Finanzen

Nie zuvor hat die EZB den Banken so viel Geld geschenkt

Die Banken der Eurozone leihen sich bei der EZB 1,3 Billionen Euro und erhalten dafür Prämien von bis zu 1 Prozent. Doch das Erschreckendste ist dabei nicht die Rekordsumme, sondern wer davon profitiert und welche Nebenwirkungen sich ergeben.
20.06.2020 10:41
Lesezeit: 3 min
Nie zuvor hat die EZB den Banken so viel Geld geschenkt
Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, spricht per Videokonferenz vor einem EU-Parlamentsausschuss. (Foto: dpa) Foto: Daina Le Lardic

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag mitgeteilt, dass 742 Geschäftsbanken der Eurozone bei ihr beantragt haben, im Rahmen des aktuellen TLTRO-III-Programms insgesamt 1,31 Billionen Euro zu leihen. Diese längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte sind auf drei Jahre ausgelegt und sollen die Banken in der Coronakrise mit ausreichend Liquidität versorgen.

Die Banken werden im Rahmen von TLTRO III erhebliche Prämien dafür erhalten, dass sie sich von der EZB Geld leihen. Sie erhalten mindestens 0,5 Prozent, was dem aktuellen Einlagensatz von minus 0,5 Prozent entspricht. Und diese Prämie erhöht sich für das erste Jahr sogar auf 1 Prozent, wenn die Geldinstitute in dieser Zeit ihr Kreditbuch nicht schrumpfen lassen - was bei den meisten Banken der Fall sein dürfte.

"Die Bedingungen waren so attraktiv, dass es hier als Bank kein Vorbei gab", sagte der Ökonom Thomas Gitzel von der VP Bank. Und LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert sagte: "Die Euro-Währungshüter setzen alle Hebel in Bewegung, um die Konjunktur zu stützen – mit dem durchaus gewünschten Nebeneffekt, den Finanzmärkten zusätzlichen Rückenwind zu verleihen."

Mit TLTRO III betritt die EZB Neuland

Die neue Geldspritze im Rahmen des TLTRO-III-Programms des EZB ist weltweit das erste Mal, dass eine große Notenbank den Geschäftsbanken mehrjährige Kredite zu einem Zinssatz anbietet, der unterhalb ihres Einlagensatzes liegt. Damit führt die Europäische Zentralbank erstmals ein System mit zwei Zinssätzen ein.

Schon der Einlagensatz der EZB von minus 0,5 Prozent bezahlt die Banken dafür, dass sie sich bei der Notenbank Geld leihen. Doch nun sind Zinssätze von minus 1 Prozent im Rahmen von TLTRO offensichtlich eine noch stärkere Subvention für das Bankensystem. Die EZB ist offenbar bereit, alles zu tun, um die Banken der Eurozone einerseits liquide zu halten und andererseits ihre Marge im Kreditgeschäft zu subventionieren.

Dies verschafft den Banken einen garantierten Gewinn über die gesamte Laufzeit der Kredite, da die Staatsanleihen höhere Rendite aufweisen als die Negativzinsen der EZB. Umgekehrt belasten die zusätzlichen Staatsanleihen-Käufe die Eigenmittel-Decke der Banken nicht, denn per Dekret enthalten Staatsanleihen in der Eurozone kein Risiko und müssen von den Banken nicht mit Eigenmitteln unterlegt werden.

Die Banken werden etwa 760 Milliarden Euro der Kredite zur Rückzahlung früherer EZB-Kredite verwenden, die bald fällig werden. Zudem werden sie einen Großteil der verbleibenden 549 Milliarden Euro verwenden, um Staatsanleihen ihrer Länder zu kaufen. Dies verschafft den Banken einen sofortigen garantierten Gewinn, da die Staatsanleihen höhere Rendite aufweisen als die Negativzinsen der EZB.

Neben den Banken sind also erneut die Staaten der Eurozone die größten Nutznießer der EZB-Politik. Denn sie können sich dadurch nun im großen Stil und vergleichsweise billig verschulden. Die Staaten der Eurozone werden dieses Jahr voraussichtlich allein für den Kampf gegen Corona etwa 1 bis 1,5 Billionen Euro zusätzlicher Schulden aufnehmen.

Staaten und ihre Banken bilden Schicksalsgemeinschaften

Analysten zufolge wird dies zu einer "Untergangsschleife" beitragen, die das Schicksal der Banken noch enger an das ihrer Staaten bindet. So besitzen zum Beispiel die italienischen Banken bereits mehr als 425 Milliarden Euro der Schulden ihres eigenen Landes. Das sind mehr als 10 Prozent ihrer Vermögenswerte.

"Erhöhte Investments der Banken in Staatsanleihen wurden in den letzten Jahren typischerweise als negativ empfunden", zitiert die Financial Times aus einer Notiz der Bankanalysten von Jefferies. "Die politische Haltung ändert sich jedoch, und da die Staatsverschuldung steigen wird, könnte es für die Banken sinnvoll sein, überschüssige Liquidität in diese Richtung zu lenken."

