer Einschätzung lässt sich nämlich jetzt schon sagen, dass die Riesensummen nicht dazu beitragen werden, die schwerkranke EU wieder gesunden zu lassen. Im Gegenteil: Der wirtschaftliche Niedergang und der finanzielle Zerfall werden sich fortsetzen, und zwar aus folgendem Grund: Es gibt nur zwei Bereiche, in die das Geld – zumindest der Teil, der nicht durch Korruption in dunklen Kanälen verschwindet - fließen kann: entweder in die Realwirtschaft oder in den Finanzsektor.

Sofern es in die Realwirtschaft fließt, wird es kaum etwas ausrichten können, denn eine erhöhte Produktion von Waren wäre nur dann sinnvoll, wenn dafür ein Absatzmarkt bestünde. Der aber liegt zurzeit brach und wird sich in der vor uns liegenden Periode auch nicht erholen, denn die Massenkaufkraft wird auf Grund steigender Arbeitslosenzahlen, zunehmender Zusammenbrüche mittelständischer Betriebe und abzusehender Steuererhöhungen mit Sicherheit schrumpfen.

Das Überleben der EU hängt von der Zukunft der Realwirtschaft ab

Damit bleibt den Empfängern der Gelder im Grunde also gar keine andere Wahl, als das Geld wieder in die Finanzmärkte zu stecken und das globale Finanzcasino so weiter anzuheizen. Das mag noch eine Zeitlang gutgehen, wird aber angesichts der immer größeren Blasen an den Märkten auf lange Sicht nicht gut enden. Doch selbst wenn der finale Crash noch auf sich warten lassen sollte, würde der EU diese Art der Verwendung der vermeintlichen Rettungsgelder kaum nützen. Ihr Überleben hängt nämlich in erster Linie von sozialen Faktoren und damit von der Zukunft der Realwirtschaft ab.

Die Verwerfungen, die die EU in der Vergangenheit in Bedrängnis gebracht haben, sind ja vor allem auf die Unzufriedenheit der Bürger angesichts ihres sinkenden Lebensstandards zurückzuführen. Sowohl der Brexit als auch die separatistischen Bewegungen sind ihrem Wesen nach nichts anderes als eine Folge des sozialen Abstiegs großer Teile der Bevölkerung.

Im Umkehrschluss heißt das: Um die EU aus der Krise zu führen, müsste die EU-Kommission Maßnahmen ergreifen, die den allgemeinen Lebensstandard aller EU-Bürger erhöhen. Das aber ist unter den gegebenen Voraussetzungen – also einer globalen Realwirtschaft, die zurzeit in die schlimmste Rezession seit vielen Jahrzehnten rutscht - nicht möglich.

Nach uns die Sintflut

Was aber bezweckt die EU-Kommission dann mit ihrem „Next-Generation-EU“-Projekt? Die Antwort ist ernüchternd: Da die Bürokraten offensichtlich keinen Plan für die Zukunft haben, ihre Privilegien aber gern behalten wollen, versuchen sie Zeit zu gewinnen, indem sie sich ein weiteres Mal verschulden und die Tilgung dieser Schulden auf diejenigen verschieben, die nach ihnen kommen.

Damit sitzen sie allerdings auf einer Zeitbombe, denn der globale Schuldenberg gleicht einem Minenteppich, der jederzeit hochgehen kann. Ursula von der Leyens mit dem größten Geldgeschenk der EU-Geschichte gespickter Plan ist also nichts anderes als eine Mischung aus Verzweiflungstat und Offenbarungseid, und es wirkt schon fast wie eine Ironie der Geschichte, dass der Name des Programms „Next Generation EU“ einen deutlichen Hinweis darauf liefert, wer den Scherbenhaufen, der hier von den EU-Bürokraten angerichtet wird, zusammenkehren soll.

                                                                            ***

Ernst Wolff, 69, befasst sich mit der Wechselbeziehung zwischen internationaler Politik und globaler Finanzwirtschaft.


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