Doch die Geldspritze der EZB hat Folgen. Die Aufstockung des Bankkreditprogramms von etwas mehr als 1 Billion Euro auf fast 1,6 Billionen Euro wird die Bilanz der Zentralbank auf über 6 Billionen Euro aufblähen. Damit steigt ihre Bilanzsumme erstmals auf mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts der Eurozone.

Um die niedrigste Rate von minus 1 Prozent bei den neuen Krediten zu sichern, müssen die Banken ihre Kreditvergabe an Haushalte und Unternehmen - ausgenommen sind Hypotheken auf Wohnimmobilien - mindestens auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr halten. Andernfalls steigt der Zinssatz auf minus 0,5 Prozent, was dem normalen Einlagensatz entspricht.

Analysten sind skeptisch, ob die neuen EZB-Kredite tatsächlich zu einem starken Anstieg der Gesamtkreditvergabe führen werden. "Die EZB stellt den Banken gerne diese Liquidität zur Verfügung, die sie an Unternehmen und Haushalte weitergeben", sagte Florian Hense, Ökonom bei Berenberg. Es bleibe aber abzuwarten, "ob die Banken das Geld letztendlich brauchen - und es ausleihen werden".

Weitere Maßnahmen der EZB

Als Reaktion auf die aktuelle Krise hatte die EZB ihr wichtigstes Kreditvergabeprogramm für Banken noch attraktiver gemacht, indem sie den Zinssatz senkte, die für den niedrigsten Zinssatz erforderliche Kreditvergabeschwelle herabsetzte, die Gesamtzahl der Banken erhöhte, die Kredite aufnehmen können, und die Regeln für die Sicherheiten lockerte, die sie verwenden können.

Die jüngste Kreditrunde im Rahmen von TLTRO III ist mehr als doppelt so hoch wie der bisherige Rekordbetrag für die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (LTRO) auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise in der Eurozone im März 2012, als die Notenbank 530 Milliarden Euro an günstigen Krediten an die Banken verteilte.

Neben TLTRO III hat die EZB zuletzt eine weitere Stütze für die Schuldenmärkte der Eurozone geschaffen, indem sie sich verpflichtet hat, in den nächsten zwölf Monaten Anleihen im Wert von 1,35 Billionen Euro zu kaufen. Diese Selbstverpflichtung der EZB hat bereits dazu beigetragen, die Kreditkosten für die südeuropäischen Staaten deutlich zu senken.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Trotz US-Verboten finden chinesische Tech-Giganten Wege, um im KI-Rennen zu bleiben
14.06.2025

Die USA wollen Chinas Aufstieg im KI-Sektor durch Exportverbote für High-End-Chips stoppen. Doch Konzerne wie Tencent und Baidu zeigen,...

DWN
Technologie
Technologie Einsatz von Tasern: Diskussion um „Aufrüstung“ der Polizei
14.06.2025

Taser gelten als umstritten, nun will Innenminister Alexander Dobrindt damit die Bundespolizei ausrüsten. Kritik kommt von Niedersachsens...

DWN
Finanzen
Finanzen Dividendenstrategie: Für wen sie sich im Aktiendepot lohnen kann
14.06.2025

Mit einer Dividendenstrategie setzen Anleger auf regelmäßige Erträge durch Aktien. Doch Ist eine Dividendenstrategie sinnvoll, wie...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Krisenmodus in der Industrie: Autohersteller weichen Chinas Regeln aus
14.06.2025

Weil China den Export kritischer Magnetstoffe drastisch beschränkt, geraten weltweite Lieferketten ins Wanken. Autohersteller suchen eilig...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft H&M baut Milliardenhandel mit Secondhand-Mode aus
14.06.2025

H&M will das Image der Wegwerfmode abschütteln – mit gebrauchten Designerstücken mitten im Flagshipstore. Wird ausgerechnet Fast...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Atomkraftgegner fordern Ende der Uran-Geschäfte mit Kreml
14.06.2025

Atomkraftgegner wenden sich an die Bundesregierung: Sie fordern einen Stopp russischer Uranlieferungen nach Lingen. Auch die hybride Gefahr...

DWN
Finanzen
Finanzen Teuer Wohnen in Deutschland: Rund jeder Siebte zahlt mehr als halben Monatslohn für Miete
14.06.2025

Nach der Mietzahlung ist bei manchen nicht mehr viel übrig für den Rest des Monats, zeigt eine Studie. Jedoch haben viele Menschen auch...

DWN
Technologie
Technologie Autoren fragen, ob ihre Werke für künstliche Intelligenz genutzt werden können – eine unmögliche Mission?
14.06.2025

Ein Ex-Spitzenmanager von Meta warnt: Wenn KI-Unternehmen vor jedem Training urheberrechtlich geschützte Werke lizenzieren müssten,...